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Neuwahlen in Niedersachsen
"Da bleibt ganz bestimmt Politikverdrossenheit zurück"

Den Wechsel der Niedersächsischen Landtagsabgeordneten Elke Twesten von den Grünen zur CDU findet die Politologin Christine Landfried im Dlf "nicht okay". Es sei Twesten dabei um den Machterhalt gegangen. Hier Gewissensgründe geltend zu machen, würden die Bürger ihr nicht abnehmen und sich eher von den Parteien abwenden.

Christine Landfried im Gespräch mit Jonas Reese | 07.08.2017
    Ein Wähler macht in Hannover auf seinem Stimmzettel die Kreuze.
    Der Landtag in Niedersachsen soll am 15. Oktober 2017 neu gewählt werden - drei Wochen nach der Bundestagswahl. (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
    Jonas Reese: Verfassungsrechtliche und organisatorische Bedenken haben ja den Ausschlag gegeben, die Bundestagswahl und die Niedersachsenwahl nicht zusammenzulegen. Deswegen die Frage: Ein nachvollziehbarer, ein richtiger Kompromiss?
    Christine Landfried: Ja, das ist ein nachvollziehbarer Kompromiss, denn wir brauchen ja auch Zeit zur Vorbereitung einer solchen Wahl. Es muss zum Beispiel sichergestellt werden, dass die Briefwahl möglich ist. Deswegen kann man hier nichts überstürzen, und es ist richtig, dass für diese Wahl genug Zeit für die Vorbereitung da ist.
    Reese: Die beiden großen Parteien waren ja dafür, das auf die Bundestagswahl zu legen. Fünf Monate später wäre jetzt ohnehin regulär gewählt worden. Wie hat sich denn jetzt die Ausgangslage für die beiden großen Player verändert?
    Landfried: Das kann man nicht direkt beantworten. Wir wissen nicht, wie sich die Bundestagswahl dann auf diese Landtagswahl auswirken wird. Dass das ganz ohne Zusammenhang ist, kann man sich aber schlecht vorstellen, denn es liegen ja zwischen beiden Wahlen, Bundestags- und Landtagswahl, dann nur drei Wochen, und insofern denke ich, wird ein Zusammenhang schon da sein. Aber Prognosen bei Wahlen sollte man nie stellen, weil wir ja wissen, auch die Umfragen, die sind eine Sache, aber dann am Ende die Wahl ist wieder eine andere Sache.
    "Es ging ja eher um den Machterhalt"
    Reese: Wenn man jetzt mal zurückblickt: Vor einer Woche, vor einer knappen Woche, muss man ja sogar sagen, galt die rot-grüne Landesregierung in Hannover als relativ stabil und als harmonisch. Finden Sie das okay, dass Frau Twesten das sozusagen komplett geopfert hat mit ihrem Parteiwechsel?
    Landfried: Ich finde das nicht okay. Natürlich kann man die Partei wechseln. Wir haben ja in Deutschland das freie Mandat nach Artikel 38 Absatz 1 Grundgesetz. Die Abgeordneten bei uns, in Bundestag oder Landtagen, sind Vertreter des ganzen Volkes, und sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen. Aber Frau Twesten hat ja keine Gewissensgründe geltend gemacht, und es ging ja nicht um inhaltliche Dinge bei Ihrer Erklärung, weshalb sie die Partei Die Grünen verlässt und zur CDU wechselt, sondern es ging ja darum, dass sie sagt, sie sieht ihre Zukunft nicht bei den Grünen. Also es ging ja eher um den Machterhalt, um machtstrategische Gründe. Und insofern finde ich diesen Wechsel nicht okay.
    Reese: Sie hat inhaltliche Gründe auch angegeben, die nehmen Sie ihr nicht so richtig ab. Heute werden zwei Abgeordnete auch mit den Worten zitiert, sie haben mit Frau Twesten gesprochen, die ihnen gesagt hat, sie habe ein unmoralisches Angebot der CDU. Und wir wollen jetzt noch mal kurz reinhören in das Interview vom Wochenende, das mein Kollege Martin Zagatta mit Frau Twesten geführt hat:
    Martin Zagatta: Das heißt also, wenn ich Sie recht verstehe, die ersten Anfragen kamen dann schon von Seiten der Christdemokraten.

    Elke Twesten: Kein Kommentar.
    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das irgendjemand gut findet"
    Reese: Also da sagt Frau Twesten "Kein Kommentar". Wie lesen Sie das jetzt, Frau Landfried? Wenn das wahr wäre, ist das verwerflich, das Vorgehen der CDU?
    Landfried: Wenn das wahr wäre. Aber man muss ja erst Belege haben. Man sollte nicht jetzt über Gerüchte sprechen. Da ist noch nichts belegt, und man kann nur aus dem Schlussfolgerungen ziehen, was Frau Twesten wirklich gesagt hat. Und da hat sie ja gesagt, sie sieht ihre Zukunft nicht bei den Grünen. Sie war oft inhaltlich auch gegen Entscheidungen der Grünen. Aber wenn sie wirklich von ihrem Gewissen her dachte, sie solle die Grünen verlassen, dann war ja nun die nächste Wahl nicht so weit entfernt, dass es eine Zumutung für ihr Gewissen wäre, vielleicht jetzt so lange dann noch bei den Grünen zu bleiben. Also ich halte diesen zeitlichen Zusammenhang auch, so kurz vor einer neuen Wahl zu sagen, jetzt möchte ich die Partei wechseln, das halte ich für wenig glaubwürdig.
    Reese: Was bleibt da Ihrer Meinung nach beim Wähler zurück? Politikverdrossenheit?
    Landfried: Da bleibt ganz bestimmt Politikverdrossenheit zurück, denn wir müssen uns vorstellen, das war eben ein paar Monate nur vor einer neuen Wahl, und dann war ja ohnehin schon nur eine Stimme Mehrheit. Es war klar, dass durch diesen Wechsel von Frau Twesten eben die Mehrheit für die Regierung nicht mehr da ist. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass das irgendjemand gut findet, und hier also Gewissensgründe geltend zu machen, das werden die Bürger ihr nicht abnehmen, und sie werden sich eher von Parteien abwenden.
    "Allgemeines Problem ist, dass Industrie und Politik zu große Nähe haben"
    Reese: Lassen Sie uns doch noch mal, Frau Landfried, einen kurzen Ausblick auf die Bundestagswahlen doch noch werfen. Ich habe verstanden, Sie mögen da keine Prognosen anstellen. Dennoch noch mal der Blick auf die SPD. Sie gilt jetzt so ein bisschen als der Verlierer dieser ganzen Niedersachsenaffäre. Nach den vorherigen Landesparlamenten, ich hatte es schon erwähnt, jetzt die vierte Niederlage, jetzt auch noch diese Affäre um die redigierte Rede des Ministerpräsidenten Weil vom Volkswagen-Konzern. Ist die SPD da noch irgendwie zu retten aus diesem Abwärtsstrudel?
    Landfried: Diese Frage jetzt gerade mit der Nähe zur Industrie, zwischen Politik und Industrie, - in diesem Fall nun eben trifft das nur auf Niedersachsen zu, wo das - an diesem Beispiel diskutieren wir das bei VW. Aber man muss ja hier sagen, dass das ein allgemeines Problem ist, dass Industrie und Politik zu große Nähe haben, das ist ja nicht nur das Problem einer Partei. Und deswegen kann man es nicht einfach einer Partei anlasten. Egal, welche Partei an der Regierung ist, in Niedersachsen ist immer die Tatsache, dass das Land Niedersachsen 20 Prozent der Anteile bei VW hat, also der zweitgrößte Aktionär ist. Und da ist immer eine Nähe zwischen Politik und Industrie da. Und ich denke, das ist das Problem. Das ist nicht das Problem einer Partei.
    Insofern ist das, finde ich, sehr schade, dass das jetzt im Wahlkampf so aussieht, als sei das ein Problem der Sozialdemokratie. Das ist ein Problem aller Parteien.
    "Das ist ein Problem aller Parteien"
    Reese: Und wie könnte das die SPD jetzt auch mal nutzen? Ich meine, es ist ja wirklich auffällig, dass es gerade bei der SPD haften bleibt, wobei ja die CDU sich gerade in der Dieselaffäre auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.
    Landfried: Die SPD könnte das nutzen, indem dieses Thema wirklich mal öffentlich debattiert wird. Unsere Umweltministerin, Frau Hendricks, hat ja gesagt, es gab offenbar eben also eine zu große Nähe zwischen Industrie und Politik in der Vergangenheit. Und jetzt mal zu überlegen, wie kann es uns wieder gelingen, dass wir in einer repräsentativen Demokratie die Wirtschaft wirklich gestalten und nicht nur einfach sozusagen immer reagieren. Das, finde ich, ist auch ein ureigenes Thema doch der Sozialdemokratie, dass man nicht nur dereguliert und die Wirtschaft immer nur dereguliert und liberalisiert, sondern überlegt, wo kann man das wieder politisch und demokratisch gestalten. Das ist ein Problem aller Parteien, und das ist nicht nur ein Problem jetzt, wie es gerade am Beispiel Niedersachsens auftaucht. Und da wäre die SPD gut beraten zu sagen, hier müssen wir grundlegend überlegen, wie wir das wieder besser steuern können, wie wir wieder politisch gestalten können, was in der Wirtschaft passiert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.