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Ökologie
Biologe: Schwund bei Arten größer als der Zuwachs

Das weltweite Artensterben aufzuhalten, ist das Ziel der Biodiversitätskonferenz im ägyptischen Sharm El-Sheikh. Der globale Trend sei allerdings bisher nicht besonders positiv, sagte der Biologe Josef Settele im Dlf.

Josef Settele im Gespräch mit Ralf Krauter | 23.11.2018
    Ein Schmetterling auf einer Blüte
    In Deutschland ist der Bestand fliegender Insekten deutlich geschrumpft (imago / Winfried Rothermel)
    Ralf Krauter: Die Vereinten Nationen haben zum 14. Mal zur Weltbiodiversitätskonferenz geladen, bei der Vertreter aus über 190 Unterzeichnerstaaten darüber diskutieren, wie sich das bereits 1993 geschlossene Übereinkommen über den Erhalt der biologischen Vielfalt auf unserem Planeten in die Tat umsetzen lässt. Mit dabei im ägyptischen Sharm El-Sheikh ist auch der Biodiversitätsexperte Professor Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ in Halle, der Mitglied des Weltbiodiversitätsrates ist. Ich habe ihn in der Mittagspause in Ägypten erreicht und gefragt: Wie stehen die Chancen, dass bei dieser Vertragsstaatenkonferenz die Weichen so gestellt werden, dass den zahlreichen Absichtserklärungen, mehr für den Artenschutz zu tun, auch tatsächlich Taten folgen?
    Josef Settele: Ja, ich denke, es wird erst mal zäh bleiben, natürlich, weil so Prozesse natürlich schwierig sind. Das sind Konsensprozesse, wo alle Regierungen mitmachen müssen. Wenn man es nicht kennt – ein paar Kollegen sind zum ersten Mal bei sowas dabei –, was ist denn das alles, weil es sehr langsam geht, das ist ein Plenum, und dann gibt es dann die Fragen, Frage a, b, c zum Thema Nation, a, b, c, und dann mit Widerrede. Alles schön sortiert. Das zieht sich Stunden hin. Für viele Naturwissenschaftler oder Biologen, wie ich auch einer bin, kann sowas mitunter eine Herausforderung sein, und vielleicht auch nicht das, was sie sich so vorstellen unter zügigem Fortschritt. Ich selber denke aber, dass sowas wichtig ist, im Konsens solche Regeln auf die Reihe zu kriegen. Weil, sonst macht jeder sein Ding, und dann ist es noch schlimmer. Aber inhaltlich geht es mir schon um ein paar Knackpunkte, wo es schwierig ist. Einer davon sind die digitalen Sequenzinformationen, die sogenannte digital sequence information. Da geht es um genetische Informationen, die ja dann praktisch über Publikationen verteilt werden können, nicht nur über das Material selber, mit Tieren und Pflanzen, wo es keine Regeln gibt dafür. Da sind viele Drittweltländer dann der Meinung, das muss man entsprechend regeln. Das ist aber sehr schwierig. Da gibt es noch keine Fortschritte. Dann geht es noch um die synthetische Biologie, also die Neukonstruktion von Organismen, sehr vereinfacht gesagt. Auch da ist der Prozess sehr zäh, weil es ein neues Feld ist, das nicht so direkt mit klassischen Arten und Biodiversität kombinieren kann. Ansonsten, ich meine, der Fortschritt ist im Wesentlichen eine Diskussion, die Texte erzeugt, auf die man sich geeinigt hat - was nicht konsequenterweise bedeutet, dass das umgesetzt wird natürlich, weil die Regierungen dann letztlich dazu eigentlich verpflichtet sind, aber sich geeinigt haben, aber auch nicht gezwungen werden können, das umzusetzen. Da gibt es einfach Regierungen, die hier vortäuschen. Und Europa insgesamt ist gar nicht so schlecht, und andere Regierungen, die eher Lippenkenntnisse eigentlich von sich geben.

    "Das Problem ist letztendlich die Umsetzung"

    Krauter: Fangen wir mal mit dem Positiven an. Gibt es denn beim Kampf gegen das globale Artensterben konkrete Fortschritte zu vermelden? Weil, es gibt ja auch verschiedene Sachstandsberichte aus diversen Weltregionen, da in Ägypten jetzt?
    Settele: Die Sachstandsberichte sind zum Teil hier Thema. Es gibt natürlich ein paar Beispiele, wo Arten zunehmen, es gibt aber viel mehr Arten, die abnehmen, global gesehen. Die Datenbasis ist da nicht besonders gut. Aber was wir wissen: In der Summe sagt man schon, dass der Trend insgesamt nicht besonders positiv ist und man dann entsprechend agieren muss. Die Frage ist, wie man das dann letztlich auch macht.
    Krauter: Das, was passieren müsste, ist ja nun aber schon länger klar. 2010 zum Beispiel haben sich ja die Unterzeichner des internationalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt auf die sogenannten Aichi-Ziele geeinigt, die damals in Japan beschlossen wurden. Sind die denn noch zielführend, und bestehen Chancen, die wirklich zu erreichen bis 2020?
    Settele: Also zielführend sind sie nach wie vor. Der Erreichungsgrad ist sehr gering. Soweit ich das überblicken kann: Momentan erreichen wir vielleicht von … es sind ja 20 Ziele insgesamt, die sogenannten Aichi targets. Da sind bei zwei, drei ganz gute Fortschritte, Ausweisung von Schutzgebieten ist ein Beispiel dafür. Aber bei vielen anderen sind wir nicht so auf den Track, der dahinführte, das zu erreichen. Weshalb jetzt auch diskutiert wird: Waren die überhaupt sinnvoll? Es muss darum gehen, wie kann ich das Ganze fortschreiben? Ist sicherlich eine große Diskussion. Die Ziele selber werden sich nicht groß ändern. Aber die Erreichung, da sind wir weit hinterher.
    Krauter: Woran hakt es denn genau bei der Umsetzung? Also das letztlich zum Beispiel Lebensräume für bedrohte Tierarten geschützt werden sollten, das klingt ja unheimlich einleuchtend, aber in der Praxis ist es dann wahrscheinlich im Detail beliebig schwierig, zum Beispiel ein Regenwaldstück, in dem ein vom Aussterben bedrohter Frosch heimisch ist, dann vor der Abholzung zu bewahren.
    Settele: Ja, das Problem ist letztendlich die Umsetzung. Es klingt einfach. Auch die Naturschutzgebiet-Thematik klingt einfach. Aber natürlich muss ich immer dann lokal mit allen Beteiligten mich auf was einigen. Wir machen jetzt schon top-down. Also, die Regierung sagt, so und so machen wir das. Aber dann macht die Bevölkerung nicht mit. Dann gibt es Wilderei et cetera. Oder ich mache es in einem langen Prozess, wo ich mich dann einige mit den lokalen Menschen, die in der Gegend da wohnen, um dort zum Konsens zu kommen. Das dauert einfach. Wenngleich häufig dann die Nutzung – wenn man den Regenwald als Beispiel nimmt – in vielen Gebieten eigentlich nicht unbedingt negativ sein muss. Das sind ja oft Nutzungen auf ganz kleiner Skala. Dagegen, wenn es komplett ausgesperrt wird, also Menschen nicht mehr was machen dürfen, total reservatsmäßig, dann häufig die Wilderei einsetzt und dann eigentlich erst das Problem kreiert wird. Das klingt erst mal gut, sie machen das Schutzgebiet, und dann halten sie Menschen raus - und das klappt eigentlich nie oder selten. Also muss man eine Methode finden, wie man die Menschen mit an Bord nimmt. Und das ist genau das Problem. Die Naturwissenschaft kann zum Beispiele Ziele setzen und die Politik vielleicht auch noch, aber sie muss die Leute mitnehmen. Das ist eigentlich das, was hier auch klar wird, da muss man sich noch stärker drum kümmern, einfach mit den Menschen vor Ort erarbeiten. Jetzt nicht nur im Regenwald. Gibt es genauso natürlich bei uns, Kulturlandschaften in Mitteleuropa.
    Landwirte an den Pranger stellen ist nicht produktiv
    Krauter: Genau das Stichwort würde ich auch gerne noch aufwerfen. Also letztlich ist es ja so, dass in Deutschland oder Europa wir eigentlich schon relativ genau wüssten, was zu tun wäre, um dem Artensterben Einhalt zu gebieten. Aber es scheint ja so, dass der politische Wille fehlt, dann zum Beispiel veränderte Gesetze für die Landwirtschaft auf den Weg zu bringen. Also mit dem Finger auf die Bauern im Regenwald zu zeigen springt da eigentlich zu kurz.
    Settele: Genau. Ich denke, wir haben bei uns sehr viele Beispiele, wo wir was machen könnten und der Wille zum Teil zumindest verbal ausgedrückt wird, aber die Umsetzung nach wie vor nicht funktioniert. Ich meine, das aktuelle Thema bei uns ist ja Insektensterben. Ein großes Thema in den letzten zwei Jahren jetzt schon. Und daran sieht man auch schon, dass wir da dringend irgendwie uns an die eigene Nase packen müssen. Diese Umsetzung in Deutschland natürlich mangelt auch ein bisschen daran, nach wie vor, dass die verschiedenen Ministerien noch nicht ganz so gut vernetzt sind, wie sie sein sollten. Landwirtschaft und Umwelt und Forschung zum Beispiel, die drei wichtigen, glaube ich, in diesem Fall, da ist Bewegung drin, momentan, muss man sagen. Also, die Regierung kümmert sich zumindest drum und legt auch Programme auf. Aber die Frage ist, wie stark wird das die Landwirtschaft zusammenbringen. Auch die Landwirtschaft muss Partner sein, und viele der Landwirte, die bei uns aktiv sind in Deutschland, sind dem Ganzen auch sehr zugeneigt. Das heißt, eigentlich ist es eine komische Situation, dass sehr viele wollen, aber es nicht auf die Reihe kriegen, die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass es gemacht wird. Kommunikation, glaube ich, ist ein ganz wichtiger Punkt, und die Offenheit und auch der Respekt voreinander. Das merke ich bei der täglichen Arbeit: Dass man einfach die Landwirte an den Pranger stellt, ist nicht produktiv, und auch nicht richtig, weil viele davon haben ein Interesse daran, die Artenvielfalt zu halten.
    Weltklimarat und Biodiversitätsrat sollen zusammenarbeiten
    Krauter: Welche konkreten Impulse erhoffen Sie sich denn von dieser Tagung in Scharm el-Scheich, die ja noch bis nächsten Donnerstag gehen wird - was müsste rauskommen, damit Sie sagen, das war ein Erfolg?
    Settele: Also wenn man das ganze Setting hier nimmt, da geht es ja darum, sich auf Ziele weiter zu einigen, also sie fortzuschreiben oder auch neue Dinge zu entwickeln. Und eine Sache, die eigentlich ganz gut läuft, ist die Kombination zwischen Biodiversität und Klimawandel. Das Thema wird ja bislang meistens getrennt behandelt. Es gibt den Weltklimarat (IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change), es gibt den Biodiv-Rat (IPBES, Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services), aber es gibt nicht die Kombination. Und da ist es jetzt so, dass dieser CBD (Convention on Biological Diversity, Biodiversitätskonvention) die Idee verfolgt, als Gesamtkonvention dieses stärker anzuregen und dem IPBES genauso wie dem IPCC den Auftrag zu geben und die Anfragen zu geben, enger zu kooperieren - da gemeinsam was zu entwickeln. Das, glaube ich, wäre eine wichtige Geschichte, und die ist sehr enthusiastisch eigentlich aufgenommen worden. Da bin ich ganz zuversichtlich. Das wäre schon mal ein Rahmen, der zwei getrennte Institutionen dann schon naheliegend systematisch auch wirklich dann zusammenbringt. Das ist eine Sache, die wird rausgenommen, das sieht gut aus. Das andere, was noch gut ist, ist im Prinzip die Anforderung, der CBD macht ja praktisch Vorschläge und Anforderungen an entsprechende Institutionen, wie diesen Weltklimarat oder dem Weltbiodiv-Rat. Da gibt es Anforderungen an den Weltbiodiv-Rat, wie das Programm weiter zu entwickeln ist, die Schwerpunkte zu setzen. Wenn CBD das schon mal entsprechend unterstützt, haben wir mehr Möglichkeiten, auch gewisse Dinge in diesem Weltbiodiv-Rat umzusetzen. Das sind zwei Komponenten, die finde ich sehr gut, die sehen gut aus, aber das ist natürlich nur die Metaebene. Aber die ist wichtig, um überhaupt die Basis zu haben, dass wir auch arbeiten können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.