Donnerstag, 25. April 2024

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Neustart für Veranstalter
Warten auf die große Party

Kaum ein Wirtschaftszweig hat so stark unter der Corona-Pandemie gelitten wie die Veranstaltungsbranche. Zum geplanten Neustart will der Staat Kulturveranstaltern mit einem Schutzschirm aushelfen. Messen und Kongresse fallen nicht darunter, doch auch sie blicken optimistisch nach vorne.

Von Manuel Waltz | 28.05.2021
Zuschauer verfolgen auf einer Wiese das Open Air Konzert des Gitarristen John Scofield. In diesem Jahr gibt es in Moers neben Streams immerhin vier Open-Air-Konzerte mit jeweils bis zu 500 Besuchern.
Konzerte, Messen, Kongresse: Mit 130 Milliarden Euro Umsatz ist die Veranstaltungsbranche der sechstgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland (dpa / Bernd Thissen)
Steffen Kache steht im Hof der Distillery in Leipzig. Der Eigenbeschreibung nach ist das der älteste Techno-Club in Ostdeutschland. Kache ist der Betreiber des Clubs, der weit über die Stadt hinaus bekannt ist. Doch seit März 2020 hat hier kein DJ mehr aufgelegt, niemand hat mehr getanzt. Das soll sich bald ändern. Auch wenn Corona noch nicht vorbei ist.
"Vom Zeitraum ist es trotzdem geplant von 23 Uhr bis nächsten Morgen um zehn. Das heißt, ein richtig klassischer Clubabend. Wir haben uns deswegen auch mit Absicht dagegen entschieden, einen Clubabend mit AHA-Regeln zu testen, weil das völlig realitätsfern ist."

Modellprojekt in Leipziger Techno-Club geplant

Da in Leipzig die Inzidenz niedrig ist, haben beispielsweise Museen und der Zoo wieder geöffnet, genauso die Außengastronomie. Ein Techno-Club wie die Distillery, in dem normalerweise etwa 600 Menschen die ganze Nacht durchtanzen und schwitzen, ist aber etwas ganz Anderes. Ein Dancefloor mit Maskenpflicht ist nicht vorstellbar. Auch Abstand halten fällt nach ein paar Bier schwer, das weiß Steffen Kache. Deshalb braucht es hier viel aufwändigere Konzepte.
"Geplant sind zwei Veranstaltungen á 200 Personen. Das heißt, dass wir trotzdem, wenn irgendwas dann passiert, es kann ja trotzdem irgendwas passieren, dass dann der Schaden natürlich nicht zu groß ist."
Geschlossenes Kino Cinema Paris mit Motto "Ohne Kunst/Uns Und Kultur Wird es Still" auf dem Kurfuerstendamm in Berlin.
Veranstaltungsbranche – "Wir verlieren etwa einen Jahresertrag pro Monat"
Der Mitinitiator des Bündnisses "Alarmstufe Rot", Christian Eichenberger, hat von der Bundesregierung ein klareres Öffnungskonzept für Veranstaltungen wie Konzerte und Messen gefordert. Er warnte davor, eine Inzidenz von 35 als Richtwert für Öffnungen zu etablieren.
Gemeinsam mit Tobias Loy koordiniert er das Leipziger Modellprojekt "Kultur // Reallabor": Es sollen Veranstaltungen in mehreren Kultureinrichtungen ermöglicht werden. Zugleich soll untersucht werden, wie sich diese Veranstaltungen auf das Infektionsgeschehen auswirken. Wenn das Projekt vom Land Sachsen genehmigt wird, könnte in der Distillery am 12. Juni zum ersten Mal wieder getanzt werden. Jede Besucherin, jeder Gast muss dann vor dem Club-Besuch negativ getestet sein. Und zwar mit einem PCR-Test, ein Schnelltest wäre zu unsicher bei so vielen Menschen. Mit dem Genom-Spezialisten Tomislav Maricic vom nahe gelegenen Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie haben die Club-Betreiber ein Konzept entwickelt, das mit PCR-Tests arbeitet und dennoch finanziell tragbar ist. Immer zehn Tests auf einmal werden ausgewertet, das drückt die Kosten auf fünf Euro pro Stück. Nachmittags müssen alle angemeldeten Club-Besucher das erste Mal vorbeikommen und sich hier im Hof testen lassen, erklärt Loy.
"Es gibt eine Einlasssituation, die es eben ermöglicht, dass Leute in einem anderen Eingang reinkommen, als sie rausgehen werden. Das heißt, wir können auch die Abstände realisieren, wo dann unter wissenschaftlicher Begleitung und Abstand und mit ausschließlich geimpftem Personal und trotzdem Schutzbekleidung, die Leute einen Gurgeltest machen. Diese Proben werden verschlossen, ins Labor geliefert und im Labor getestet und bis 19 Uhr sind die Testergebnisse da. Jede, jeder bekommt erst einmal eine SMS: Hey, alles gut, du kannst kommen, oder: Nee, kannst nicht kommen."

Hoffnung auf einen vollen Club im Herbst

Auch fünf bis sieben Tage nach der Veranstaltung sollen die Besucherinnen und Besucher noch einmal getestet werden, um zu prüfen, ob sie eine höhere Ansteckungsquote haben als der Durchschnitt in Leipzig. Geht alles gut, dann sollen schrittweise mehr Menschen pro Abend in die Distillery eingelassen werden. Vielleicht im Herbst, so hofft Betreiber Kache, könnte der Club dann wieder voll sein.
Durch eine Drehtür ist ein blaues Aufstellschild mit der Aufschrift 'Kein Eingang, No entrance' zu sehen.
Im Hintergrund sind die leeren Kassenplätze.
Leipzig ohne Buchmesse
Eine Woche vor ihrem Beginn wurde die Leipziger Buchmesse wegen des Coronavirus abgesagt. Verlage, Veranstalter und Messebauer müssen teils heftige finanzielle Einbußen hinnehmen – den wirtschaftlichen Schaden schätzt die Stadt auf einen dreistelligen Millionenbetrag.
Kaum ein Wirtschaftszweig war und ist so stark von den Corona-bedingten Einschränkungen betroffen wie die Veranstaltungsbranche. Seit März 2020 herrscht Stillstand, nichts geht mehr. Jetzt wollen Diskotheken, Clubs und Konzertveranstalter langsam und sicher wieder öffnen. Denn die Perspektiven für die Veranstaltungsbranche sind gut, das prognostiziert Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
"Sobald wirklich Lockerungen möglich sind, bin ich da eigentlich sehr optimistisch. Aber hier durchzuhalten... viele der Einrichtungen, viele der Selbständigen haben keine finanziellen Reserven gehabt. Das ist eine Herausforderung, hier durchzuhalten und da ist die staatliche Unterstützung, sobald sie geleistet werden konnte, natürlich auch sehr sinnvoll. Weil ich nicht glaube, dass diese Zweige, diese Wirtschaftszweige, wenn man es wirtschaftlich jetzt beurteilt, dass die verschwinden werden. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, es wird da einen enormen Nachholeffekt geben wird nach der Krise."

Wissenschaftler: Großer Nachholbedarf nach Kultur

Nach über einem Jahr ohne Veranstaltungen sind die Menschen hungrig auf Kultur und Begegnung, das sehen viele so, auch Fitzenberger. Und hinzu kommt noch etwas Anderes:
"Mittlere Einkommen, hohe Einkommen haben trotz Einkommensrückgängen im letzten Jahr sehr viel Geld gespart. Wenn die Möglichkeit besteht, dieses Geld auszugeben, dann wird es ganz starke Nachholeffekte geben."
FKP Scorpio mit Sitz in Hamburg ist einer der größten Konzert- und Festival-Veranstalter in Europa. Rock am Ring oder das Hurricane-Festival mit rund 80.000 Besuchern gehören zum Programm. Auch Geschäftsführer Stephan Thanscheidt sieht gute Perspektiven für sein Unternehmen und die ganze Branche. Er blickt hoffnungsvoll nach England, wo schon deutlich mehr Menschen geimpft sind und das kulturelle Leben langsam wiederbeginnt.
"Ich höre auch von unseren englischen Kollegen, dass Dinge, die jetzt in den Vorverkauf gegeben werden, wirklich rennen, wie wir bei uns in der Branche immer sagen. Das funktioniert also ganz gut."
Von Angst und fehlendem Vertrauen in die Sicherheit der Veranstaltungen sei dort wenig zu spüren, so Thanscheidt.
"Und es gibt zudem auch empirische Erhebungen darüber, die für Deutschland zeigen, dass es demographisch ein bisschen unterschiedlich zu betrachten ist. Je jünger es wird, desto kompromissloser ist die Bereitschaft, möchte ich fast sagen, sofort wieder ins Konzert oder in die Kulturveranstaltung zu rennen, sobald wir die Tür aufschließen. Je älter es wird, desto mehr Vorsicht gibt es. Ich bin aber wirklich zu hundert Prozent davon überzeugt, dass wenn wir die Türen sozusagen zu unserem kulturellen Leben wieder aufschließen, diese eingerannt werden. Das ist so ein bisschen wie der Korken, der aus der Sektflasche knallt. Oder viele amerikanische Soziologen sagen die Roaring Twenties wieder voraus. Weil diesen Einschnitt weltweit hat es so noch nie gegeben oder zumindest nicht seit dem Zweiten Weltkrieg. Und man glaubt schon, dass, wenn wir weltweit diesen Schritt gemacht haben und hohe Impfraten haben, ja, die Welt wahrscheinlich gemeinschaftlich eine große Party feiern wird."

Große Festivals brauchen viel Vorlauf

Nur: Mit der ganz großen Party wird es wohl noch etwas dauern. Der Kulturkosmos Müritz etwa, der Verein, der üblicherweise das Fusion Festival an der Mecklenburgischen Seenplatte mit mehreren 10.000 Besuchern veranstaltet, wollte es im Juni mit einem aufwendigen PCR-Test-Konzept versuchen, hat aber dann doch die Veranstaltung für dieses Jahr ganz abgesagt. Auch FKP Scorpio hat alle geplanten Festivals und Konzerte für Juni und Juli gestrichen, auch für August und September sieht es schlecht aus. Erste Festivals mit einer realistischen Chance sieht Thanscheidt im November, die wegen der Jahreszeit dann aber drinnen stattfinden müssen.
Das Problem: Große Festivals haben eine enorme Vorlaufzeit. Meist ein ganzes Jahr. Bands müssen gebucht, die ganze Infrastruktur aufgebaut werden, hunderte Helferinnen und Helfer müssen eingestellt, Catering beschafft, Medienpartner und Sponsoren organisiert, Sicherheitsdienste engagiert werden. Und jetzt kommen noch die Infektionsschutz-Konzepte hinzu. In der derzeitigen Unsicherheit zu planen, ist daher fast unmöglich, sagt Stephan Thanscheidt.
"Es ist viel passiert in den letzten Wochen, es gibt auch wieder viele positive Dinge zu berichten, aber was die Exit-Strategien angeht, auf Inzidenzwerten beruhend und so weiter, sind wir ja über den 30.06. hinaus noch nicht wirklich schlauer und da wäre es schon wichtig, dass wir demnächst auch mal ein bisschen mehr Planungssicherheit bekommen, um auch zu wissen, was ist denn behördlich überhaupt gefordert."
Blick in den Saal des Opernhaus im Staatstheater Nürnberg - die Ränge sind leer.
Komponist Matthias Hornschuh: "Die Branche stirbt"
Die Kreativwirtschaft ist laut einer Studie mit Umsatzeinbußen von über 30 Prozent stärker von der Corona-Krise betroffen als der Tourismus oder die Autoindustrie. Massive Hilfszahlungen vom Bund seien unerlässlich, sagte der Komponist Matthias Hornschuh, Mitglied des Aufsichtsrats der GEMA, im Dlf.

Neustart soll mit Sonderfonds abgesichert werden

Mögliche Virus-Mutationen könnten die Wirksamkeit der Impfung unterlaufen – auch das ist ein weiteres Risiko für die ohnehin verunsicherte Branche. Um einen Neustart abzusichern, hat der Bund nun zusammen mit den Ländern einen zweieinhalb Milliarden Euro schweren Sonderfonds aufgelegt. Er besteht aus zwei Säulen: Damit Veranstalter auch mit reduziertem Publikum wirtschaftlich arbeiten können, erhalten sie einen Zuschuss. Bei größeren Events wird der Fonds außerdem als eine Art Ausfallversicherung einspringen, wenn beispielsweise ein monatelang geplantes Festival dann doch wegen wieder steigender Inzidenzen abgesagt werden muss. Dieser Fonds sei ein wichtiger Schritt, damit es wieder losgehen kann, sagt Thanscheidt.
"Ich glaube, dass es für den Großteil der Kultur schon wichtig ist, nach den wirklich harten Zeiten, die jetzt hinter uns liegen, so eine relative Sicherheit zu spüren, in mehrerlei Hinsicht aber natürlich auch in finanzieller."
Allerdings, wenn Veranstaltungen gar nicht erst erlaubt werden, dann bringt auch ein solcher Schutzschirm wenig.
Steffen Kache von der Leipziger Distillery steht jetzt in seinem Clubraum, vor der Bühne, auf der früher die DJs aufgelegt haben, rechts hinten ist die Bar. Ein paar leere Bierflaschen stehen hier noch. Im Moment ist er zuversichtlich, dass sein Modellprojekt erlaubt und damit etwas gewagt wird. Ein neues Kapitel in Sachen Corona wäre das in seinen Augen.

Clubbetreiber fordert: Weg von der Null-Risiko-Strategie

"Ich glaube, das ganz grundlegende Thema ist, dass die Politik von ihrer so genannten Null-Risk-Strategie abweichen muss. Im Moment werden ja nur Dinge erlaubt, die im Prinzip sicherstellen, dass gar nichts passiert. Was natürlich sehr weltfremd ist. Wir werden mit diesem Virus leben müssen, den wird es jetzt immer geben und es wird immer das Risiko geben, dass man sich damit ansteckt. Vielleicht wird die Gefährlichkeit sinken, aber es wird immer dieses Risiko geben."
Ein hartes Jahr hat auch die Leipziger Messe hinter sich. Martin Buhl-Wagner ist einer der beiden Geschäftsführer. Er sitzt in einem Besprechungsraum mit Blick auf den großen Vorplatz mit einem Brunnen in der Mitte. Derzeit läuft "Leipzig liest", aber nur online. Normalerweise ist dieses Lesefest Teil der Buchmesse, dann strömen zehntausende Menschen über den Platz unter ihm in die Hallen. Jetzt ist der Platz leer. Auch Buhl-Wagner fordert klare Öffnungsperspektiven, vor allem, weil seiner Ansicht nach bei den Veranstaltungen hier in der Messe die Hygieneregeln eingehalten werden können. Solche Veranstaltungen seien sicher, sagt er. Und andere Länder beginnen bereits damit.

Internationaler Messemarkt könnte neu aufgeteilt werden

"Deutschland ist das Messeland Nummer eins gewesen. Die meisten Marken, die Leitprodukte, die Leitmessen sind in Deutschland oder aus Deutschland in anderen Märkten. Mit der Art und Weise wie wir das jetzt gerade angehen, haben wir eher das Problem, das Märkte neu aufgeteilt werden. Und das sehe ich aus internationaler Sicht. Und das kommt auch nicht wieder zurück."
ILLUSTRATION - 17.08.2020, Hessen, Frankfurt/Main: Ein Stapel neuer Bücher liegt auf einem Verkaufstisch in einer Buchhandlung im Stadtteil Bornheim. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa/Frank Rumpenhorstdpa | Verwendung weltweit
Buchmesse digital – Ein seltsames Gefühl
Die Branche muss sich nach neuen Formen der Öffentlichkeit umschauen – in einer Zeit ohne Lesungen, ohne physische Messen, ohne Tagungen, ohne Buchpräsentationen. "Es fehlen wichtige Veranstaltungen" sagte die Aviva-Verlegerin Britta Jürgs im Deutschlandfunk.
2020 hat das Research Institute for Exhibition and Live-Communication in Berlin die wirtschaftliche Bedeutung der Veranstaltungsbranche untersucht. Dazu gehören wirtschaftsnahe Veranstaltungen, öffentliche- und Kulturveranstaltungen und Sportevents. Eineinhalb Millionen Menschen arbeiten in dieser Branche, und mit 130 Milliarden Euro Umsatz ist es der sechstgrößte Wirtschaftszweig. 80 Prozent davon entfallen allein auf die wirtschaftsnahen Veranstaltungen. Viele Kongresse und Wirtschaftstreffen wurden seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie digital veranstaltet, was für die Ausrichter viel billiger ist. Das Digitale ist gekommen um zu bleiben, sagt auch Messe-Geschäftsführer Martin Buhl-Wagner. Aber:
"Wenn man diese Lockdown-Zeit mal in zwei Teile teilt, dann war es am Anfang die Euphorie zur digitalen Veranstaltung. Die zweite Zeithälfte drückt für uns ganz klar aus, die Leute wollen sich austauschen. Sie wollen die Begegnung haben und daran haben wir eigentlich auch keinen Moment gezweifelt. Das heißt, es wird die realen Begegnungen geben, und die werden der Nukleus der Veranstaltungen unterschiedlichster Formate sein. Aber die digitale Welt ist damit nicht aufgehoben, sondern es wird viele Elemente geben, die wir mit einer viel größeren Leichtigkeit in unsere Themen einbinden."

Reale Begegnungen als "Nukleus"

Zum Beispiel geht er davon aus, dass viele Veranstaltungen künftig hybrid abgehalten werden. Also eine analoge Veranstaltung hier in der Messe, und zusätzlich digitale Angebote, wodurch sich auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der ganzen Welt einbinden lassen, die nicht nach Leipzig kommen können. Zu seinem Unternehmen gehören die Vermietung der Räume und Hallen hier im Messezentrum, aber auch Caterer, Messebauer und andere Dienstleister rund um das Veranstaltungsgeschäft. Alle sitzen schon in den Startlöchern und warten auf das Go der Politik, berichtet er. Er plant mit kleineren Veranstaltungen ab September und mit größeren im ersten Quartal 2022. Dann könnte es sogar eng werden, weil der ganze Messe-Kalender durcheinandergeraten ist.
"Von den beiden Halbjahren, erstes und zweites Veranstaltungshalbjahr, ist das erste Halbjahr für uns schon immer ein Kampf um die Tage gewesen, bei manchen Überscheidungen um Stunden: Ist der eine schon raus, wenn der andere wieder drin ist? Diese Themen gab es schon immer. Wenn die Perspektiven gegeben sind, die Rahmenbedingungen gegeben sind, wird es dieses Drängeln im ersten Halbjahr 22, also, das wird es massiv geben.

Viele Selbstständige mussten aufgeben

Viele Gewerke müssen für eine Messe zusammenarbeiten, seit Jahren gewachsene Netzwerke sind nötig, damit alles reibungslos funktioniert. Und diese Netzwerke liegen seit über einem Jahr brach, das bereitet Jan Kalbfleisch große Sorgen. Er ist Geschäftsführer beim FAMAB, der 1963 als Fachverband Messe- und Ausstellungsbau gegründet wurde und die Interessen dieser Branchen vertritt. Viele Selbständige machten mittlerweile etwas anderes, Unternehmen mussten aufhören, berichtet Kalbfleisch.
"Das wird tatsächlich ein kritischer Punkt und je länger es dauert, umso kritischer wird er. Ich habe da keine harten Zahlen, aber ich erlebe das auch sehr stark, dass Menschen sich aus dieser Branche notgedrungen verabschiedet haben. Und ich kann nicht sagen, ob es gelingen wird, diese Menschen zurück zu gewinnen. Es gibt aber einen ganz großen Teil von Menschen, die in der Veranstaltungsbranche arbeiten, weil sie da arbeiten wollen und weil sie diese Branche lieben."
Deshalb ist er zuversichtlich, dass der Neustart gelingen wird und kein Szenario eintritt, in dem es eng wird und sie sagen müssen: Es geht nicht mehr, wir können diese Messe, diese Veranstaltung nicht machen, weil uns die Leute fehlen. Ausschließen kann er es aber nicht. Gerade die nächsten Monate würden schwierig, befürchtet er.
"Wir kommen ja aus einem Jahrzehnt der Vollauslastung in dieser Branche, und dennoch kommen wir auch aus einer Branche, die latent Preisprobleme hat. Das liegt dran, dass wir uns sehr großen Kunden gegenübersehen, sehr großen Projekten gegenübersehen und wir als Einzelunternehmen im Verhältnis sehr, sehr klein sind. Das heißt, wir haben eine gewisse Asymmetrie in der Nachfrage und in den Dienstleistern. Deswegen fürchten wir fast eher, dass es besonders in der Startphase eine schlechte gegenseitige Preisentwicklung gibt, weil die vorhandenen Dienstleister um zu wenige Veranstaltungen kämpfen."

Messen und Kongresse fallen nicht unter den Schutzschirm

Der staatliche Schutzschirm für die Veranstaltungsbranche, den das Bundeskabinett gerade beschlossen hat, bezieht sich nur auf kulturelle Veranstaltungen. Messen und Kongresse etwa sind davon ausgenommen. Das will Kalbfleisch gerne ändern und verweist auf den Kongressfonds Berlin. Das Land gibt einen Zuschuss pro Besucher, damit sich die Veranstaltungen trotz Corona-bedingtem Mehraufwand und reduzierten Teilnehmerzahlen für die Ausrichter rechnen und stattfinden können. Eine Lehre, die Kalbfleisch aus der Corona-Krise zieht, ist, dass sich die Branche besser organisieren muss. Rund 90 Prozent der Unternehmen, schätzt er, sind nicht organisiert, vor allem, weil sie sehr heterogen sind: große und kleine Unternehmen oder Selbständige in ganz unterschiedlichen Gewerken. Der politische Einfluss der Branche hinke der wirtschaftlichen Bedeutung hinterher.
"Die Erkenntnis für uns ist, dass wir den Bereich politische Interessenvertretung, den wir bisher nicht so wirklich aktiv betrieben haben, sehr viel stärker in den Fokus nehmen müssen und zwar nicht nur in der Krise, sondern sehr viel stärker in den langen, hoffentlich langen Phasen zwischen den Krisen, weil man kann in diesen Krisen nur wirklich gut und schnell handeln, wenn man entsprechend in den Zeiten, in denen keine Krise war, sich vorbereitet hat."

Branche braucht bessere Vernetzung und Interessenvertretung

Durch eine umfängliche Satzungsänderung will er seinen Verband für mehr Menschen und Unternehmen öffnen. Und er vernetzt sich mit den anderen Interessenvertretungen seiner Branche. Auch in der Kulturszene in Leipzig ist das zu sehen, erzählt Tobias Loy, der jetzt neben Steffen Kache in der Distillery an der leeren Bar steht. An dem Leipziger Modellprojekt "Kultur / Reallabor" beteiligen sich neben der Distillery auch viele andere, zum Beispiel das Schauspiel Leipzig und der Thomanerchor.
"Wenn man mal etwas Positives sehen möchte daran, diese Vernetzung zwischen den unterschiedlichen Akteuren in der Kreativ- und Kulturwirtschaft, das war vorher nicht so der Fall. Es gab zum einen eine viel, viel stärkere Trennung zwischen Hochkultur und freier Szene, zwischen Clubkultur und Theatern, zwischen Balletttänzern und Musikern und Musikerinnen natürlich auch. Und ich glaube, da ist wirklich etwas passiert. Ich meine, wir sehen uns jetzt gerade permanent, sind im Austausch und treten eben auch gemeinsam auf."
Das sei auch nötig, denn nach der Krise sei auch vor der Krise, meint Loy. Wenn die öffentlichen Kassen nach Corona leer sind und es keine großen Schutzschirme und staatlichen Unterstützungen mehr gibt, dann müsse die Branche weiterhin so geschlossen auftreten und um ihre Interessen kämpfen. Damit Kulturtermine und Veranstaltungen, Konzerte und Clubnächte endlich wieder stattfinden können.