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Nichts wie weg aus Deutschland

Angesichts der Abwanderung von Fachkräften aus Deutschland hat der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Integration und Migration, Klaus Bade, einschneidende Änderungen des Steuer- und Gewerberechts angemahntt. In Neuseeland brauche man beispielsweise für die Gründung eines Unternehmens bloß drei Tage, hierzulande könne das Monate dauern.

Klaus J. Bade im Gespräch mit Regina Brinkmann | 28.05.2009
    Regina Brinkmann: Nichts wie weg aus Deutschland – sagen jährlich zehntausende Fachkräfte und verlassen das Land. Arbeitsmärkte in Irland, der Schweiz, den USA oder Irland lockten bislang mit besseren Jobchancen und Gehältern. Doch mit der internationalen Wirtschaftskrise hat sich das Blatt gewendet. Immer mehr Deutsche bekommen jetzt im Ausland den rauen Wind der Krise zu spüren, müssen sich mit weniger Geld zufrieden geben oder verlieren ihren Job und packen ihre Koffer für die Heimkehr nach Deutschland. Trotzdem schlägt der Sachverständigenrat für Integration und Migration in einer aktuellen Studie Alarm und warnt vor den gravierenden Folgen der Abwanderung von Hochqualifizierten. Wie berechtigt ist denn diese Sorge, wenn immer mehr Deutsche dem Ausland in Zeiten der Wirtschaftskrise den Rücken kehren. Das habe ich den Ratsvorsitzenden und Migrationsforscher Klaus Bade vor dieser Sendung gefragt.

    Klaus J. Bade: Zunächst müssen wir mal fragen, ob die Rückkehrer in größerer Zahl überhaupt kommen oder ob es sich dabei nur um das handelt, was wir Rückwanderungsneigung nennen, also die Anfrage bei entsprechenden Stellen, ob es diese oder jene Jobs in Deutschland gibt. Aber selbst nehmen wir einmal an, sie kämen zurück, dann werden sie Deutschland mit anderen Augen sehen, weil sie Deutschland sehen, den deutschen Markt sehen vor dem Hintergrund der im Ausland gemachten Erfahrungen. Sie vergleichen also stärker.

    Brinkmann: Und das hält sie nicht dauerhaft im Land?

    Bade: Keiner ist der liebe Gott und kann in die Zukunft schauen, aber jedenfalls sind das die Kandidaten, die am ehesten wieder gehen.

    Brinkmann: Was vertreibt denn die Hochqualifizierten aus Deutschland?

    Bade: Die Motive, die genannt werden, sind immer wieder die gleichen. Es wird einerseits gesagt, man rechnet mit besserem Einkommen, manchmal relativiert sich das im Blick auf den höheren Lebensstandard – in der Schweiz ist das ja ganz unterschiedlich, jeder Kanton hat seine eigene Steuerregelungen, in England verdient man durchaus nicht mehr. Das zweite Argument, das immer wieder genannt wird, sind flachere Hierarchien, also nicht so steile Betriebshierarchien, insbesondere in Krankenhäusern wie in Deutschland. Das Dritte, was gerade bei Mittelständlern gesagt wird, ist das komplizierte Steuersystem in Deutschland, das andernorts nicht der Fall ist. Ein viertes Argument, das immer wieder genannt wird, ist eine Tendenz zur Überregulierung gerade im gewerblichen Bereich, bei Selbstständigen, die gehen. Es gibt dann das allgemeine Argument, schneller voranzukommen, in seiner Leistungsbereitschaft mehr anerkannt zu werden. Und dann kommen eine ganze Menge von mentalen Argumenten: Über dem Land liege so was Ähnliches wie ein depressiver Schleier, man suche nach einer neuen Aufbruchstimmung und dergleichen mehr. Aus diesem Gesamtzusammenhang ergeben sich die Argumente. Meistens sind sie sehr konkret.

    Brinkmann: Was muss sich denn da noch konkret ändern, damit die Firma Deutschland, wie Sie sie ja nennen, ihre Personalprobleme in den Griff bekommt?

    Bade: Das ist eine sehr gute Frage. Die liegt natürlich jenseits unserer Zuständigkeit als Sachverständigenrat für Integration und Migration. Wir können diese Felder nur ansprechen und sagen, Vorsicht Leute, da blinkt etwas, ihr müsst euch darum kümmern. Wir müssen natürlich darüber nachdenken, wie wir dieses Land im Inneren für Hochqualifizierte attraktiver machen und auch nach außen. Im Grunde genommen ist Deutschland unter Wert in der öffentlichen Diskussion verkauft, das ist wie ein schmuckes Auto, das ständig mit einer verdreckten Karosserie herumfährt, sodass man gar nicht genau erkennen kann, was das eigentlich für eine Marke ist, nämlich eine ziemlich hochkarätige Marke. Da müssen wir sehr viel für tun und auch im Inneren einiges verbessern.

    Brinkmann: Ja, aber offensichtlich ist das eine Marke, die ja die Hochqualifizierten jetzt hier in diesem Land schon mal nicht mehr erkennen können.

    Bade: Weil ganz bestimmte Dinge hier schlechter ausgeprägt sind als im Ausland. Wir haben zum Beispiel, wenn wir in dem mentalen Bereich bleiben wollen, eine ausgeprägte Neigung zu einer Neidkultur in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn man in den USA sagt, "this is a 100.000-dollar-man" oder so was Ähnliches, dann sagen viele Amerikaner, Donnerwetter, der muss aber was können, wenn er so viel Geld verdient. In Deutschland heißt die Frage: Warum krieg ich das Geld eigentlich nicht, was der kriegt? Das ist ein mentales Problem, das Sie natürlich nicht mit einer Stellschraube ändern können. Aber man kann natürlich einiges dafür tun, dass die Bedingungen, was die steilen oder flachen Hierarchien angeht, in der Bundesrepublik Deutschland sich etwas ändern. Man kann natürlich einiges ändern im Blick auf das Steuersystem, man kann einiges ändern im Blick auf die Überregulierungen im gewerberechtlichen Bereich. Gründen Sie doch in Deutschland mal ein Unternehmen. In Neuseeland oder in Australien brauchen Sie dafür drei Tage, bei uns müssen Sie die Tage in Monaten rechnen.

    Brinkmann: Abwanderung ist ja auch Ausdruck für internationale Mobilität. Können Sie dieser Mobilität auch etwas Positives abgewinnen?

    Bade: Aber absolut! Internationale Mobilität kann ein ungeheurer Gewinn sein für ein Land, aber es ist eben derzeit ein gern erzähltes Märchen, das nicht wahrer wird dadurch, dass man es immer wieder erzählt, dass man sagt, und wenn sie nicht gestorben sind, dann kehren sie alle wieder mit einem riesigen Füllhorn von Innovationen, das sie über das Land ausgießen. Das ist in diesem Maße offenkundig nicht der Fall. Wichtig ist bei der internationalen Mobilität, dass dem Abstrom von Innovation auch ein Zustrom von Innovation entspricht. Dabei ist es volkswirtschaftlich vollkommen egal, ob dieser Zustrom über Deutsche oder über die Köpfe von Ausländern ins Land kommt.