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Newcomerin Fazerdaze
"Meine Lieder sollen wie eine beste Freundin sein"

Die Neuseeländerin Amelia Murray macht als Fazerdaze Homerecording-Dreampop: Beiläufige Gitarrensongs vom Erwachsenwerden mit sommerlicher Ausstrahlung, die im Netz schon begeisterte Rezensionen eingesammelt haben. Ihr Optimismus entspringt dem Kampf gegen Unsicherheit, Liebeskummer und Wohnungskrise.

Amelia Murray im Corsogespräch mit Bernd Lechler | 06.05.2017
    Amelia Murray liegt auf einem Perser-Teppich, neben ihrem Kopf ein kleines Keyboard. (Bild: Grönland Records)
    "Erst als ich nach Morningside kam, hatte ich ein Gefühl von 'zu Hause'. (Grönland Records)
    Zum Nachhören im englischen Originalton:
    das Corsogespräch mit Amelia Murray
    Bernd Lechler: Gestern erschien "Morningside", so heißt - nach einem Stadtteil von Auckland, Neuseeland - das Debütalbum von Fazerdaze. Das wiederum ist der Künstlername von Amelia Murray, deren Lieder ein bisschen nach Indierock der 90er Jahre klingen: leicht ausgefranst in Klang und Struktur, die Gitarren verzerrt, aber freundlich; im Homerecording aufgenommen. Die selbstveröffentlichte erste EP von Fazerdaze hat ihr in Musikblogs und Magazinen gleich das Etikett "Dreampop" eingebracht, sowie eine Menge Lob - ebenso wie zuletzt das Video zur Single "Little Uneasy", in dem sie, in einer einzigen Einstellung, auf einem Skateboard eine abschüssige Straße entlangkurvt. Es hat die gleiche wunderbare Beiläufigkeit und Leichtigkeit wie ihre Musik. Im Corsogespräch mit Amelia Murray haben wir bei Adam und Eva angefangen: Wie kam sie zur Musik? Hat sie Gitarre gelernt, um mal in einer Band zu spielen?
    Amelia Murray: Genau so. Ich spielte Gitarre. Und nachdem es an meiner Highschool reichlich Bands gab, dachte ich: Am besten, ich gründe auch eine. Und da packte es mich dann richtig, ich liebte diese Szene, ich mochte die Leute...
    Lechler: Können Sie sagen, was der Grund war, was Sie an der Szene anzog?
    Murray: Ich erinnere mich noch das erste Konzert, auf dem ich war. Eine Highschool-Band spielte in der Aula. Sie hießen "The Philosophers" und spielten eigene Songs. Ich konnte das kaum glauben: Da waren diese Leute und die hatten diese Songs geschrieben und spielten sie nun zusammen und es klang toll! Ich fand das so inspirierend, so cool. Vor diesem Konzert war Musikmachen etwas außerhalb meiner Reichweite, etwas, was im Radio kam, aus Amerika. Dann sah ich eben diese Lokalband und dachte: Das könnte ich auch. Das war der Moment, in dem ich wusste, ich will das machen. Allerdings zog ich dann nach Auckland und fand dort erst mal keine Musiker. Deswegen versuchte ich es mit Homerecording und begann dieses Projekt Fazerdaze.
    "Ich handle nach Gefühl und Intuition"
    Lechler: Aber gleichzeitig haben Sie studiert. War das auch nützlich?
    Murray: Ich verlor dort viel Selbstvertrauen - ich weiß nicht, warum – vielleicht, weil ich versucht habe, mich an etwas anzupassen, was ich nicht bin.
    Lechler: An was genau?
    Murray: Da gibt es für alles Gründe. Und wenn ich meine Musik mache, denke ich nicht so viel an das Warum, ich handle nach Gefühl und Intuition. Und das können sie einem an der Uni nicht beibringen. Da geht es mehr nach Formeln, es gibt viele Regeln und ich lasse mich nicht so gern einschränken. Aber ich habe natürlich viele technische Dinge gelernt. Produktion, Arrangement, Musiktheorie. Mein Wissen wurde breiter und das kann natürlich nur gut sein.
    Lechler: Und war der Abschluss wichtig?
    Murray: Hm, da bin ich noch nicht sicher. Ich zahle jedenfalls immer noch die Studiengebühren ab! Jedenfalls gab es mir Zeit. Im Grunde habe ich das Geld in mich selbst investiert, um mich weiterzuentwickeln. Was auch eine große Plattenfirma tun würde: Zeit und Geld in Künstler zu investieren, damit sie sich entwickeln und ihren Sound definieren. Das habe ich mir selbst geboten.
    Aufnahmen im Schlafzimmer
    Lechler: Was waren Ihre Einflüsse - welche Platten haben Sie gehört, als diese Songs entstanden sind?
    Murray: Ich habe Bands wie die Pixies gehört. Ein bisschen Slowdive. Und die Smashing Pumpkins, die ich als Teenager viel hörte, habe ich wiederentdeckt.
    Lechler: Das passt - ich hatte auch an 90er-Jahre-Bands gedacht. Wie kamen Sie zu dieser Pop-Epoche?
    Murray: Ich glaube, ich habe einfach meine Musik gemacht. Und wenn ich sie anderen vorspielte, dann sagten die: Oh, dann solltest du dir mal die-und-die Band anhören. Und das tat ich. Und ich hab mir viele "Homerecorder" angehört - Frankie Kosmos oder Mitsky - ich weiß nicht, ob Sie die kennen, aber die haben auch in ihrem Schlafzimmer angefangen.
    Lechler: Einverstanden mit dem Etikett "Dream Pop"?
    Murray: Ja, schon! Ich habe nie versucht, "Dream Pop" zu machen, aber wenn die Leute es so nennen wollen, habe ich kein Problem damit.
    Lechler: Außerdem werden Ihre Songs als positiv wahrgenommen. Ein Rezensent schrieb: "Musik zum Autofahren mit heruntergekurbelten Scheiben". Empfinden Sie selbst das auch so?
    Murray: Ich glaube schon. Ich versuche immer, Musik zu machen, die einem guttut. Ich selber benutze sie jedenfalls, um mir Mut zu machen. Wie eine gute Freundin. Oder ich mag einfach fröhliche Lieder ...
    "Meine eigene beste Freundin sein"
    Lechler: Es könnte also vorkommen, dass Sie sich sagen: "Dieser Song wird mir jetzt zu düster, ich muss die Richtung ändern."
    Murray: Vielleicht! Ich will mich da jetzt auch nicht zu sehr festlegen. Aber ich machte jedenfalls eine schwierige Zeit durch und bei diesem Album wollte ich, wie gesagt, meine eigene beste Freundin sein. Und wenn man eine Freundin hat, der es nicht gut geht, versucht man ja, positiv und optimistisch zu sein. Und stark, für sie. Das wollte ich für mich selbst sein.
    Lechler: Und diese schwierige Zeit ... ist Privatsache.
    Murray: Naja, es ist definitiv ein Album übers Erwachsenwerden. Ich kam gerade von der Universität und der Übergang vom Studieren zum echten Leben war viel härter als ich gedacht hatte. Was soll ich tun? Soll ich einen "richtigen" Beruf ergreifen? Ich habe mich schwer getan, Leute zu finden, die zu mir passten, und ... Ich weiß nicht, im Rückblick klingt das jetzt alles banal, aber damals fühlte ich mich wirklich verloren und hatte gar keinen Boden unter den Füßen.
    Lechler: Interessant, dass Sie jetzt so viel auf Achse sind - und das Album haben Sie nach Ihrem Wohnviertel "Morningside" benannt.
    Murray: Das fühlte sich einfach total richtig an. Ich bin jetzt fünf Jahre in Auckland und es war anfangs echt ein Kampf. Ich fand es schwer, dort zu leben. Auckland ist teuer, Wohnraum ist knapp - und erst, als ich nach Morningside kam, hatte ich ein Gefühl von "zu Hause". Und das zu finden, in dieser Stadt, die mich fast kleingekriegt hatte, das war eine große Sache für mich.
    Ich mag auch diesen Namen, Morningside, er klingt optimistisch. Und symbolisiert für mich, dass ich eine harte Zeit überstanden habe und gestärkt daraus hervorgegangen bin.
    Lechler: Handelt von diesem Optimismus auch der Song "Lucky Girl"? Oder welchem Gedanken entsprang der?
    Murray: Den schrieb ich in dem Gefühl, verwöhnt zu sein? Zu wenig zu schätzen, was ich habe. Dass ich innerlich traurig war, obwohl außen doch alles stimmte. Ich wollte mich ein bisschen daran erinnern, dass ich dankbar sein sollte und eigentlich doch Glück im Leben habe. Ich hab meine Arme, meine Beine, nette Leute um mich - und doch scheint mir manchmal nichts gut genug zu sein. Und dazu gibt es noch diese Angst, wenn man etwas Gutes gefunden hat; etwas, was einem viel bedeutet - dass man es wieder verlieren könnte.
    "Die Songs sind wie eine Studie meiner selbst"
    Lechler: Und wovon handelt "Little Uneasy"? Das Video mit der Skateboardfahrt unter blauem Himmel wirkt nämlich durchaus "easy"!
    Murray: Wirklich? Das ist gut, mir war nämlich auf diesem Longboard nicht so wohl. Es ist ein Song übers Erwachsenwerden. Neben jemandem, der ebenfalls versucht, erwachsen zu werden. Das gegenseitige Ziehen und Schubsen; die Fehler, die man macht; der Kummer, den man einander antut. Und der Versuch, die ständige Unsicherheit hinzunehmen.
    Lechler: Gibt es wohl einen roten Faden in Ihren Songs? Etwas, was Sie vermitteln möchten?
    Murray: Darüber habe ich noch nie nachgedacht, aber vielleicht gibt es ihn wirklich: Ich versuche, persönliche Songs zu schreiben, in der Hoffnung, dass sie universell sind. Sie sind wie eine Studie meiner selbst, durch die ich aber auch andere Leute besser verstehe. Und die anderen, die die Songs hören, verstehen sich vielleicht dann auch besser. Das ist bisher so mein Thema.
    Lechler: Was ist eigentlich ein Fazerdaze?
    Murray: Das ist einfach ein erfundenes Wort, mit dem ich mein Projekt bezeichne. Weil ich wollte, dass es etwas anderes ist als ich, Amelia Murray. Es sollte ein Projekt sein. Das schafft einen Raum, in dem ich Experimente und auch Fehler machen kann. Es ist nicht die Amelia Murray, die Rechnungen im Briefkasten liegen hat, es ist ein anderes Wesen. Und das Wort Fazerdaze ... Ich weiß auch nicht, ich fand einfach, das klang cool. Als ich es meiner Mitbewohnerin erzählte, fand die das auch. Und damit stand es fest.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.