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Neutralität oder konfessioneller Unterricht

Ist der konfessionsgebundene Unterricht ein Auslaufmodell? Zumindest wenn es nach den Linken und der Piratenpartei geht, hat der klassische Religionsunterricht ausgedient. Ganz anders sehen das CDU/CSU, FDP, SPD und die Grünen. Ein Überblick.

Von Burkhard Schäfers | 09.09.2013
    Berlin, Köln, Stuttgart - wer Schulen in deutschen Großstädten besucht, sieht in den Klassenzimmern oft ein buntes Bild: junge Protestanten, Katholiken, Muslime - und immer mehr Schüler, die keiner Konfession zugehören. Da scheint es naheliegend, einen so genannten bekenntnisfreien Religionsunterricht einzuführen. Den fordert die Partei Die Linke, sagt der religionspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Raju Sharma:

    "Beim Religionsunterricht geht es aus unserer Sicht darum, dass man junge Menschen darin unterrichtet, was für verschiedene Religionsvorstellungen es gibt, und auch was für ethische Vorstellungen damit verbunden sind. Das sollte der Staat möglichst frei unterrichten, er sollte abstrakt über die unterschiedlichen Religionen informieren, und dann wäre es besser, wenn die Kirchen eben nicht die Lehrpläne für die Religionsunterrichte mitbestimmen."

    Vorbilder könnten der Ethikunterricht im Land Berlin oder das Fach "Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde LER" in Brandenburg sein, meint Linke-Politiker Sharma. "Bekenntnisfreiheit verwirklichen" - fordert seine Partei in ihrem Programm zur Bundestagswahl. Schulgebet, Schulgottesdienst und religiöse Symbole wie das Kreuz seien in staatlichen Schulen zu entfernen. Raju Sharma:

    "Wogegen wir uns wenden ist, dass durch ein überdimensioniertes Kreuz im Klassenzimmer der Eindruck entsteht, dass der Staat dieser Religion eine Präferenz einräumt. Das kann bei den Schülern so ankommen, dass auch sie dieser Religion einen besonderen Vorrang einräumen sollen. Das wollen wir nicht."

    Eine ähnliche Position nimmt die Piratenpartei ein, die sich ebenfalls für bekenntnisfreien Religionsunterricht einsetzt. Weltanschauliche Neutralität im gesamten Bildungsbereich sei eine notwendige Voraussetzung für die Inklusion aller Glaubensgemeinschaften, so die Piraten. Die Position der Linken und der Piraten wird von vielen anderen Parteien jedoch nicht geteilt. Auch wenn die Regelungen zum Religionsunterricht in die Kompetenz der Länder fallen, spielen sie in den Parteiprogrammen zur Bundestagswahl durchaus eine Rolle. CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne sind plädieren dafür, das bestehende Modell fortzusetzen. Zwar gibt es insbesondere bei Grünen und Sozialdemokraten laizistische Arbeitskreise. Die Mehrheit jedoch will den konfessionellen Unterricht weiterführen. Der grüne Bundestagsabgeordnete Josef Philip Winkler:

    "Im Musikunterricht ist es auch sinnvoller, auf der Flöte zu spielen, als sie sich nur anzugucken. Insofern ist es aus meiner Sicht sinnvoll, Glaubensinhalte - auch Unterschiede zwischen den Religionen - von jemandem mitgeteilt zu bekommen, der selber daran glaubt. Und nicht von jemandem, der abstrahiert und sagt: Ich habe gelesen, das könnte so und so von diesem Menschen verstanden werden."

    Ein Religionsunterricht ohne Bekenntnischarakter widerspreche dem Wesensmerkmal von Religion, sagt denn auch Heinrich Bedford-Strohm. Der bayerische evangelische Landesbischof sieht im Religionsunterricht keineswegs ein Auslaufmodell:

    "Es passt sehr gut in unsere Landschaft, und wenn wir es nicht hätten, müssten wir es neu einführen. Denn dass Religion eine wesentliche Dimension des Menschseins ist, ist zwar nichts, was 100 Prozent aller Deutschen für richtig halten, aber immer noch sehr viele. Das kann jedenfalls genauso viele Argumente für sich in Anspruch nehmen, wie zu sagen: Menschliche Existenz basiert allein auf der Vernunft, ohne Religion."

    So sieht es auch eine Mehrheit in der Politik. Parteiübergreifend wird betont, der konfessionelle Religionsunterricht sei Voraussetzung für einen fundierten interreligiösen Dialog. In diesem Kontext erfährt ein eigener Religionsunterricht für muslimische Schüler breite Unterstützung. Auch von CDU und CSU, sagt Ingrid Fischbach, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag:

    "Weil wir natürlich sehen, dass Kinder anderer Religionen ein Anrecht darauf haben, in ihrem Glauben unterrichtet und begleitet zu werden, und da sollte man keinen Unterschied machen. Das Wichtige ist halt nur, dass man weiß, was unterrichtet wird - da gibt es Vorgaben, das muss geklärt sein - und dann dürfen wir auch keinen Unterschied machen, welche Glaubensrichtung davon betroffen ist."

    Ihre langjährigen prinzipiellen Vorbehalte gegen Islamunterricht haben die C-Parteien weitgehend abgebaut. Längst haben sie Muslime als wachsende Wählergruppe entdeckt. So heißt es im Wahlprogramm von CDU und CSU:

    "Auf der Grundlage der Verfassung treten wir für islamischen Religionsunterricht an den Schulen ein."

    Das unionsgeführte Bundesbildungsministerium finanziert die Ausbildung muslimischer Religionspädagogen an sechs deutschen Universitäten mit. Auch die FDP macht sich für den bekenntnisorientierten islamischen Unterricht stark. Uneins sind sich die Parteien noch über strukturelle Fragen: Aus Sicht der Union können nur islamische Gruppierungen Religionsunterricht verantworten, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben. SPD und Grüne hingegen zeigen sich offen für ein Beiratsmodell, bei dem Vertreter der unterschiedlichen muslimischen Verbände gemeinsam über den Lehrplan entscheiden.

    Schon jetzt wird der islamische Religionsunterricht in immer mehr Bundesländern zur Regel, darunter in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen. Allerdings gebe es in der Bevölkerung immer noch gewisse Ängste, gibt die CDU-Bundestags-Abgeordnete Fischbach zu:

    "Wichtig ist natürlich, auch um diese Ängste zu nehmen, dass der Unterricht in deutscher Sprache stattfindet, dass man versteht, worum es geht. Und dass natürlich genauso Unterrichtsbesuche stattfinden können wie in anderen Fächern auch."