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Nicht nur wortgetreu übersetzen, sondern mit intuitivem Gespür

Erika und Elmar Tophoven wurden von Freunden nur die "Tops" genannt. Sie fühlten sich als Übersetzerpaar dem "transparenten Übersetzen" verpflichtet - und diskutierten oft mit den Autoren, zum Beispiel Samuel Beckett, über die richtige Wortwahl. In ihrem Erinnerungsbuch beschreibt Erika Tophoven diese Arbeit.

Von Gisa Funck | 06.03.2012
    Erika Tophoven: "Das war eigentlich ja gar kein Beruf, als ich anfing. Und dann auch noch Literatur zu übersetzen. Das hatte ich nie vor. Das entdeckte ich dann erst in Paris, als ich meinen Mann kennenlernte, und dann auch sofort an eine Übersetzung von Beckett herangeführt wurde."

    25 Jahre alt war Erika Tophoven und hatte gerade eine Dolmetscherausbildung hinter sich, als sie im Herbst 1956 in Paris ihren späteren Mann Elmar Tophoven kennenlernte. Der acht Jahre ältere Übersetzer drückte der jungen Frau spontan ein englisches Hörspiel-Manuskript von Samuel Beckett in die Hand. Ob sie das vielleicht kurzfristig übersetzen könnte? Erika Tophoven willigte ein, ohne zu ahnen, dass dies der Startschuss für eine jahrzehntelange Lebens- und Arbeitspartnerschaft war:

    "Ich muss sagen, dass ich ja erstmal wirklich Schülerin war. Ich habe die ersten zehn Jahre eigentlich nur wie ein Schwamm alles aufgenommen und gelernt, gelernt, gelernt, worauf es ankam, und dann war ich so die erste Leserin, kritische Leserin, machte meine Anmerkungen, die wurden diskutiert. Dabei lernte ich schon zu argumentieren, eben dieses einfache "Es klingt ja nicht gut" eben doch etwas mehr zu präzisieren und mir klar zu werden, woran liegt es denn nun an diesem Satz, warum der nicht gut klingt. Und nach einer gewissen Zeit kam natürlich auch das Bedürfnis, mal selbstständig zu übersetzen. Und das habe ich dann so in den 70er Jahren auch weiter durchgeführt, aber immer so, dass wir beide zusammen oder parallel an den entscheidenden Texten arbeiten konnten."

    Heute gelten Erika und Elmar Tophoven - von Freunden nur kurz "die Tops" genannt - längst als deutsche Vorreiter des modernen Übersetzens. In den 50er und 60er Jahren haben beide entscheidend dazu beigetragen, dass die in Paris lebenden Avantgarde-Autoren wie Samuel Beckett, Alain Robbe-Grillet, Claude Simon oder Nathalie Sarraute im Deutschland der Nachkriegszeit überhaupt erst bekannt wurden. Dabei arbeitete das Ehepaar Tophoven von Anfang an als Team zusammen, auch wenn Erika zunächst nur Gegenleserin ihres Mannes war - und bis heute im Schatten des berühmteren Elmar steht:

    "Diese Einsamkeit, die der Übersetzerberuf mit sich bringt, spürten wir weniger, da wir zu zweit waren, die Passion des Übersetzens teilten und das Übersetzen ein wichtiges Bindeglied zwischen uns bildete. Die Lösungen kamen mal von der einen, mal von der anderen Seite und entwickelten sich oft im Gespräch. Ich lernte zu erkennen, warum eine Lösung besser war als die andere. Und könnte mit Winnie in "Glückliche Tage" sagen, es waren glückliche Jahre."

    So beschreibt Erika Tophoven in ihrem Erinnerungsbuch "Glückliche Jahre" rückblickend die Zusammenarbeit mit ihrem Mann, der sich dem Credo eines "transparenten Übersetzens" verpflichtet fühlte. Um den Prozess bis zur endgültigen Übersetzung auch für Außenstehende sichtbar zu machen, notierte Elmar Tophoven schon bald alle Vorüberlegungen, Wortfindungsprobleme und Recherche-Maßnahmen auf Karteikarten, die seine Frau Erika bis heute verwahrt:

    "Es bleibt immer vieles auf der Strecke. Aber was interessant ist, ist eben jetzt für mich auch, nicht nur das Original und die danebenstehende Übersetzung, sondern eben diese Schritte, die dazwischen liegen. Und das finde ich nach wie vor ganz wichtig. Auch für alle Übersetzer denke ich wird das interessant sein: Wie kommt man zu der Lösung? Und dass das erhalten geblieben ist, ist für mich eben sehr kostbar. Dass das nicht alles weg ist. Und ist für mich eine Quelle der Inspiration, zweifellos."

    Mittels ihres Karteikartensystems legten die Tophovens nicht nur Rechenschaft über ihre Arbeit ab, sie dokumentierten damit auch jene Lücke des Unübersetzbaren, die jeder Übersetzer kennt. Schließlich reicht es für eine gute Übersetzung bekanntlich nicht aus, nur wortgetreu nach Wörterbuch vorzugehen. Man muss als Übersetzer auch ein intuitives Gespür für den Klang und die übergeordnete Bedeutung von Sprache besitzen und sich manchmal vom ursprünglichen Satzbau lösen. Hierbei hilft oft das Gespräch mit einem Gegenüber. Weswegen sich Elmar Tophoven zusammen mit dem Nabokov-Übersetzer Klaus Birkenhauer vehement für die Gründung eines europäischen Übersetzerkollegiums in seiner Geburtsstadt Straelen einsetzte, wo sich Übersetzer seit 1985 zum Erfahrungsaustausch treffen können. Zur Besonderheit der Tophovens gehörte außerdem, dass sie mit den Schriftstellern, die sie ins Deutsche übertragen haben, oft befreundet waren. Und darum manchmal Textprobleme direkt mit den Autoren besprechen konnten:

    "Das große Glück war natürlich, dass die Autoren, jedenfalls Beckett und Nathalie Sarraute, deren ganzes Werk wir ja übersetzt haben, dass beide an der deutschen Sprache so interessiert waren. Und Beckett ja auch aktiv daran teilgenommen hat. Man hat manchmal gemeinsam lange überlegt, ob man diese oder jene Lösung findet, jenes Wort und so weiter. Es sind Neologismen eingeführt worden wie "Losigkeit" oder "Verweiser" für Texte. Die Worte konnte man ja nicht im Wörterbuch finden. Und die fand man nur nach langen, gemeinsamen Überlegungen. Und alles wurde ihm vorgelesen. Und bei Nathalie Sarraute war es genauso, dass also der Roman ihr von der ersten bis zur letzten Zeile ihr vorgelesen wurde."

    Nachdem ihr Mann Elmar 1989 gestorben war, führte Erika Tophoven die Übersetzungsarbeit für Samuel Beckett und Nathalie Sarraute alleine fort. Und verließ Frankreich schließlich nach 40 Jahren, um im Jahr 2000 nach Berlin umzuziehen. Die biografischen Aufsätze und Interviews ihres Buches rekapitulieren nun noch einmal das gemeinsame Übersetzerleben in Paris. Das ist vor allem dann spannend zu lesen, wenn von der keineswegs leichten Anfangszeit des Paares die Rede ist. Denn als literarischer Übersetzer war man auch in Paris damals schon schlecht angesehen - und wurde ebenso schlecht bezahlt. Entsprechend mussten die Tophovens neben ihrer literarischen Arbeit immer wieder Nebenjobs als Rundfunksprecher oder Fremdenführer annehmen. Erschwerend hinzu kam, dass viele Franzosen - nur ein paar Jahre nach der Nazi-Okkupation – den Deutschen misstrauisch gegenüberstanden. So wie Nathalie Sarraute, die sich als ehemals verfolgte Jüdin zunächst weigerte, ihren Übersetzer Elmar Tophoven kennenzulernen:

    "Ja, Nathalie Sarraute - ich erinnere mich genau an dieses erste Gespräch, wir hatten noch nicht mal Telefon, also unten Place Maubert, um 12 Uhr mussten wir sie anrufen, um einen Termin zu vereinbaren. Und erst, nachdem Robbe-Grillet ihr gesagt hatte, sie könnte ganz getrost ihn empfangen, hat sie sich dann dazu bereit erklärt. Und dann wurde es ein sehr enges, warmherziges Verhältnis. Und sie hat später in einem Film gesagt: Na ja, sie hätte selbst gemerkt, dass sie zur Rassistin wurde. Und hat von da an keinerlei Reserven uns gegenüber zum Ausdruck gebracht. Ich bin mit ihr durch Deutschland gefahren und auch mein Mann war ja mit ihr in Deutschland, verschiedentlich. Also: Das hat sich dann ganz gelegt."

    "Glückliche Jahre" ist persönliches Erinnerungsbuch und zugleich Rückblick auf ein faszinierendes Kapitel der Literaturgeschichte. Die Wege innerhalb der familiär anmutenden Literaturszene von Paris waren zwischen Autoren, Verlegern und Übersetzern noch verblüffend kurz - und die Debatten um eine angemessene Form des Erzählens wurden noch hitzig geführt.

    Buchinfos:
    Erika Tophoven: "Glückliche Jahre - Übersetzerleben in Paris". Gespräche mit Marion Gees, mit zahlreichen Abbildungen, Beiträge von Elmar Tophoven und Christian Linder, 239 Seiten, 19,90 Euro.