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"Nicht jeder Brandstifter wird zum Terroristen"

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, warnt vor übertriebener Rhetorik im Zusammenhang mit den Brandanschlägen auf die Bahn. Es handele sich um "schwere Straftaten" - aber nicht um Terrorismus.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Peter Kapern | 13.10.2011
    Peter Kapern: Seit Tagen werden die Bahn und ihre Kunden in Atem gehalten, und zwar durch eine nicht enden wollende Serie von Brandanschlägen auf das Schienennetz der Bahn. An etlichen Stellen in Berlin und an den Strecken von Berlin Richtung Hamburg wurden Brandsätze entdeckt, die Kabelstränge, mit denen Weichen und Signalanlagen gesteuert werden, zerstören sollten. Wegen der feuchten Witterung, so die Ermittler, sind nur wenige dieser Brandsätze explodiert. Ein Selbstbezichtigungsschreiben im Internet verortet die Täter im linksextremistischen Bereich.
    Was steckt denn nun dahinter und wie soll der Staat damit umgehen? Fragen, die uns Dieter Wiefelspütz beantworten kann, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Dieter Wiefelspütz: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Wiefelspütz, Verkehrsminister Peter Ramsauer sagt, es handele sich hier um terroristische Ansätze in einer neuen Dimension, und Uwe Schünemann, der Innenminister des Landes Niedersachsen, fügt hinzu, der Linksextremismus eskaliere zum Linksterrorismus. Steht Deutschland also vor einem neuen Linksterrorismus?

    Wiefelspütz: Wir haben dafür keine Anhaltspunkte. Ich kann die Empörung über diese schwerwiegenden Straftaten verstehen, aber das, was von Herrn Ramsauer und von Herrn Schünemann kommt, ist nichts anderes als eine verbale Übertreibung. Ich kenne keinen Fachmann, der sich in diesem Bereich auskennt, der von Terrorismus spricht bei diesen, ich sage es noch einmal, nicht zu bagatellisierenden, sehr ernst zu nehmenden Straftaten. Terrorismus ist denn doch noch was ganz anderes.

    Kapern: Was denn?

    Wiefelspütz: Weder das Bundesinnenministerium, noch das Bundesamt für Verfassungsschutz, noch die Generalbundesanwaltschaft, die ja jetzt die Ermittlungen übernommen hat, spricht von Terrorismus. Die Generalbundesanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen wegen verfassungsfeindlicher Sabotage, ausdrücklich nicht wegen Terrorismus, und deswegen, glaube ich, sollten wir auch in der Wortwahl präzise bleiben.

    Kapern: Was unterscheidet denn diese Anschlagsserie von terroristischen Anschlägen?

    Wiefelspütz: Terroristische Anschläge sind gekennzeichnet, oder terroristische Anschläge sind nichts anderes als wahlloser, willkürlicher Mord. Das steckt dahinter und solche Erfahrungen haben wir auch in Deutschland, wo, ich sage jetzt mal, ein Terrorist bei der ersten Begegnung mit der Polizei die Waffe zieht und sofort schießt. Das ist hier nicht der Fall. Hier geht es darum, dass man einen Eingriff in einen Schienenverkehr versucht. Es kommt ja auch zu gravierenden Beeinträchtigungen. Ich fahre jetzt selber gleich nach Berlin mit dem ICE und werde vermutlich auch eben halt wie viele andere Reisende behindert, weil Umleitungsstrecken genutzt werden, denke ich, und Ähnliches. Aber Mord und Totschlag ist das nicht. Ich betone aber noch einmal: Ich verharmlose hier nichts und bagatellisiere nichts, denn sicherlich, auch wenn Kabelleitungen beschädigt werden oder zerstört werden, kann es, auch wenn der Täter das möglicherweise gar nicht beabsichtigt, kann es zu schweren Folgen kommen, auch zu Personenschäden. Denken Sie bitte, dass ein Zug möglicherweise nicht reguliert werden kann durch das Signal, das zerstört ist, dass ein Zug entgleist oder Ähnliches.

    Kapern: Aber Herr Wiefelspütz, die Definition des Terrorismus, die Sie gerade geliefert haben, würde doch im Umkehrschluss bedeuten, dass die Brandanschläge auf Kaufhäuser, die die RAF-Gründer vor Jahrzehnten verübt haben, dann auch kein Terrorismus waren.

    Wiefelspütz: Herr Kapern, noch einmal: Ich bin nicht hier in diesem Interview, um irgendetwas zu verharmlosen oder zu bagatellisieren.

    Kapern: Nein, wir versuchen eine Begriffsklärung!

    Wiefelspütz: Das sind schwere Straftaten. Wenn man die Täter fasst – und das ist hoffentlich bald der Fall -, werden sie, wenn sie vor Gericht gestellt werden, mit schweren Strafen zu rechnen haben. Aber ich sage es mal etwas drastisch: Manche Brandstifter sind zu Terroristen geworden, aber nicht jeder Brandstifter wird zum Terroristen. Dieser Schluss ist falsch, dass immer dann, wenn ein Brandstifter unterwegs ist, das notwendigerweise im RAF-Terrorismus endet, oder in Vergleichbarem. Das ist nicht richtig, dieser Schluss ist nicht richtig, und deswegen sagt der Verfassungsschutz, das ist bösartiger Linksextremismus, der hier stattfindet, der gewaltbereit ist, oder das Bundesinnenministerium, aber beide sagen ausdrücklich, es ist nicht Linksterrorismus.

    Kapern: Was macht eigentlich den Unterschied aus, ob man nun von Linksterrorismus in diesem Zusammenhang spricht, oder von Linksextremismus? Ist das mehr als ein Streit um Worte?

    Wiefelspütz: Nein. Es geht letztlich schon darum, dass man diese Erscheinung, diese Phänomene, diese Straftaten in ihrer Bedeutung und ihrem Ursachenzusammenhang richtig erfasst. Das ist auch wichtig, um an die Täter heranzukommen, um überhaupt - Wissen Sie, wenn sie Kriminalitätsbekämpfung machen wollen, genügt es nicht, dass sie sagen, wir sind im Krieg oder Ähnliches, sondern sie brauchen eine zutreffende Wahrnehmung dessen, was da in der Wirklichkeit los ist. Es sind gravierende Straftaten begangen worden da in Berlin, aber die Fachleute sprechen, wie ich glaube, überzeugend nicht von Terrorismus, weil Terrorismus zielt auf das wahllose Töten von Menschen, prinzipiell ausgedrückt, und das ist noch einmal eine "deutliche Steigerung" gegenüber dem, was wir da in Berlin zu verzeichnen haben. Wir haben ja vor einigen Wochen oder Monaten viele Brandstiftungen bei Autos gehabt, da haben wir auch schon mal so eine Diskussion gehabt; dann haben wir jetzt diese Brandanschläge auf den Schienenverkehr. Das ist alles sehr ernst zu nehmen, schwere Straftaten, aber, wie ich denke, zurecht in der Einschätzung kein Terrorismus.

    Kapern: Bleiben wir beim Begriff Linksextremismus. Hermann Gröhe, der Generalsekretär der CDU, sagt, der Linksextremismus sei seit vielen Jahren verharmlost worden.

    Wiefelspütz: Ich glaube, dass das letzten Endes parteipolitische Ideologie ist, die dahinter steckt. Das hilft uns ja auch nicht weiter. Ich halte überhaupt nichts davon, dass man jetzt Linksextremismus gegen Rechtsextremismus aufrechnet. Da wo Gewaltbereitschaft vorhanden ist, wo Gewalttaten verübt werden, haben wir es mit Straftaten zu tun, die müssen konsequent bekämpft werden. Da hilft überhaupt keine Verniedlichung oder Verharmlosung. Die müssen zur Kenntnis genommen werden, verfolgt werden, unabhängig davon, ob es sich um Linksextremismus oder um Rechtsextremismus handelt. Wir haben den Verfassungsschutz, wir haben die Polizei, diese Dinge werden aufmerksam beobachtet, in jede Richtung, und alles andere wäre auch überhaupt völlig unsachgemäß.

    Kapern: Dieter Wiefelspütz war das, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Wiefelspütz, danke für das Gespräch und gute Fahrt nach Berlin.

    Wiefelspütz: Danke, Herr Kapern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.