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NGO: UN-Menschenrechtsrat verbreitet Aufbruchstimmung

Ab Montag sitzen in Genf Vertreter aus 47 Staaten im neu geschaffenen UN-Menschenrechtsrat zusammen. Trotz Mitgliedern wie China, Russland oder Pakistan, die Menschenrechte selbst massiv verletzten, habe er noch nie zuvor so viel Aufbruchstimmung gespürt, sagt Theodor Rathgeber vom Forum Menschenrechte. Besonders positiv werte er den jährlichen Mechanismus, der die Lage der Menschenrechte in allen Staaten untersuchen soll, betonte Rathgeber.

Moderation: Ferdos Forudastan | 18.06.2006
    Forudastan: Es ist eine doppelt paradoxe Situation: Da sitzen ab morgen in Genf Vertreter aus 47 Staaten im neu geschaffenen UN-Menschenrechtsrat zusammen und beraten zwei Wochen lang darüber, wie man Menschenrechtsverletzungen am besten bekämpfen kann. Zu diesen 47 Mitgliedern des Gremiums gehören unter anderem auch Pakistan, Nigeria, Saudi-Arabien, Russland, Kuba oder China - Staaten also, die Menschenrechte selbst massiv verletzen.

    Der UN-Menschenrechtsrat ist die Nachfolgeorganisation der UN-Menschenrechtskommission. Und die ist unter anderem aufgelöst worden, weil in ihr Staaten saßen, die es mit den Menschenrechten nicht so genau nahmen. Theodor Rathgeber ist Politikwissenschaftler und beobachtet für das Forum Menschenrechte die Tagung des Menschenrechtsrates in Genf. Das Forum Menschenrechte ist ein Zusammenschluss von über 40 deutschen Nichtregierungsorganisationen, die sich dafür einsetzen, dass die Menschenrechte weltweit besser geschützt werden. Schönen guten Morgen, Herr Rathgeber.

    Rathgeber: Guten Morgen, Frau Forudastan.

    Forudastan: Bei dieser Vorgeschichte des UN-Menschenrechtsrates und bei seiner Zusammensetzung: Wie ernst können Sie dieses UN-Gremium überhaupt noch nehmen?

    Rathgeber: Ja, ich persönlich und auch die Mitglieder des Forums Menschenrechte nehmen den neuen Menschenrechtsrat schon sehr ernst. Dass in den Vereinten Nationen ein neues Gremium geschaffen wird, um nun insbesondere die Umsetzung der Menschenrechte besser zu gewährleisten, kommt ja nicht jeden Tag vor. Und ich selber beobachte die Menschenrechtskommission seit 2003 und ich habe noch nie so viel Aufbruchstimmung auch innerhalb der Staatenvertreter mitbekommen wie jetzt im Vorfeld der Zusammensetzung des Menschenrechtsrates und auch jetzt anlässlich der anstehenden zwei Wochen.

    Forudastan: Aber wie kommt es zu dieser Aufbruchstimmung, wo doch einige Konstruktionsmängel, die es schon in der UN-Menschenrechtskommission gegeben hat, jetzt auch im Menschenrechtsrat gibt? Also zum Beispiel, dass er keine Sanktionen verhängen kann. Oder dass in ihn auch Staaten hineingewählt werden können, die selber Menschenrechte massiv verletzen.

    Rathgeber: Ja, nun gibt es eine lange Diskussion darüber, wer Mitglied sein kann in diesem Menschenrat. Und der Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen, diesen Rat einzusetzen, sieht ja auch vor, dass die gewählten Mitglieder den höchsten Standards genügen müssen innerhalb der Menschenrechtssysteme. Das ist schon eine gewisse Vorgabe, die jetzt die von Ihnen genannten Länder leider nicht erfüllen.

    Man muss, denke ich, in Rechnung stellen, dass nicht nur die besonders Guten im Menschenrechtsrat sitzen können, weil dann die Aussagekraft dieses Rates doch relativ beschränkt ist. Und der Rat als solcher ist ein politisches Gremium der Vereinten Nationen, hat also auch zur Aufgabe, dass eine gewisse Streitschlichtung zwischen den Staaten stattfinden muss. Und so wie der Rat jetzt angelegt ist, mit der sehr expliziten Aussage der Generalversammlung, dass Kooperation und die Willigkeit der Staaten, die Verfahren zur Untersuchung von Menschenrechten im jeweiligen Land, dass diese Verfahren zuzulassen sind.

    Das sind jetzt schlicht mal erst atmosphärische Veränderungen im Vergleich zur Menschenrechtskommission, aber es sind doch Anhaltspunkte, wie die innere Geschäftsordnung des Menschenrechtsrates auszugestalten ist und was an schon brauchbaren Instrumenten - die es ja gibt durch die Menschenrechtskommission -, was an brauchbaren Instrumenten dann auch zu übernehmen ist. Und alles zusammen genommen und auch noch mal zusätzlich die Aussagen der jetzt inkriminierten Staaten wie China, Russland, Pakistan, Nigeria und anderen, auch die werden jetzt in ihren offiziellen Stellungnahmen natürlich nichts sagen, was diesem Geist der Resolution der Vereinten Nationen widersprechen würde.

    Forudastan: Sie werden jetzt vermutlich nichts sagen oder wahrscheinlich nichts sagen, aber sie werden vermutlich etwas machen, was diesem Geist widerspricht, denn sie werden ja nicht ihre Politik vom einen auf den anderen Tag oder nur, weil jetzt die Kommission umgewandelt worden ist in den Menschenrechtsrat, ihre Politik ändern ...

    Rathgeber: Natürlich nicht.

    Forudastan: ... in Sachen Menschenrechtsverletzungen. Was ist das Rüstzeug, das neue Rüstzeug? Was sind die neuen Instrumente, die Sie, wenn auch gedämpft, hoffnungsvoll machen?

    Rathgeber: Ja insbesondere zu erwähnen ist dieser jährliche Mechanismus, der die Lage der Menschenrechte in allen Staaten untersuchen soll. Das gab es bei der Menschenrechtskommission so nicht. Und da besteht schon die begründete Erwartung, nicht nur Hoffnung, dass dieser Mechanismus dann dazu führt, die Selektivität, also das Herauspicken einzelner Staaten bei der Untersuchung der Menschenrechtslage zu beenden. Früher gab es die Situation, dass die Europäische Union, ansonsten eben sehr scharf in ihrer berechtigten Anklage von Menschenrechtsverletzungen, bestimmten Ländern gegenüber - den USA zum Beispiel - ständig sehr geräuschvoll geschwiegen haben, wenn man das so sagen will, wenn es um die Situation der Gefangenen etwa in Guantanamo angeht. Und diese Doppelbödigkeit in der Herangehensweise kann durch diesen Mechanismus aufgehoben werden, indem er jetzt eben vorschreibt dem Menschenrechtsrat, dass er jedes Jahr eine bestimmte Anzahl der Länder zu untersuchen hat, am besten beginnend mit denjenigen, die Mitglieder in diesem Menschenrechtsrat sind, so dass diese Selektivität tendenziell aufgehoben werden kann.

    Forudastan: Stichwort: USA, die sind ja im Menschenrechtsrat gar nicht drin. Schränkt das eigentlich den Wirkungsgrad dieses Gremiums nicht sehr stark ein? Denn abgesehen davon, was die USA sich selber vorwerfen lassen müssen - also Guantanomo beispielsweise -, hat Washington ja maßgeblichen Einfluss darauf, was mit Menschenrechtsverletzern weltweit geschieht: ob man ihnen eher in den Arm fällt oder ob man ihnen das Handwerk erleichtert.

    Rathgeber: Das ist für mich noch nicht so eindeutig entschieden. Ich bedauere es persönlich schon, dass die USA nicht Mitglied des Menschenrechtsrates sind, weil meiner Meinung nach die da mehr in die Pflicht hätten genommen werden können. Andererseits, weil die USA nun just so ein gewisser Kristallisationspunkt gewesen sind in der Vergangenheit, an der diese Doppelbödigkeit, an der diese Selektivität sich immer wieder hat deutlich machen können, bin ich persönlich nicht ganz so traurig, dass sie jetzt am Anfang nicht dabei sind.

    Forudastan: Nicht dabei sein wollten, muss man sagen. Weil sie ja quasi beleidigt waren, dass die Zusammensetzung nicht so war, wie sie sich das gewünscht hatten.

    Rathgeber: Ja, das, denke ich, ist ein wichtiger Grund. Vielleicht nicht, weil sie beleidigt waren, aber aus politischen Gründen gegenüber dem Senat in den USA konnten sie jetzt dieses Ergebnis nicht so verkaufen, dass sie da gleich Mitglied werden konnten. Da sie sich ja ziemlich weit aus dem Fenster gehängt hatten mit einer zum Beispiel Zweidrittelmehrheit für alle, die Mitglied in diesem Rat werden sollten. Das ist so nicht passiert und insofern konnten sie es nach innen, in den USA, nicht gut verkaufen.

    Forudastan: Welche Möglichkeiten bietet eigentlich der Menschenrechtsrat Ihnen, also den Nichtregierungsorganisationen? Ist das mehr als bisher oder bleibt das ungefähr gleich?

    Rathgeber: Das ist noch eine gewisse Unbekannte. Die Resolution, der Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen besagt zwar, dass die formalen Bedingungen und auch die Praxis der Beteiligung der Nichtregierungsorganisationen beibehalten werden soll, aber gleichzeitig soll auch überprüft werden, wie effizient diese Beteiligung später ausgestaltet werden kann. Da gibt es natürlich sowohl sprachliche als auch realpolitische Pferdefüße, mit denen wir zu kämpfen haben. Es gibt durchaus berechtigte Furcht vor der Like-Minded-Group, das ist ein informeller Verbund von Staaten, insbesondere aus Asien und aus Afrika, die die Beteiligung der Nichtregierungsorganisationen gerne zurückschneiden möchten. Und wir haben von der Länderzusammensetzung her ein arithmetisches Gewicht, was die Wahlen angeht und die Abstimmungen angeht. Aber es gibt umgekehrt sehr ausdrückliche, sehr explizite Stellungnahmen der westlichen Gruppe, der Gruppe der aus Lateinamerika und der Karibik und auch der Mehrheit der osteuropäischen Länder, die die Beteiligung der Nichtregierungsorganisationen als ein Muss betrachten und auch eher dafür sind, dass diese Beteiligung ausgeweitet wird, dass ...

    Forudastan: Ausgeweitet wird heißt, dass man stärker auf Sie hört? Oder dass man Ihnen mehr Beobachtung einräumt?

    Rathgeber: Dass wir integrierter werden in die Verfahren. So gibt es zum Beispiel die Vorstellung, just bei dieser jährlichen Überprüfung der Menschenrechtslage in Ländern, dass dort nicht nur die Institutionen der Vereinten Nationen und die Staaten als Quellen dienen und daran teilnehmen, wenn es zur Aussprache darüber kommt, sondern dass eben auch Nichtregierungsorganisationen ihre Quellen mit einbringen können und dass sie an diesem Ausspracheverfahren, der sich interaktiver Dialog nennt, dass sie an diesem interaktiven Dialog auch teilnehmen können.

    Forudastan: Theodor Rathgeber beobachtet für das Forum Menschenrechte, das ist ein Zusammenschluss von über 40 deutschen Nichtregierungsorganisationen, die Tagung des UN-Menschenrechtsrates in Genf. Herzlichen Dank für das Gespräch.

    Rathgeber: Danke Ihnen auch.