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Neurowissenschaften
Menschengehirn im Mäuseschädel

Die Sonderstellung des Menschen in der Natur ist sein Gehirn. Was aber, wenn sich menschliches Gehirngewebe in einer Maus befindet? Wird sie dann menschenähnlich? Forscher aus den USA haben einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen.

Von Michael Lange | 13.11.2017
    Hausmäuse
    Was passiert, wenn sich menschliches Gehirngewebe in einer Maus befindet? Amerikanische Forscher haben das untersucht. (imago/Anka Agency International)
    In einer Flüssigkeit, angereichert mit Nährstoffen, schwimmen kleine, kugelförmige Flocken. Es handelt sich um Organoide, winzige Gehirne mit verschiedenen Zelltypen, entstanden aus menschlichen Stammzellen. Durchmesser: zwei bis fünf Millimeter.
    "Diese Organoide sind weiße Zellklumpen, sehr trüb im Innern, und sie haben in ihrer besten Form Ausstülpungen, die aussehen wie ein sich entwickelndes menschliches Auge."
    Gehirn wächst im Bioreaktor
    Das Team um Jürgen Knoblich vom Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien hat vor vier Jahren erstmals Gehirn-Organoide im Bioreaktor wachsen lassen. In neueren Experimenten versuchen die Forscher zurzeit, mehrere dieser kleinen Gehirn-Knödel zu einer größeren Einheit zusammenzubringen.
    "Und wir haben die Hoffnung, dass die Nervenzellen, die in unserem System entstehen, dass die reifer sind, als wenn man schlicht und einfach Stammzellen in Nervenzellen umwandelt."
    Ziel der Forscher ist es, die Gehirn-Organoide so menschenähnlich wie möglich zu machen. Die Wissenschaftler wollen so das Gehirn des Menschen nachahmen und Krankheiten wie Parkinson oder Schizophrenie unter möglichst naturnahen Bedingungen im Labor erforschen. Was jedoch fehlt, ist der Anschluss der Gehirn-Organoide an einen Blutkreislauf. Wenn die Organoide mit Blut versorgt werden, wachsen sie zu größeren Strukturen heran, so die Hoffnung. Sie werden dann noch gehirnähnlicher.
    Tiere werden nicht "menschlicher"
    Deshalb haben Wissenschaftler vom Salk-Institute in Kalifornien kleine, menschliche Gehirn-Organoide in Mäuseschädel verpflanzt. Mit einem Durchmesser von zwei Millimetern machen sie nur einen geringen Teil des Mäusegehirns aus. Dadurch werden die Tiere keineswegs "menschlicher", erklärt der Juraprofessor Hank Greely. Er leitet das Zentrum für Neurowissenschaften und Gesellschaft an der kalifornischen Stanford-Universität.
    "Diese Maus wird sich nicht auf die Hinterbeine stellen und sagen: Hallo, ich bin Micky! Es wird keine menschliche Intelligenz entstehen. Aber wir sollten darüber nachdenken, was in zehn oder zwanzig Jahren bevorsteht, wenn diese Stellvertreter-Gehirne immer komplexer werden."
    Auch Neurochirurgen der University of Pennsylvania in Philadelphia haben bereits winzige Gehirn-Organoide in Versuchstiere verpflanzt – und zwar in elf ausgewachsene Ratten. Die Organoide überlebten mindestens zwei Monate. Die Forscher konnten nachmessen, dass die menschlichen Zellen 1,5 Millimeter lange Fortsätze ausbilden. Über diese Axone treten sie in Kontakt mit dem Rattengehirn. Außerdem zeigen erste Ergebnisse, dass die eingepflanzten Zellen auf Licht reagieren.
    "Die Architektur des Gehirns entscheidet"
    Möglicherweise haben sie im Gehirn der Versuchstiere eine Aufgabe übernommen. Auf jeden Fall gibt es Verbindungen zwischen den Gehirnzellen von Mensch und Ratte. Das heißt aber noch nicht, dass Ratten oder Mäuse durch die Organoide in ihrem Kopf "menschlicher" geworden sind, erläutert Hank Greely. Um das nachzuweisen, bräuchte es weitere Untersuchungen.
    "Bei Gehirnen entscheidet die Architektur, die Bestandteile spielen keine Rolle. Ob die Nervenzellen von Menschen oder Ratten stammen, hat keinen Einfluss auf die Funktion. Auf die Organisation der Zellen im Gehirn kommt es an, und natürlich auf das Verhalten. Die Frage ist nur: Was bedeutet menschliches Verhalten bei einer Maus?"
    Die Forscher der University of Pennsylvania haben bereits einige Tests mit ihren Versuchstieren durchgeführt. Der Leiter der Untersuchungen, der Neurochirurg Isaac Chen möchte zum jetzigen Zeitpunkt nicht darüber reden. Nur so viel: Die Ratten mit einem menschlichen Gehirn-Organoid zeigten keine Auffälligkeiten oder besondere Fähigkeiten. Sie absolvierten verschiede Testaufgaben eher schlechter als unbehandelte Artgenossen. Aber vielleicht ist ja gerade das menschlich?