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New Atheism
Die Popstars der Gottlosen hoffen auf ein Comeback

Die Zahl der Amerikaner, die sich keiner Religion zugehörig fühlen, steigt. Zu diesem Ergebnis kommt das Meinungsforschungsinstitut Pew. Solche Zahlen passen – scheinbar – perfekt zum Jubiläum der Neuen Atheisten. Diese Gruppe von Intellektuellen macht seit zehn Jahren mit ihrer wortgewaltigen Kritik an Glauben und Religion Furore. 2006 erschien "Der Gotteswahn" (The God Delusion ) von Richard Dawkins, das in Deutschland bekannteste Buch des New Atheism. Die Intellektuellen melden sich wieder verstärkt zu Wort.

Von Katja Ridderbusch | 25.01.2016
    Busse mit atheistischer Botschaft fahren in Großbritannien
    Auch mit dem Bus wurde in verschiedenen Ländern für New Atheism geworben (picture alliance / dpa / Andy Rain )
    ."Faith is believing without evidence. Believing because I want to believe. That's not a respect-worthy reason to believing."
    Religion sei Glauben ohne Beweise, sagt der Evolutionsbiologe Richard Dawkins, und das sei für ihn kein respektabler Grund. Dawkins gehört – neben dem Neurowissenschaftler Sam Harris, dem Journalisten Christopher Hitchens und dem Philosophen Daniel Dennett - zu den vier Frontmännern des "Neuen Atheismus", einer Bewegung, die sich vor 10 Jahren in den USA formte. Ihre Bücher stürmten damals die Bestsellerlisten, mit Titeln wie "Das Ende des Glaubens", "Der Herr ist kein Hirte" oder "Der Gotteswahn". Letzteres war auch in Deutschland ein Bestseller.
    Jetzt hoffen die Popstars des Neuen Atheismus auf ein Comeback. Denn: Die Zahl der Amerikaner ohne Religionszugehörigkeit wächst. Harvey Cox ist Religionswissenschaftler an der Harvard-Universität und Autor des Buches "Die Zukunft des Glaubens". Er begrüßt kontroverse Debatten über Religion. Was aber wirklich neu sein soll an den Argumenten der Neo-Atheisten, kann er nicht recht erkennen.
    "Ihre Kritik richtet sich vor allem gegen institutionalisierte Religion und ihre Verbrechen über die Jahrhunderte – von der Inquisition über die Kreuzzüge bis zum islamischen Terrorismus."
    Der Neue Atheismus macht zwar auch in Europa von sich reden, aber in den USA fanden – und finden – dessen Protagonisten ein besonders dankbares Feindbild: Die christlichen Fundamentalisten, die konservativen Evangelikalen. Sie ziehen gegen Darwins Evolutionstheorie zu Felde und beharren darauf, die biblische Schöpfungsgeschichte als naturwissenschaftliche Erkenntnis in den Schulbüchern zu verankern. Mit Macht drängen sie auch in die Politik. Es sind Leute wie der Neurochirurg Ben Carson, Präsidentschaftskandidat der Republikaner.
    "It is time to bring God back into politics."
    Cox kann den Reflex der Kritiker durchaus verstehen, sagt er. Das Wiedererstarken der Religion in den USA, die Arroganz und Selbstgerechtigkeit der religiösen Rechten provozierten eine atheistische Gegenreaktion. Auch das ist nicht grundsätzlich neu. Was die sogenannten Neuen Atheisten jedoch von vielen ihrer Vorgänger unterscheide, sagt Cox, sei ihre apodiktische Haltung, ihr polemischer, oft roher Ton.
    So attackieren die Neo-Atheisten nicht nur Anhänger fundamentalistischer und ultrakonservativer Glaubensrichtungen, sondern auch weltoffene Gläubige, kurz: alle, die sich einer Religion irgendwie verbunden fühlen. Sie seien schweigende Mittäter, meinen die neuen Atheisten. Der inzwischen verstorbene Journalist Christopher Hitchens erklärte das so:
    "Der Grund ist der tiefe Wunsch, Sklave zu sein. Der tiefe Wunsch, sich einer unveränderbaren, unangreifbaren Autorität zu unterwerfen, die den Menschen überwacht, rund um die Uhr während seines gesamten Lebens, noch bevor er geboren wird und auch – hier wird es dann wirklich bizarr – nach seinem Tod."
    Und deshalb verdiene Religion nichts als Spott und Verachtung, sagt Hitchens.
    "I think religions should be treated with ridicule and hatred and contempt, and I claim that right."
    Hitchens blieb seiner Haltung treu, konsequent, bis in den Tod. Er starb 2011 an Krebs und suchte – anders als seine Gegner prophezeit hatten – auch auf dem Sterbebett nicht den Weg zu Gott. Hitchens ehemaliger Mitstreiter Richard Dawkins geht ebenfalls hart mit all denen ins Gericht, die nach einer religiösen, einer metaphysischen Erklärung der Welt und des Universums suchen.
    "Das Universum schuldet uns keinen Sinn. Sicher, es wäre trostreich, wenn es einen höheren Sinn gebe, es wäre nett. Aber wir haben keinen Anspruch auf einen Sinn. Das ist Pech für uns."
    Was den Neuen Atheisten offenbar nicht bewusst ist: Der autoritäre Eifer, mit dem sie gegen alles giften, was auch nur vage nach Religion und Spiritualität klingt, hat etwas zutiefst Missionarisches. Harvey Cox:
    "Es gibt zwei Arten von Fundamentalisten – die religiösen und die anti-religiösen Fundamentalisten, und beide zeigen den gleichen Grad von Arroganz und Intoleranz. In dieser Hinsicht gibt es eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen den Gläubigen und ihren Kritikern."
    Und noch etwas anderes stört den Harvard-Forscher an den neuen Atheisten: Die wissenschaftlichen Bretter, die sie bohren, seien äußerst dünn.
    "Ihr Verständnis von Religion, vor allem der christlichen Theologie, ist sehr elementar. Ihre Vorstellungen von Religion sind in der 6. Klasse stehengeblieben, und damit machen sie sich doch sehr leicht angreifbar."
    Ein Bespiel für die bisweilen billigen und Beifall heischenden Statements liefert der Neurowissenschaftler Sam Harris:
    "Wenn Sie morgen früh ein paar lateinische Worte über ihrem Frühstückspfannkuchen murmeln und daran glauben, dass er sich in den Körper von Elvis Presley verwandelt, gelten Sie als verrückt. Wenn Sie das gleiche mit einem Keks und dem Körper von Jesus tun, sind Sie einfach nur ein Katholik."
    Cox wirft den neuen Atheisten nicht nur theologische Unkenntnis vor. Er kritisiert vor allem, dass sie keinen rechten Ersatz für die zentrale soziale Rolle der Kirchen bieten. Eine aktuelle Umfrage des Pew-Instituts verzeichnet zwar eine steigende Zahl jener Amerikaner, die sich keiner Religion zugehörig fühlen. Zugleich aber kommen die Forscher zu dem Ergebnis: Ein großer Teil dieser Gruppe – darunter vor allem junge Leute – definiert sich nicht als areligiös. Harvey Cox kann das bestätigen.
    "Da sind meine Studenten in Harvard. Viele gehören keiner Kirche an. Aber sie legen Wert darauf, dass sie keine Atheisten sind. Sie bezeichnen sich als 'spirituell';sie schauen mal hier, mal da, sie mögen fernöstliche Meditation und Papst Franziskus."
    Und deshalb ist Cox überzeugt: Das Comeback der neuen Atheisten dürfte bescheiden ausfallen. Ganz einfach, weil sie bei den Millennials nicht ankommen.
    "Das Problem der neuen Atheisten ist, dass sie den traditionellen, autoritären Religionsvertretern viel zu ähnlich sind. Und das schreckt viele Menschen ab. Ich fürchte, die neuen Atheisten haben schlicht den Anschluss an den modernen, den offenen Umgang mit Religion verpasst."