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New York, New York

"Mein Buch "New Art City" deckt eine Epoche von 20 Jahren ab. Sie beginnt in den späten 40er Jahren, man könnte sagen 1948, als de Kooning schon in seinen 40ern war und seine erste Einzelausstellung hatte. Und sie reicht bis zum Entstehen der Pop Art in den frühen 60ern, auch wenn ich die Zeit davor und danach miteinbeziehe. In diesen 20 Jahren hat New York seinen Platz an der Weltspitze der Kunst eingenommen."

Von Annette Brüggemann | 07.11.2006
    Paris geht - New York kommt, als habe eine Flutwelle den Ozean überquert. Jed Perl beschreibt eine vibrierende Kunstmetropole, von Cadillacs belebte Hochhausschluchten, eine mit Galerien bevölkerte 10. Straße, das abendliche Gedränge in Bars wie das Cedar Tavern, wo Willem de Kooning auf Jackson Pollock traf. Ein romantisiertes Bild, bei dem die Surrealisten weitgehend unter den Tisch fallen und somit Peggy Guggenheims Galerie "Art of this century". Und doch wird die Lektüre zu einer Entdeckungsreise: "New Art City" rückt Stars wie Pollock, de Kooning, Rothko und Warhol an ihren Platz. Perls Hingabe gilt den verschrobenen, unaufgeregten Charakteren wie dem Kanadier Philip Guston oder der Isländerin Louisa Matthiasdottir.

    "Ich war frustriert über eine Kunstgeschichte, die nur eine geringe Zahl von Künstlern berücksichtigt. Da gibt es die abstrakten Expressionisten, dann die Pop Art-Künstler, die Minimalisten. Deshalb wollte ich die Geschichte der 40er und 50er wieder öffnen für Leute, die in der Zeit sehr wichtig waren, die sehr bewundert wurden und auch heute noch von manchen Künstlern bewundert werden."

    Allen voran Hans Hofman. Den 1880 in München geborenen Maler erhebt Jed Perl zum Urvater der modernen amerikanischen Kunst. Er, der während seiner Zeit in Paris Picasso und Delaunay kennenlernte und vor den Nationalsozialisten nach New York floh, gründete 1933 eine Kunstschule, die zum Kristallisationspunkt für eine neue Generation wurde.

    "Er redete über Sachen wie "Schub und Zug" und darüber, die Energien der Welt in die eigene Arbeit zu bringen. Er hat die moderne Kunst und das Studium moderner Kunst nach Amerika gebracht, auf eine fantastische Weise. Und er war eine sehr, sehr spannende Persönlichkeit. Er war nicht nur ein charismatischer Lehrer, sondern auch sehr offen. Er hat Menschen ermutigt. Es gibt sowohl abstrakte, als auch repräsentative, figurative Maler, die mit ihm gearbeitet haben. Er hat Spontaneität gefördert, Klarheit, er war einfach ein großartiger Kommunikator. Und viele der Leute, die kamen, um bei ihm zu studieren, sagten: Es war nicht nur er, sondern die Schule war ein wichtiger Treffpunkt."

    Die Welt hinter den Kulissen des Kunstbetriebs interessieren Jed Perl. Die Frage, welche künstlerischen Strömungen das Kraftfeld aufgebaut haben und wer das Bett für Leute wie Pollock oder Warhol bereitet hat. Das Buch "New Art City" schürft in der Bedingtheit der Epoche.

    Der Wolkenkratzer-Gigant Manhattan wird für Jed Perl zur Reibungsfläche einer neu aufflammenden Romantik. Der Mensch prallt auf asphaltierte Straßencanyons, auf dramatische Farbverhältnisse zwischen Licht und Schatten.

    "Künstler wie Jackson Pollock, de Kooning sind auf gewisse Weise die letzten Romantiker des 19. Jahrhunderts. Sie haben diese Qualität des Sehnens, heroische Ziele und den verrückten Plan, etwas Neues zu machen. Eine Art von wahnsinnigem Optimismus. Sie waren vermutlich die letzte Generation mit diesem Impetus. Wozu diese ganze Fortschrittsidee des 19. Jahrhunderts gehört, die Vorstellung, Natur und Imagination zu erobern. Diese Künstler haben sich das einverleibt in der gezackten, kantigen New Yorker Atmosphäre, mit all den aufeinander prallenden Erfahrungen. Sie haben eine neue Romantik ins Leben gerufen, die eher dunkel und extrem war. Pollock mit der tropfenden Farbe, de Kooning mit seinen vernichtenden Pinselstrichen, die außerordentliche Einfachheit der Gemälde Rothkos oder Newmans. Sie sind wie romantische Schreie oder Rufe."

    Der abstrakte Expressionismus muss sicherlich als Höhepunkt einer jahrzehntelangen Tendenz zu Improvisation und Risikobereitschaft gelten. Und auch der malerische Realismus eines Fairfield Porter oder Nell Blaine unterstreicht die Tendenz zum Ungezügelten, Impulsiven, Zufälligen, Unmittelbaren. Was sich im aufkommenden Fotorealismus der sechziger Jahre konsequent weiterentwickelt. Eine neue, unsentimentale Ästhethik.

    "Die Amerikaner versuchten, eine neue Art von Schönheit zu finden, die der Kantigkeit und Schroffheit Amerikas entsprach. Und die Beherztheit, mit der die Leute malten, diese Beherztheit der Attacke. Eine ganze Reihe von Malern, sogar solche von Stadtlandschaften wie Fairfield Porter hatten das in ihren Bildern, genauso wie de Kooning. Sie wollten eine Art von Schönheit, die nicht leicht war, nicht weich. Ich denke, eine Schönheit mit Gewalt darin."

    Parallel zu "New Art City" ist John Updikes Roman "Sucht mein Angesicht" in Deutschland erschienen. Er wirft wie Perl einen Blick auf die New Yorker Künstlerboheme der späten 40er Jahre, in eine Zeit des Aufbruchs und der Ekstase. Auch hat uns der junge französische Philosoph Camille de Toledo mit seinem 2005 erschienenen Buch "Goodbye Tristesse" überrascht. Darin ruft er zu einer neuen romantischen Bewegung auf.

    Diese Bücher zeigen zum einen, dass die Idee der Romantik zyklisch ist. Sie erfährt eine neue Brisanz in unserer durchtechnisierten Gesellschaft. Zum anderen besteht Bedarf nach neuen Visionen und Utopien. Perls New York wird unter diesem Blickwinkel noch einmal mehr zur Paradise City, zu einem Topos der Sehnsucht. Einem Ort, an dem sich Kunst im originären Sinn gelebt findet.

    "Es wäre wundervoll, wenn die Menschen an diese Art Beherztheit der Romantik anknüpfen würden, in den USA könnten wir das sicher gebrauchen, die Zeiten sind sehr pessimistisch."