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Neuwahlen in Österreich
Tiefe Gräben zwischen Dauerkoalitionären

Die jahrzehntelange Polit-Ehe zwischen Österreichs Sozialdemokraten und der konservativen ÖVP steht vor der Scheidung. In einem sorgsam geplanten Schachzug hat Sebastian Kurz die angestaubte ÖVP zum Koalitionsbruch geführt - und so Neuwahlen erzwungen und die Partei umgeformt. Pures Politik-Marketing eines jungen Aufsteigers - oder mehr?

Von Andrea Beer, Stephan Ozsváth und Clemens Verenkotte | 11.10.2017
    Die Spitzenkandidaten für den österreichischen Nationalrat, Heinz Christian Strache (FPÖ), Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) (v.l.)
    Die Spitzenkandidaten für den österreichischen Nationalrat, Heinz Christian Strache (FPÖ), Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) (v.l.) (imago / photonews.at)
    "Einen Riesenapplaus für unseren Bundeskanzler, für den Spitzenkandidaten der SPÖ. Am 15. Oktober geht es um alles."

    "Wir wollen mit dem dirty campagning nichts zu tun haben und wir werden auch alle, die dafür verantwortlich sind, zur Verantwortung ziehen."

    Wie Kaugummi klebt an Kanzler Christian Kern die Negativ-Kampagne, die sein ehemaliger Wahlkampf-Berater Tal Silberstein losgetreten hat und einen Wahlerfolg der Sozialdemokraten in weite Ferne rücken lässt. Auch die Wiener SPÖ-Anhänger im Donauzentrum ahnen, dass die Affäre um manipulierte Facebook-Seiten, gegen den konservativen Kontrahenten, Außenminister Sebastian Kurz gerichtet, mit Wissen eines sozialdemokratischen Wahlkampf-Managers, ihrem Kandidaten schadet. Da suchen manche schon Trost in biblischen Vergleichen:
    "Also der Mensch, der ein pannenfreies Leben hinter sich hat, der werfe den ersten Stein. Silberstein."
    Es lief jedoch auch schon vor der Silberstein-Affäre nicht wirklich rund für den Mann, der erst im Mai 2016 – ohne jedes vorherige Parteiamt – vom Posten des obersten Bahnchefs ins Bundeskanzleramt wechselte. Ein Hoffnungsträger für die zerstrittene SPÖ, ein effizienter Polit-Manager, mit dem die Sozialdemokraten wieder Wahlen gewinnen könnten. Die Erwartungen an Christian Kern stiegen anfangs steil in den SPÖ-Himmel. Doch Partei und Politiker, Kader und Kandidat stimmten nicht überein. Trotz aller Bemühungen Kerns, mit den klassischen SPÖ-Themen soziale Gerechtigkeit, faire Bildungschancen und bezahlbare Mieten zu punkten:
    "Magst a Foto mit uns, als langjähriges Mitglied."
    Christian Kern stellt sich dazu, das Selfie ist rasch gemacht. Hier in Niederösterreich, auf dem Winzerfest in Poysdorf nahe der Grenze zu Tschechien, gibt sich der Bundeskanzler gelassen und volksnah:
    "Das ist einer dieser Tage, wo Du eigentlich mit mehr Energie ins Bett gehst, als Du aufgestanden bist. Es gibt viel Zuspruch, viel freundliche Worte und das motiviert einen."
    ARCHIV - Der langjährige SPÖ-Berater Tal Silberstein sitzt am 14.08.2017 im Gericht in Rishon Lezion (Israel). 
    Der langjährige SPÖ-Berater Tal Silberstein (dpa / picture alliance / Gideon Markowic)
    Image-Schaden für die SPÖ
    Der SPÖ-Chef weiß, dass er seit diesem Sommer aus dem Umfragetief seiner Partei nicht herausgekommen ist. Doch als zwei Wochen vor dem Wahlsonntag der Skandal um schmutzige Tricks explodiert, um Diffamierung des politischen Gegners, um angebliche Versuche, ein SPÖ-Wahlkampf-Mitglied für 100.000 Euro zum Maulwurf der Konservativen zu machen, gerät die vormals halbwegs gesittete politische Auseinandersetzung in Österreich zum Schlammschlacht. Die Sozialdemokraten klagen gegen die Konservativen, deren Spitzenkandidat verlangt eine Gesetzesreform, um "Dirty Campaigning" zu einem Straftatbestand zu machen – und das Ganze jeden Abend ausgetragen auf den Fernsehbildschirmen. Die angespannte Stimmung zwischen Kanzler und Außenminister, zwischen Kern und Kurz, zwischen dem sozialdemokratischen und dem konservativen Spitzenkandidaten könnte nicht schlechter sein:
    "Herr Kurz, jetzt tun Sie nicht die ganze Zeit, als ob Sie das Opferlamm sind."
    Kurz: "Aber wenn Sie nur …"
    Kern: "Ich habe 15 Monate lang mit Ihnen zusammengearbeitet."
    Kurz: "Herr Bundeskanzler!"
    Kern: "Und ich habe erlebt, wie die Obstruktion, die von Ihnen ausgegangen ist, funktioniert hat."
    Kurz: "Wenn Sie nur jemanden…"
    Kern: "Jetzt tun Sie nicht so, dass Sie niemanden anpatzen wollen."
    Kurz: "Lassen Sie mich nur einen Satz sagen."
    Kern: "Das ist eine Umkehrung der Verhältnisse."
    Kurz: "Sie hören ja gar nichts auf, mich immer weiter anzupatzen und immer weitere Vorwürfe zu erheben."
    Kern: "Pardon! Herr Kurz, Herr Kurz. Das glaubt Ihnen doch niemand, dass Sie das Opfer sind!"
    Kurz: "Lassen Sie mich vielleicht auch ausreden. Herr Bundeskanzler, es geht nicht darum, dass ich das Opfer bin, sondern es geht darum, dass mit diesem Stil, den Sie nach Österreich geholt haben, das politische Klima vergiftet wird."
    Im Lager der Sozialdemokraten ist die Abneigung gegen die konservative Volkspartei und deren alerten Spitzenkandidaten derart groß, dass die SPÖ nicht noch einmal eine Große Koalition eingehen möchte. Die Gräben zwischen den jahrzehntelangen Dauerkoalitionären sind sehr tief geworden.
    Kurz setzt auf klare Haltung in der Flüchtlingspolitik
    Der 31-jährige Außenminister und Chef der konservativen Volkspartei will am 15. Oktober nicht wie die deutschen Christdemokraten und Christsozialen dastehen. Kurz hat frühzeitig erkannt, dass er mit einer klaren Haltung in der Flüchtlingspolitik – Schließung der Westbalkan-Route, Sicherung der EU-Außengrenzen, geringere Leistungen für Flüchtlinge im eigenen Lande zwei Ziele gleichzeitig erreichen könnte: Die Übernahme der desolaten Volkspartei, die er vollständig auf seine Person ausgerichtet hat – und – wahrscheinlich auch – das Bundeskanzleramt. Österreich habe in der Flüchtlingspolitik einen eigenständigen Kurs gesteuert und dies werde inzwischen auch von vielen EU-Staaten geteilt, wirbt Sebastian Kurz unablässig:
    "Meiner Meinung nach sind diejenigen, die für die offenen Grenzen eingetreten sind, die Dublin außer Kraft gesetzt haben, die für das Weiterwinken der Flüchtlinge waren, das sind diejenigen, die unser Europa ohne Grenzen nach innen in Gefahr gebracht haben."
    ARCHIV - Ein Wahlplakat der "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei (ÖVP)" steht am 30.09.2017 im Wiener Arbeiterbezirk Meidling vor einer Apotheke mit dem Namen «Schutzengel». ÖVP-Chef Kurz wohnt im Bezirk Meidling. 
    Österreich vor der Wahl: Wahlplakat mit Sebastian Kurz (dpa / picture alliance / Matthias Röder)
    Lange hat sich der Spitzenkandidat der Konservativen auf seinen Aufstieg bis an die Spitze vorbereitet. Er schaffte das politische Kunststück, sich als eine "Neue Kraft" im Feld der Kandidaten zu positionieren, die mit der jahrzehntelangen Machtteilung zwischen Sozialdemoraten und ÖVP Schluss machen könne:
    "Ihr seid es, nicht H.C. Strache alleine. Nein. Er braucht Euch. Jeden Einzelnen. Bitte beherzigt das. Jeder von Euch ist ein Wahlkämpfer für Österreich."
    Rechtspopulisten versprechen "blaues Wunder"
    Wahlkampfauftritt der rechtspopulistischen FPÖ in Niederösterreich: Landesparteichef Walter Rosenkranz muss in der Wiener Neustadt den Spitzenkandidaten niemand vorstellen – alle kennen ihn als "HC". Heinz Christian Strache kündigt an, dass das Land am Wahltag ein "blaues Wunder" erleben werde:
    "Das wird ein Duell am 15. Oktober: Freiheitliche Partei Österreich gegen diese rot-schwarze Belastungs- und Stillstandregierung. Die wollen und werden wir abwählen."

    Strache richtet daher seinen Blick bereits auf die Zeit nach dem 15. Oktober – auf eine mögliche schwarz-blaue Koalition, unter einem Bundeskanzler Sebastian Kurz und mit einer starken Ministerriege seiner Freiheitlichen Partei FPÖ.
    Ein sonniger Samstag im Wiener Gemeindebezirk Simmering. Ein paar Dutzend Menschen haben es sich auf Bierbänken gemütlich gemacht. Die Freiheitliche Partei Österreichs, die FPÖ, hat hier zu einem Grätzelfest eingeladen. Grätzel so heißt in einigen Regionen Österreichs der Kiez. Es gibt gegrillte Würstchen und Bier zu kaufen und an einem Wahlstand werden Flugblätter verteilt und blaue FPÖ Luftballons aufgeblasen. Eine ältere Frau schaut den hüpfenden Kindern auf einer Plastikburg zu. Sie findet, die Rechtspopulisten sollten nach der Nationalratswahl mit der konservativen ÖVP von Sebastian Kurz zusammengehen.
    "Ja weil die in vielen Dingen einer Meinung sind. In der Flüchtlingspolitik, in der Wirtschaft teilweise, in der Umwelt, teilweise und ich glaube da sind die meisten Parallelen."

    Der Arbeiterbezirk Simmering wird seit zwei Jahren von der FPÖ regiert und er ist damit ein besonders schmerzhafter Stachel im Fleisch der Sozialdemokraten. Seit dem Zweiten Weltkrieg stellten diese nämlich durch die Bank alle Bezirksbürgermeister und auch der sozialdemokratische Bundeskanzler Christian Kern ist dort aufgewachsen. Dass die Bezirksleitung von Simmering an die Freiheitlichen ging, das wurmt also nicht nur Harald Troch. In einer verrauchten Bar in Simmering will der Nationalratsabgeordnete mit den Gästen über die SPÖ reden.

    Anders als in den letzten Jahrzehnten ist nun auch die SPÖ grundsätzlich bereit, mit den Rechtspopulisten auch im Bund zu koalieren. Eine Entscheidung die parteiintern umstritten ist. Harald Troch hingegen fordert schon lange eine Öffnung zu den Blauen im Bund und liegt in dieser schwierigen Frage mit großen Teilen seines linken Wiener Landesverbands überkreuz.
    "Ich bin jetzt nicht der Blauverbinder in der SPÖ, aber der Unterschied zu früher ist, das die FPÖ in den Meinungsumfragen bis zu 36 Prozent gelegen ist und geführt hat und der Herr Kurz genau mit den Themen unkontrollierte Zuwanderung, Sicherheit, Obergrenze bei den Asylanträgen gepunktet hat. Das ist der Unterschied. Ich denke die Aufgabe der SPÖ ist es vor allem den Blauen Stimmen abzujagen. Und da muss man sich den Themen, die für blaue Wähler wichtig sind, da muss man sich den Themen annehmen und nicht den Schwanz einziehen vor diesem Thema."

    Zurück zum Simmeringer Grätzelfest der Rechtspopulisten. Ein großer, schlanker Mann mit zurückgekämmtem Haar und Brille läuft ein wenig herum, schüttelt Hände und plaudert hie und da mit den Leuten. Es ist Harald Stefan, Er ist nicht nur Chef der Simmering FPÖ, sondern auch Parteivize und sitzt im Nationalrat. Dass die Blauen das rote Simmering erobern konnten, das erklärt Harald Stefan so.
    "Die hatten den Eindruck, die gewinne hier sowieso alle Wahlen, weil sie eben früher hier mal 70,80 Prozent Stimmanteil hatten, und gleichzeitig hat eine Zuwanderung ja auch in Simmering eingesetzt. Das merken halt gerade die Menschen, die eher im unteren Einkommensbereich sind. Die haben sich dann natürlich schon auch an die Sozialdemokraten gewandt und die haben das völlig negiert. Die haben gesagt, das Problem gibt es nicht, ihr seid in Wirklichkeit nur fremdenfeindlich und primitiv. Und da sind sie dann immer stärker zur FPÖ auch gekommen."
    Dieses Bild zeigt ein Wahlplakat der freiheitlichen Partei Österreichs FPÖ für die Nationalratswahl im Oktober 2017 auf dem Messegelände Wels.
    Wahlkampfauftakt der FPÖ für die Nationalratswahl im Oktober 2017 auf dem Messegelände von Wels. (imago/Rudolf Gigler)
    FPÖ betreibt systematische Feindbildpflege
    Die FPÖ fordert für Österreicher eine Mindestrente von 1200 Euro pro Monat, Österreichische Familien sollen umsonst in Museen dürfen und der öffentlich rechtliche Rundfunk ORF auf mehr Österreich Inhalte verpflichtet werden. Die FPÖ will aber vor allem Zuwanderung stoppen und mehr Abschiebungen. Bernhard Weidinger vom Wiener Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands DÖW befasst sich mit Rechtsextremismus und Neonazismus im internationalen Vergleich. Er stuft die FPÖ politisch und ideologisch als rechtsextrem ein.
    "Da wäre mal ihr Bekenntnis zur deutschsprachigen Kulturgemeinschaft, ihre Kooperation mit rechtsextremen Parteien auf internationaler Ebene, ihre enge Kooperation mit rechtsextremen Akteuren auch auf nationaler Ebene sowie der Umstand, dass die FPÖ eine ganze Reihe von rechtsextremen Zeitschriften regelmäßig mit Inseraten fördert. Auf programmatischer Ebene wäre vor allem zu nennen: Die systematische Ethnisierung des Sozialen, die die FPÖ betreibt, die systematische Feindbildpflege, zuletzt auch zu beobachten eine doch auch systematische Unterminierung des Legitimität der österreichischen Demokratie. Indem man dazu übergegangen ist bereits vor Wahlen gewisse Gerüchte zu streuen, dass da mit Manipulationen zu rechnen sei."
    Eine gemeinsame Regierung von Kurz und Strache?
    In Umfragen konkurrierten FPÖ und Sozialdemokraten lange um den zweiten Platz. Doch die Wahlkampfaffäre der SPÖ rund um ihren Ex-Berater Silberstein hat den Sozialdemokraten sehr geschadet. Zurzeit sieht es also so aus, als könnte die FPÖ den zweiten Platz belegen. Dann wäre wohl eine schwarz-blaue Regierung unter der Führung eines Kanzlers Sebastian Kurz möglich und FPÖ Parteichef Heinz Christian Strache könnte zum Vizekanzler und Innenminister aufsteigen.
    "Was auf jeden Fall bei einer FPÖ-Regierungsbeteiligung kommen wird, ist dass Österreich deutlich ungemütlicher wird für Personen ohne Staatsbürgerschaft. Es würde im kulturpolitischen Bereich vermutlich ein Kahlschlag einsetzen, bei kritischen Kulturinitiativen. Stattdessen will die FPÖ Initiativen fördern, die sich eben der Brauchtumspflege und der Stärkung der kulturellen Identität verschrieben haben. In innenpolitischer Hinsicht will man Instrumente der direkten Demokratie stark ausbauen, was zu langjährigen FPÖ-Strategie der permanenten Mobilisierung des sogenannten gesunden Volksempfindens passt. Das heißt das ist sozusagen die Grundlinie freiheitlicher Politik, diese systematische Auftrennung zwischen dem Wir und den Anderen."

    Schon zwischen 2000 und 2006 regierten die Blauen mit, unter der Führung des ÖVP Kanzlers Wolfgang Schüssel. Der Übervater der Freiheitlichen - Jörg Haider - gehörte diesen Regierungen nicht an, denn international wäre die Ablehnung sonst noch größer gewesen.
    Grüne setzen auf Europa
    Eine Ziehharmonika weist den Weg zum Heurigen. Grünen-Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek ist auf Wahlkampftour - Weinwandern in den Wiener Rebenhügeln. Vom Wilhelminenberg im Arbeiterbezirk Ottakring geht es im Journalisten-Tross zu den Freiluft-Schänken. Ulrike Lunacek strahlt Optimismus aus. Die 60-jährige Europapolitikerin spürt Rückenwind durch das Wahlergebnis der deutschen Gesinnungsgenossen.
    "Wir liegen im Moment so bei sechs, sieben Prozent. Ich möchte mit den Themen, die für uns zentral sind, noch zulegen: Das ist zum einen der Kampf gegen den Klimawandel, das ist ein wichtiger Punkt. Der zweite ist: Soziale Gerechtigkeit. Wir wollen hier Grenzen einziehen und sicherstellen, dass die Menschen sich das Wohnen wieder leisten können. Und das dritte ist einfach eine proeuropäische Haltung. Eine, die sagt: Die großen Probleme, die sind nur gemeinsam in Europa zu lösen."

    Die politische Konkurrenz rechts und rechtsaußen setzt auf Populismus, der konservative Kandidat Sebastian Kurz versucht sich als Erneuerer zu inszenieren – und seine Traditionspartei mit ihren vielen Bünden als "Bewegung". Er tut so, als gehöre er gar nicht zur Regierung. Und im Wesentlichen bespielt er ein Thema. Kurz gibt sich als der Mann, der die Balkanroute geschlossen hat. Lunacek will andere Akzente setzen.
    "Wir wollen die Lösungen. Wir wollen legale Zugänge für Flüchtlinge, zum Beispiel über "Botschaftsasyl" wieder einzuführen. Wir wollen auch, dass die Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union verteilt werden. Da müssten auch die großen Parteien mehr tun, um ihre Kollegen in den europäischen Mitgliedsländern davon zu überzeugen, dass das möglich ist. Und wir wollen auch bei der Integration Maßnahmen, die wirklich die Probleme lösen. Als nur mit Schlagwörtern und Symbolpolitik gegen Menschen vorzugehen, die hier Schutz gesucht haben."
    Der politische Mainstream in Europa ist gerade ein anderer. Die Grünen-Themen sind nicht gerade en vogue. Auch in Österreich nicht.
    Hinzu kommt: Hinter den Grünen liegt ein Jahr der Krisen: Streit mit der grünen Jugend, Abgang der langjährigen Parteichefin, Spaltung der Partei, weil der prominente Aufdecker Peter Pilz seine eigene Liste gegründet hat. Politologin Sieglinde Rosenberger beurteilt die Lage der Grünen im ARD-Interview so.
    "Zu den Grünen ist anzumerken, dass sie durch die Bundespräsidentschaftswahl wirklich einen sehr großen Erfolg hatten in der Vergangenheit, gleichzeitig diese Wahl ihnen aber sehr viel Kraft gekostet hat, und dies hat möglicherweise dazu geführt, dass abermals intern eine Reihe von Spannungen aufgetaucht sind, was letztlich zur Spaltung der Grünen hier in Österreich geführt hat."
    Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Ulrike Lunacek von den österreichischen Grünen
    Ulrike Lunacek von den österreichischen Grünen (imago / Eibner Europa)
    Neos: eine Art alpenländische FDP mit Herz
    In pinkfarbenes Licht ist der Kursalon in der reichen Gemeinde Mödling bei Wien getaucht, viel Glas und eine filigrane Konstruktion suggerieren Transparenz. Neos-Parteichef Matthias Strolz bahnt sich einen Weg zu den Stehtischen. Der Ober-Pinke ist bekannt für knackige Sprüche und bittet Interviewer auch schon mal mit auf die Yoga-Matte. Strolz begrüßt Presse und Parteifreunde.

    Die politische Inszenierung beherrscht auch die kleine liberale Partei, vor fünfeinhalb Jahren hat sie die politische Bühne Österreichs betreten. Die Neos wollen Steuern senken, aber sie sind auch für ein starkes Europa, für ein besseres Bildungssystem – eine Art alpenländische FDP mit Herz. Und sie geht neue Wege. Im Stile von Tupperparties besuchen Botschafter kleine Wählergruppen auch zu Hause. Parteichef Strolz sagt.

    "Österreich braucht Erneuerungskräfte. Jetzt die Republik Österreich in die Hände von SPÖ und ÖVP und diesem halbkorrupten verkrusteten System zu geben, oder irgendwo die Blauen dazu zu hängen, von denen wir gesehen haben, wo es geendet hat, in Kärnten, nämlich bei 14 Milliarden Debakel der Landesbank. Das halte ich nicht für sinnvoll für dieses Land."

    Erneuerung – das ist das Versprechen für ein Land, das der ewigen Großen Koalition überdrüssig ist. Sebastian Kurz, Außenminister und damit selbst seit sieben Jahren Teil der Großen Koalition, tut im Wahlkampf so, als hätte er damit nichts zu tun. Er hat versucht, den Neos kluge Köpfe abzuwerben. Vergeblich. Die Neos ihrerseits haben die frühere Höchstrichterin Irmgard Griss gewinnen können.
    "Das ist schon erstaunlich, wie jemand, der sieben Jahre in der Regierung ist, den Eindruck eines völlig unverbrauchten Politikers erwecken kann. Aber man sieht daraus auch, dass die Menschen eine große Sehnsucht nach einer neuen Politik haben. Und ihm gelingt es offenbar, diese Hoffnung zu verkörpern."
    ARCHIV - Matthias Strolz, Vorsitzender der Partei Neos, jubelt am 29.09.2013 in Wien. 
    Matthias Strolz, Vorsitzender der Partei Neos (dpa / picture alliance / Herbert P. Oczeret)
    Vor einem Jahr erst ist die 70-Jährige in die Politik gegangen. Die frühere Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes wollte in die Hofburg einziehen, als Bundespräsidentin. Sie scheiterte im ersten Wahlgang, floppte in einem Privatsender mit einer Gerichtsshow. Nun ist sie bei den Neos.

    "Der erste Beweggrund war die Haltung der Neos zu Europa. Das zweite ist, dass Neos zukunftsgerichtet ist und das dritte ist, dass uns gemeinsame Werte verbinden. Der wesentliche Wert für mich, ist der gegenseitige Respekt."
    Eine große Veränderung wird es geben, glaubt man den Umfragen: Kanzler wird wohl ein 31-Jähriger werden, im Beiboot eine rechtspopulistische Partei, die tief im Burschenschaftler-Milieu verwurzelt ist. Ein Rechtsruck. Parteichef Strolz meint.
    "Eine schwarz-blaue Regierung. Das ist das Modell Orbán für Österreich. Das ist eine Konstellation von völkischer Politik, kombiniert mit nationalpopulistischer Verengung. Das ist die Verabschiedung von einem weltoffenen Österreich im Herzen Europas. Das macht Österreich eng. Das nimmt den Menschen Chancen."