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Nie mehr Holzklasse!

Chinas Wirtschaftsboom hat die bitterste Armut von Hunderten Millionen Menschen beseitigt. Dafür herrschen in den Unternehmen frühkapitalistische Zustände - doch die Firmenleiter werden immer häufiger mit etwas Neuem konfrontiert: dem Streik.

Von Astrid Freyeisen | 27.07.2010
    Breite Netze an den Gebäudefassaden, hohe Zäune auf den Dächern – die Selbstmordserie hat Spuren hinterlassen in der riesigen Fabrikstadt von Foxconn in Shenzhen – unweit von Hongkong. Zudem hat der weltgrößte Elektronikhersteller den Grundlohn seither verdoppelt, um die Arbeiter von bis zu 100 Überstunden im Monat zu befreien. Die Reaktion der Arbeiter:

    "Ich glaube nicht, dass mir das etwas bringt. Außerdem wird der Lohn ja erst nach einer dreimonatigen Leistungsprüfung erhöht. Die werde ich vielleicht nicht schaffen."

    "Die meisten von uns Arbeitern sind hier, um schnell Geld zu verdienen. Wir wollen Überstunden machen. Natürlich gab es diese Selbstmorde. Aber es haben sich doch nur wenige umgebracht."

    Im Mai wurde dies erst in China zu einem Skandal, dann in der ganzen Welt. Erstens, weil der taiwanesische Elektronikriese zu den teuersten 500 Unternehmen der Welt gehört. Zweitens, weil er für wichtige Marken wie Dell, Nokia und Apple produziert – auch das Kult-Handy iPhone.

    In Hongkong gingen Tausende auf die Straßen und nannten Foxconn einen unmoralischen Arbeitgeber. Vor der Firmenzentrale in Taiwan trauerten Demonstranten um die Toten und forderten lautstark, dass Foxconn die Verhältnisse in seinen Fabriken auf dem chinesischen Festland verbessere. Angesichts des öffentlichen Drucks sah sich Konzernchef und Multimilliardär Terry Gou gezwungen, sein Werk persönlich zu inspizieren. Verblüffte Reporter durften in Shenzhen beobachten, wie der Chef seine Manager anschrie. In einer Pressekonferenz verbeugte sich Terry Gou tief, sichtlich mitgenommen:

    "In meinem Namen und für meine Firma möchte ich in aller Höflichkeit um Verzeihung bitten: gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber allen meinen Mitarbeitern und den Familien der Opfer. Wir haben versagt, wir haben jenen nicht geholfen, die psychische Probleme bekamen, weil sie sich bei uns schlecht behandelt fühlten."

    Terry Gou versprach, alles zu tun, um die Selbstmordserie zu stoppen. Er pfiff seine Manager zurück: Die hatten den Arbeitern einen Brief geschrieben, in dem diese sich verpflichten mussten, keinen Selbstmord zu begehen. Allein, dass es einen solchen Brief gegeben hatte, zeigt das Grundproblem im iPhone-Werk: Die Einstellung der Führungsriege gegenüber den Arbeitern. Ein junger Foxconn-Manager erzählt:

    "Die Arbeiter dürfen nicht miteinander sprechen. Wer das trotzdem tut, wird bestraft. In einem Schlafsaal leben acht Arbeiter der verschiedensten Abteilungen. Viele kennen nicht einmal die Namen ihrer Zimmergenossen. In vielen Abteilungen sind Handys verboten. Aber heutzutage sind Handys doch die wichtigste Kommunikationsquelle. Ohne sie ist das Leben sehr unangenehm, geradezu sinnlos. Man ist wie abgetrennt vom Rest der Welt."

    Fast eine halbe Million Menschen arbeiten in der Fabrikstadt von Foxconn in Shenzhen, an jenem Ort im südchinesischen Perlflussdelta, wo vor 30 Jahren das Wirtschaftswunder begann: Shenzhen ist eher eine schier endlose Landschaft aus unzähligen Gewerbegebieten als eine Stadt. Mit Menschen, die aus allen Teilen des Landes kamen, um schnell möglichst viel Geld zu verdienen, das sie nach Hause zu ihren Familien schicken können. Die Arbeiter kaufen die täglichen Dinge des Lebens in kleinen Geschäften rund um die Fabriken. Bei Foxconn erkennt man sie an ihren dunkelblauen, weißen und roten Poloshirts. Sie sagen, der Skandal habe ihr Leben etwas verändert:

    "Bei uns ging es sehr streng zu. Jetzt spielen sie in den Werkhallen Musik, damit wir uns ein bisschen entspannen."

    "Ich arbeite von acht bis acht. Das ist schon okay, besser als früher. Jetzt haben wir eine Stunde Mittagspause. Früher waren es nur 45 Minuten. Das Essen hat sich auch verbessert. Die Manager sind nicht mehr ganz so streng."

    "Aber einige Arbeiten sollten Menschen wirklich nicht tun müssen. Die Leute gehen morgens in ihren dunkelblauen Shirts zur Arbeit. Und wenn sie abends zurückkehren, sind sie mit weißem Staub bedeckt. Und total müde. Dabei ist Foxconn noch immer besser als andere Firmen, was Arbeitszeiten und Sozialleistungen angeht."

    Foxconn stellt hauptsächlich Teenager ab 16 Jahren ein, die Ältesten sind 25. Wer vor Foxconn woanders gearbeitet hat, lobt die Firma meist für die Sicherheit am Arbeitsplatz und für Sozialleistungen. Aber selbst die machen vielen die Defizite nicht wett:

    "Ich habe vor ein paar Wochen gekündigt, nach zwei Monaten. Es war zu anstrengend, zehn, elf Stunden täglich. In anderen Fabriken geht es ähnlich zu. Foxconn ist sogar besser als die meisten anderen. Trotzdem will ich nach Hause aufs Land zu meiner Familie. Hier kann ich doch nicht genug verdienen. Wir sind alle noch jung. Wir wollen Spaß haben."

    Chinas führender Arbeiterrechtler Liu Kaiming ist überzeugt, dass so die Mehrheit der jungen Generation von Wanderarbeitern denkt.

    "Die Arbeiter wollen sich nicht mehr länger alles gefallen lassen: die strengen Vorschriften, die Beleidigungen durch das Management und die langen Stunden an den Werkbänken, in denen man wie ein Roboter arbeiten muss. Der Großteil des chinesischen Wirtschaftswachstums wurde von diesen Wanderarbeitern erzeugt. Die meisten von ihnen, etwa 30 Millionen, sind unter 30 und kommen vom Land. Ihre Vorstellungen von Arbeit und Rechten, von Stadt und Land unterscheiden sich sehr stark von denen der Vorgängergeneration."

    Diese Chinesen hatten noch Maos Kampagnen durchlitten, den großen Sprung nach vorne und die Kulturrevolution, Missernten und Hungersnöte. Sie freuten sich über einmal Reis im Monat und einmal Fleisch im Jahr, als Festessen zu Chinesisch Neujahr. Diese Zeiten sind vorbei. Obwohl in China auf dem Land fließendes Wasser in den Bauernhäusern noch immer nicht selbstverständlich ist, hat der Wirtschaftsboom die bitterste Armut von Hunderten Millionen Menschen beseitigt. Auch in Guizhou, von wo die 25-jährige Ye Xiaxia nach Shenzhen aufbrach:

    "Ich werde hier nicht ewig bleiben. Mein Plan ist: Ich will 50.000 Yuan sparen und dann nach Hause zurückkehren. Dort will ich dann machen, wozu ich wirklich Lust habe. Meine Cousine in Guizhou hat einen Porzellangroßhandel. Sie sagt, ich könne für sie verkaufen. Ich bin schon 25. Ich habe schon einen Freund. Ich will etwas für mich erreichen. Wenn ich Kinder habe, werde ich keine Wanderarbeiterin mehr sein. Ich wollte immer eine Geschäftsfrau werden. Ich will nie wieder in den Fabriken arbeiten, in denen ich angefangen habe. Ich habe schon Besseres gesehen. Man muss sich nach oben orientieren, nie nach unten. Wenn ich jetzt meinen Job wechsle, dann nur für etwas Besseres."

    Umgerechnet rund 200 Euro verdient Ye Xiaxia im Monat. Natürlich besitzt sie ein Handy und natürlich verbringt sie viel Zeit im Internet. Dort hat sie auch ihren Freund kennengelernt, der Hunderte von Kilometern entfernt lebt und den sie heiraten will. Die Hoffnung auf Wohlstand, auf eine Chance für jene, die hart waren im Nehmen, schienen bislang Industriezentren wie Shenzhen oder Shanghai und das Yangzi-Delta zu bieten. Doch Liu Kaiming zweifelt:

    "Meine Recherchen zeigen, dass im Perlflussdelta und im Yangzi-Delta ein durchschnittlicher Wanderarbeiter umgerechnet 190 Euro verdient. Er schuftet dafür 66 Stunden die Woche, 120 Überstunden im Monat. Diese beiden Industrieregionen Perlfluss- und Yangzi-Delta machen nicht einmal zwei Prozent der Landfläche in China aus, aber 40 Prozent der Wirtschaftsleistung, über die Hälfte aller Steuereinnahmen und 60 Prozent des Exports unseres Landes. Das meiste davon erwirtschaften Wanderarbeiter. Um vier Personen ernähren zu können, müsste ein solcher Arbeiter in den Zentren 40 Euro mehr verdienen, als dies der Fall ist. Nämlich mehr als 230 Euro. Es gibt in China aber immer noch Orte, in denen der gesetzliche Mindestlohn gerade mal 80 Euro beträgt. Das ist extrem wenig."

    Deshalb sind die Arbeiter bereit, so viele Überstunden wie möglich zu machen. Deshalb fällt es den Teenagern bei Foxconn auch so schwer, zu glauben, dass die angekündigten Lohnerhöhungen ihnen auch wirklich einen Vorteil bringen würden. Riesenfirmen wie eben Foxconn sind finanziell immerhin in der Lage, ihrer Belegschaft auf einen Schlag erheblich mehr Geld zu zahlen. Für kleinere Betriebe ist dies ein Problem. Die Fabrik von Frank Jäger stellt im Perlflussdelta Industriekabel her:

    "Mit einem Grundgehalt kriegst Du keine Arbeiter. Weil es im Moment hier im Perlriver-Delta einfach nicht genug Arbeiter gibt. Wir haben zwei Millionen zu wenig Arbeiter, obwohl wir die Wirtschaftskrise hatten."

    Frank Jäger sagt, der Skandal um Foxconn fache einen Konkurrenzkampf unter Arbeitgebern um die besten Kräfte an. Was die Lage nach der Finanzkrise noch schwieriger mache für einen Mittelständler wie ihn:

    "Man kann aber immer noch nicht mit zehn Prozent mehr Grundgehalt Arbeiter kriegen. Weil, zu viel Überstunden gemacht werden, überall. Und dann muss man halt Überstunden bieten. Das Gesetz sagt, dass man bis zu 60 Überstunden machen kann. Das ist auch das, was man mindestens anbieten muss. Wenn wir keine 60 Überstunden machen, sagt der Arbeiter, ich verdiene hier im Monat nicht genug. Und dann habe ich entweder die Chance, ihm das Gehalt zu erhöhen, und damit verliere ich Geld, geht nicht, setze mich außer Konkurrenz, oder ich muss Arbeitsplätze abbauen, irgendwo, sodass die verbleibenden Arbeiter wieder 60 Überstunden machen. 60 Überstunden ist vielen dann auch nicht genug, denn sie sagen, ich arbeite nur einmal im Leben, ich will viel Geld verdienen, ich will nicht 60, ich will 100 Überstunden machen, und das geht dann gegen das Gesetz. Ist also eine ständige Gratwanderung."

    Auch Liu Kaiming beobachtet schon seit 2004 den Trend, dass Arbeitskräfte immer knapper werden. Seit Herbst 2009 habe sich dieser noch verstärkt, auch wegen des Konjunkturprogramms der Regierung. Die kurbelte als schnellstes Mittel gegen die Krise Bauprojekte an, vor allem im unterentwickelten Hinterland. Das Kernproblem der chinesischen Wirtschaft sei damit aber nicht beseitigt, findet Liu. Es sitze viel tiefer:

    "China hat keinen technologischen Vorteil, auch keinen Vorteil des großen Marktes. Der einzige Vorteil ist die billige Arbeitskraft. In den letzten 30 Jahren ist die chinesische Wirtschaft doppelt so schnell gewachsen wie die Weltwirtschaft. Trotzdem leben 60 Prozent der Chinesen noch immer von weniger als fünf US-Dollar am Tag. Das ist unglaublich."

    Beim asiatischen Wirtschaftsforum in Boao auf der Insel Hainan war dies im Frühjahr Thema einer Diskussionsrunde. Chen Zhiwu, aus China stammender Wirtschaftsprofessor der amerikanischen Elite-Uni Harvard sagte:

    "Die chinesische Regierung arbeitet mit dem Reichtum. Was tut sie damit? Es ist entscheidend, auch über die Verteilung von Reichtum zwischen der Regierung und anderen sozialen Gruppen zu sprechen. Nach meinen Berechnungen haben sich die Einnahmen der Regierung seit 1995 verzehnfacht. In derselben Zeitspanne haben sich die Einnahmen der Bewohner in chinesischen Städten nur etwas mehr als verdoppelt. Mein Vorschlag: Alle Anteile von Staatsbetrieben sollten in einen Treuhandfond für die chinesischen Bürger gegeben werden. Die Gewinne sollten gleichmäßig in der Bevölkerung verteilt werden. Jeder Bürger bekäme eine Abrechnung, wie viel er von dem Fond jährlich zu bekommen hat. Dies würde die Leute dann auch zum Geldausgeben bewegen."

    Der Direktor des staatlichen Wirtschaftsforschungsinstituts Fan Gang widersprach:

    "Ich finde nicht, dass der Staat überhaupt viel tun sollte. Es wird immer viel über Regierungshilfen und Subventionen geredet. Ich halte das nicht für richtig. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Wenn man bestimmte Preise, auch die Lohnkosten zu früh anhebt, könnten viele Leute ihre Jobs verlieren. Man sollte sich anschauen, was in anderen Entwicklungsländern, etwa in Südamerika passiert ist und daraus lernen."

    Für Arbeiterrechtler Liu Kaiming dreht sich das Problem nicht nur um die riesige Kluft zwischen Arm und Reich in China. Er sieht alle in der Pflicht: die chinesische Regierung, die Firmen und ihre Kunden in der Welt:

    "Sie haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass an ihren Produkten kein Blut klebt. Konsumenten sollten mehr Druck ausüben, auch mit Boykotten."

    Im chinesischen Internet wird längst diskutiert, ob Foxconn ein krasser Einzelfall ist – oder doch typisch für die Zustände in der chinesischen Zulieferindustrie für die großen globalen Marken. Die Hongkonger Autorin Alexandra Harney untersucht die Lage chinesischer Arbeiter seit Jahren:

    "Meine ersten Erfahrungen beziehen sich auf die Schuhindustrie. In den 90er-Jahren lief es da sehr schlecht, es gab Kinderarbeit, Arbeiter wurden unterbezahlt. Heute dagegen findet man gerade dort die besten, fortschrittlichsten Programme zum Schutz der Arbeiter. Ich war auch angenehm überrascht über die Offenheit von Firmen wie Addidas oder Puma. Sie haben mir viel bereitwilliger die Tore ihrer Zulieferer geöffnet als amerikanische Firmen. Warum hat sich gerade in dieser Branche so viel verändert? Sie stand unter dem größten Druck der Öffentlichkeit. Ich erlebe, dass chinesische Firmen gegenüber ihren internationalen Kunden noch immer einen geringen Spielraum für Verhandlungen haben. Aber das ändert sich, weil immer mehr Dinge in China hergestellt werden müssen, dazu gibt es keine Alternative. Auch in der Elektronikindustrie ist das so. Alles wird in China hergestellt."

    So wurde China Exportweltmeister. Mithilfe unzähliger Firmen aus aller Welt. Was rein chinesisch und was eher international ist am Boom, ist kaum zu trennen. Arbeiterrechtler Liu Kaiming sieht eine dramatische Schieflage:

    "Unser Wirtschaftswachstum dient nur der Regierung, der kommunistischen Partei und dem Militär. Die Arbeiter werden diskriminiert. Sie dürfen ihre Familien nicht in die Städte holen. Sie haben keine politischen Rechte, damit sie nicht protestieren oder verhandeln können."

    Im kommunistischen China ist ein Dokument entscheidend: Die Bescheinigung über den Wohnsitz, genannt "hukou". Gewöhnlich wird dieses Dokument dort ausgestellt, wo der Mensch aufgewachsen ist. Zieht er auf der Suche nach Arbeit in andere Teile des Landes, bleibt er am ursprünglichen Wohnort gemeldet. Nur dort hat er Anspruch auf soziale Leistungen – wo es sie schon gibt auf dem flachen Land. Liu Kaiming fordert:

    "Als Erstes muss das 'hukou'-System abgeschafft werden. So könnten öffentliche Dienstleistungen auch innerhalb von Fabriken wie Foxconn angeboten werden. Dies würde die Fabriken von Gefängnissen zu Städten machen. Wenn nur die Hälfte der Arbeiter mit ihren Familien leben dürfte, wenn die Arbeiter Freundschaften schließen und einen Sinn für Gemeinschaft entwickeln könnten, dann wären viele Probleme bereits gelöst."

    Die Zukunft des "hukou"-Systems wird auch in der Spitze der Regierung diskutiert. Über entscheidende Reformen ist aber noch nicht entschieden. Derweil verändert der Foxconn-Fall die Lage. Immer mehr chinesische Fabrikarbeiter streiken für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Bei Zulieferern von Honda, Toyota oder der japanischen Nähmaschinenfabrik Brother. Auffallend ist, dass es vor allem Firmennamen trifft, die nicht aus der Volksrepublik stammen. Geoffrey Crothall von der Hongkonger Arbeiterrechtsorganisation "China Labor Bulletin" sagte Anfang Juni:

    "Es ist okay, schlechte Nachrichten über eine ausländische oder taiwanische Firma wie Foxconn zu verbreiten, aber nicht über eine chinesische Firma. Das wäre schlecht für das nationale Image. Dabei gibt es gerade einen Streik in Henan von 5000 Arbeitern in einer Baumwollspinnerei, bei der nicht ganz klar ist, ob sie nicht sogar in Staatsbesitz ist. Auch dort geht es um höhere Löhne und Sozialleistungen."

    Streiks sind in China eigentlich verboten, weil sie nach kommunistischer Lesart ja überhaupt nicht nötig sind. Bisher wurden Streikende deshalb von der Polizei fast immer zügig auseinandergetrieben. Anders im Fall Honda, wo sich junge Arbeiter nicht nur nicht einschüchtern ließen. Sondern sogar einen renommierten Professor aus Peking als Rechtsberater gewinnen konnten. Ganz bewusst setzten sie nicht auf die Vertreter der staatlichen Einheitsgewerkschaft in ihrer Firma. Für Liu Kaiming zeigt auch dies, wie selbstständig die neue Generation denkt.

    "Im Honda-Streik hat man die Einheitsgewerkschaft kaum wahrgenommen. Die Streikenden haben viel Klugheit an den Tag gelegt. Als die Ersten von ihnen gefeuert wurden, haben sie keine Anführer vorgeschickt. Stattdessen haben sie alle Masken getragen, damit der Arbeitgeber sie nicht erkennt. Sie haben auch darüber geredet, wie unzufrieden sie mit der Gewerkschaft sind."

    Liu Kaiming ist nicht sonderlich enthusiastisch. Solange die Partei die Gewerkschaften als Instrument der Kontrolle sehe, werde sich nicht viel ändern:

    "Ein paar Streiks wie der bei Honda werden das lange bestehende, korrupte System nicht erschüttern. Ökonomische Anpassungen verwandeln sich in politische Anpassungen. Die neuen Arbeitnehmer brauchen politische Teilhabe, um ihre Rechte schützen zu können. Aber die kommunistische Partei monopolisiert die Macht durch Organisationen wie die Gewerkschaft. Und es gibt noch keine Anzeichen dafür, dass die Regierung bereit wäre, daran irgendetwas zu ändern."

    Als der Skandal bei Foxconn immer größer wurde, erwog die Firma kurz, einen Teil der Produktion nach Taiwan zu verlegen. Dann jedoch entschied sich der Elektronikriese für einen anderen Plan: Er will nun in der Armutsprovinz Henan ein Werk für 300.000 Mitarbeiter aufbauen.