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Nicht nur eine Foto-Webseite

Die Digitale Fotografie löst den traditionellen Film ab. Fotoläden werden zu Printshops und die Webseiten für digitale Fotografie schießen aus dem Boden. Eine der weltweit meist besuchten und ästhetisch hochwertigsten Seiten dieser Art nennt sich "photosig".

Von Maximilian Schönherr | 08.07.2006
    Ich treffe Willis Boyce in Manhattan. Mittagszeit. Er ist fünf Blöcke von seinem Arbeitsplatz in einer Bank zu mir in die 55. Straße gelaufen. Wir sitzen an seinem Apple-Notebook-Computer und surfen über einen der vielen kostenlosen Hotspots unendlich langsam auf seiner Seite für digitale Fotografie herum, photosig. Entstanden ist diese Special Interest Group für Fotografie vor über vier Jahren aus einem Frust heraus: Der blasse Dreißigjährige wollte Profifotograf werden und war gescheitert. Also programmierte er eine Webseite, wo jedermann Bilder hochladen und betrachten konnte, und setzte ihr ein kompliziertes Wertungssystem auf. Nur wer sich rege und konstruktiv an Diskussionen beteiligt, darf Bilder hochladen. Der Server, über den die Seite anfangs lief, kostete 30 Dollar pro Monat. Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass photosig Qualität bietet, war es damit vorbei.
    Auf welchem Server ist photosig heute mit seinen Millionen Zugriffen pro Tag zu Hause?

    "Das Rechenzentrum befindet sich Downtown, im Süden von Manhattan. Es ist bereits das vierte Rechenzentrum, wohin ich umgezogen bin, denn ich versuche, Geld zu sparen, wo es nur geht. Das hier ist nicht nur das Billigste, es ist auch das bisher Schnellste. Er kostet mich 4000 Dollar pro Monat, wobei einen Großteil der Kosten nicht die gespeicherten Bilder, sondern die Bandbreite ausmachen, also die Geschwindigkeit, mit der möglichst viele Besucher gleichzeitig Daten abrufen können. Wenn mir Freunde empfehlen, die Seite doch wie früher von meinem Wohnzimmer aus zu fahren, mit einer 1-Megabit-Leitung, dann täuschen sie sich. Ich brauche heute 20 Megabit Bandbreite! Über den Daumen gepeilt verteilen sich die Kosten so: 1000 Dollar für die Speicherung der Daten, 1000 Dollar für die Bandbreite, 1000 Dollar für das Leasen der Server, 1000 Dollar für administrative Posten: die Kreditkartenfirma, das Personal, was das System überwacht und die Besucherzahlen für die Werbekunden aufbereitet und so weiter."

    Willis Boyce kann von photosig nicht leben. Die Seite trägt sich durch einige Tausend Abonnenten aus aller Welt, vorwiegend aus den USA, Kanada, Großbritannien, Italien, Polen und Deutschland. Neben dem Privileg, Bilder in großen Mengen hochladen zu können, genießen es die zahlenden Kunden, nicht mit Werbung belästigt zu werden. Sie sehen die Seite pur.

    "Die Werbung ist aus meiner Perspektive als Betreiber der Webseite sehr interessant. Ich muss immer wieder neu entscheiden, auf welche Seite welche Werbung kommt. Und je nachdem, wie viel Mühe ich darauf verwende, klicken mehr oder weniger Besucher der Seite auf diese Werbung. In einem außergewöhnlich guten Monat verdiene ich dann bis zu 4000 Dollar nur durch Werbung. Normal sind eher 2000 bis 3000 Dollar. Wenn ich mir weniger Gedanken machen würde, wäre es wesentlich weniger. Ich kümmere mich dabei nicht um individuelle Werbungen, sondern kaufe Pakete von Werbedienstleistern ein, die diese dann automatisch auf meinen Seiten schalten. Wenn ich mich für einen dieser Anbieter entschieden habe und seine Werbungen gerade sehr gut zu dem Inhalt bestimmter Seiten passen, zahlt sich das für mich direkt aus. Ich bin nicht immer mit der Palette an angebotenen Anzeigen zufrieden und kann dann einzelne nach Bedarf ausschließen, etwa Werbungen, die Flash-Animationen beinhalten oder die Pop-Ups, also neue Seiten öffnen. Dass ich nicht mit einzelnen Firmen verhandle, sondern ganze Werbepakete einkaufe, hat unter anderem den Grund, dass ich für einzelne große Werbekunden trotz meiner paar Millionen Seitenzugriffe pro Tag nur ein kleiner Fisch bin."

    Hinter photosig steckt eine Menge Programmierarbeit – vom automatisierten Hochladen von Fotos bis zur internen Bewertung von Kommentaren mit Fuzzy Logic. Willis Boyce hat jede Zeile Kode dafür selbst geschrieben, und zwar ursprünglich in der Websprache PHP, inzwischen in Java. Java kommt ihm besser strukturiert, weil objektorientierter vor. Bevor ich den Amerikaner wieder in seine Bank in Midtown Manhattan entlasse, wo er – ebenfalls mit Java – Software zur Abschätzung des Finanzrisikos bei Hedge Fonts schreibt, noch die Frage, ob er ein so fein laufendes Fotoforum nicht inzwischen sich selbst überlassen kann?

    "Ich ändere den Kode laufend geringfügig, um neue Optionen einzubauen. Ein Langzeitjob aber ist es, das System insgesamt stabiler zu machen. Meine erste Java-Version enthielt viele richtig fiese, tief versteckte Fehler. Noch vor einem Jahr hat einer dieser Fehler bewirkt, dass das System jeden Tag wegen Speicherüberlaufs abstürzte. Die Seite machte Probleme oder war dann nicht mehr erreichbar, ich musste den Server neu starten lassen. Der Fehler lag daran, dass ich die Routine für eine Datenbankabfrage nicht geschlossen hatte. Dass ich ihn nicht gleich fand, lag daran, dass es zwischen zwölf und 36 Stunden dauerte, bis die Routine überlief. So etwas ist nur ganz schwer zu reproduzieren."