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Neutrino-Forschung
IceCube-Detektor spürt Elementarteilchen kosmischen Ursprungs auf

Physik. - Neutrinos fliegen wie Geister durch Materie hindurch. Daher sind sie kaum zu fassen, obwohl sie in Unmengen durch das All rasen. In der aktuellen "Science" berichten Forscher heute, dass IceCube, ein Detektor am Südpol, immerhin 28 Neutrinos aus den Tiefen des Alls gemessen hat. Womit bewiesen ist, dass die Idee eines Neutrinoteleskops tatsächlich Sinn ergibt.

Von Frank Grotelüschen | 22.11.2013
    Das Video zeigt eine unwirtliche Eiswüste. Am Horizont ein futuristisches Gebäude, auf das gerade ein dick eingepackter Mann zustapft, der frostige Wind pfeift ihm unbarmherzig ins Gesicht.
    "Das Gebäude steht direkt am geographischen Südpol. Unter dem Gebäude ist ein Eispanzer von 2,8 km Dicke",
    sagt Christian Spiering, Physiker am Forschungszentrum DESY in Zeuthen bei Berlin,
    "unter den Füßen von dem dick eingemummelten Mann befindet sich das IceCube Neutrino-Teleskop."
    Ein Teleskop, das kilometertief im Eisschild steckt, aber dennoch ins Weltall blickt. Das kann nur funktionieren, weil dieses Teleskop kein Licht auffängt, sondern Neutrinos. Das sind geisterhafte Teilchen, die in Unmengen durchs Weltall rasen, aber kaum mit Materie wechselwirken und deshalb unbeeindruckt durch sie hindurchfliegen. Damit Spiering und seine Leute wenigstens ein paar dieser Neutrinos aufschnappen können, mussten sie einen raffinierten Detektor konstruieren. Sein Name: IceCube, also Eiswürfel. Er besteht aus 5000 Glaskugeln, jede groß wie ein Basketball, tief versenkt im Eis über ein Volumen von einem Kubikkilometer. Spiering:
    "Im allgemeinen rauscht das Neutrino durch unseren Detektor hindurch und hinterlässt keine Spur, weil es eben so ein Geisterteilchen ist. Aber ganz, ganz selten macht es was: Es stößt auf einen Atomkern. Dabei werden sekundäre Teilchen erzeugt."
    Und diese Teilchen geben bläuliche Lichtblitze von sich – Licht, das die Basketball-Kugeln aufschnappen. Dass der Detektor im antarktischen Eis steckt, hat seinen Grund: In der Tiefe ist das Eis hier derart klar, dass die Lichtblitze weit genug fliegen können, um die Sensorkugeln zu erreichen. Ende 2010 war der Detektor fertig. Seitdem hat er zwar mehr als 100.000 Neutrinos registriert. Die aber stammten nur aus der Erdatmosphäre, erzeugt durch Kollisionen mit kosmischer Strahlung, und hatten eine relativ geringe Energie. Christian Spiering:
    "Eigentlich sind wir auf der Spur von Neutrinos, die nicht in der Erdatmosphäre erzeugt worden sind, sondern weit, weit entfernt."
    Kosmische Neutrinos, so heißen diese Vagabunden aus der Ferne, die den Forschern wichtige Hinweise aus den Tiefen des Alls liefern sollen. Und tatsächlich: Vor einiger Zeit registrierte IceCube zwei Neutrinos, deren Energie viel zu hoch war, als dass sie in der Erdatmosphäre entstanden sein könnten.
    "Diese beiden Ereignisse sehen ein bisschen aus wie die Wuschelköpfe von den Sesamstraßen-Puppen Ernie und Bert. Und deshalb wurden sie auch Ernie und Bert getauft."
    Bald kamen weitere Kandidaten hinzu. Mittlerweile sind es, Ernie und Bert mitgerechnet, 28. Klingt wenig, ist aber genug für eine wissenschaftliche Entdeckung. Spiering:
    "Nun kann eigentlich kaum jemand noch infrage stellen, dass wir die ersten extraterrestrischen Neutrinos gesehen haben – und damit ein neues Beobachtungsfenster zum Kosmos aufgestoßen haben."
    Mit ihrem Neutrinoteleskop hoffen die Fachleute nun, ganz neue Details über die extremsten Phänomene im All zu erfahren – schwarze Löcher, Supernovae und Gammastrahlen-Blitze. Christian Spiering findet vor allem ein Rätsel spannend.
    "Ganz oben auf unserer Einkaufsliste steht, dass wir mit Neutrinos herauskriegen wollen, woher die kosmische Strahlung stammt. Man weiß, dass diese kosmische Strahlung teilweise schwindelerregend hohe Energien hat – zehn Millionen Mal höher als der Large Hadron Collider in Genf. Aber wir wissen bis jetzt nicht, wie die Teilchen auf so hohe Energien beschleunigt werden."
    Erlauben die 28 Neutrinos, die IceCube bisher aufgestöbert hat, schon irgendwelche Rückschlüsse? Spannend wäre zum Beispiel, wenn mehrere Neutrinos aus derselben Richtung kämen. Dort müsste dann ein kosmischer Superbeschleuniger am Gange sein, ein aktiver Galaxienkern vielleicht oder der Überrest einer Supernova.
    "Es scheint einen kleinen Überschuss in der Richtung des Zentrums der Galaxie zu geben. Aber der ist noch nicht signifikant. Die Möglichkeit, dass das ein statistischer Ausreißer ist, ist ziemlich groß. Und darum müssen wir einfach noch mehr Daten nehmen, noch ein bis zwei Jahre warten."
    Und deshalb wollen Spiering und Co erst einmal ein bisschen feiern. Die Erleichterung im Team ist groß. Denn dass IceCube tatsächlich kosmische Neutrinos aufspüren kann – das war nicht unbedingt garantiert.
    "Zwischendurch verliert man manchmal schon ein bisschen die Hoffnung. Und dass es jetzt geklappt hat, ist natürlich ein Ereignis, wo man die Sektflaschen gerne öffnen möchte."