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Niebel, Homburger und Bahr raus aus der FDP-Führung

Nun ist es amtlich: Philip Rösler und Rainer Brüderle werden das Spitzenduo der Liberalen im Bundestagswahlkampf sein. Auf dem Berliner Parteitag wurden beide von den Delegierten gewählt. Doch bei der Abstimmung zu ihren Stellvertretern gab es Überraschungen.

Von Jeanette Seiffert und Stefan Maas | 10.03.2013
    Wenn eine Partei ein halbes Jahr vor einer Bundestagswahl einen Wahlparteitag abhält, dann hat das etwas von einer Mannschaftsaufstellung vor einem entscheidenden Fußballspiel. Mehr Teamspiel, weniger persönliche Eitelkeiten und: weniger Fouls. Vor allem das wünschen sich die Delegierten von ihrer Führungsmannschaft. Der liberale Parteinachwuchs illustriert das auf einem eigens für diesen Parteitag entworfenen Plakat: Es zeigt ein Fußballfeld mit den Konterfeis der wichtigsten Köpfe der Partei:

    Lasse Becker:
    "Wir haben als Sturmspitze Rainer Brüderle, der fürs Tore schießen zuständig ist, linkes offensives Mittelfeld Christian Lindner, und im rechten offensiven Mittelfeld Guido Westerwelle, in der Mitte Philipp Rösler, der als Kapitän auch die Bälle verteilt."

    Erklärt der Vorsitzende Lasse Becker die Wunschaufstellung der "Jungen Liberalen". Die wichtigsten Positionen an der Mannschaftsspitze, Philipp Rösler und Rainer Brüderle, immerhin sind nach den Führungsrangeleien der vergangenen Monate gesetzt.

    Wahlleiter:
    "Dann darf ich Sie jetzt bitten, den Stimmzettel mit der Nummer zwei zur Hand zu nehmen. Sie können entweder den Namen, Dr. Philipp Rösler, oder ja oder nein oder Enthaltung vermerken. Bitte nichts anderes. Keine Herzchen malen oder irgendwelche Kommentare, sonst wird der Stimmzettel nämlich ungültig ... "

    FDP-Chef Rösler auf dem Bundesparteitag
    FDP-Chef Rösler auf dem Bundesparteitag (dpa / Kay Nietfeld)
    Erleichterung bei Philip Rösler
    Und dann stehen sie da, die Fotografen und Kameraleute. Haben sich vor dem Tisch aufgebaut, an dem Philipp Rösler sitzt. Neben seinem Generalsekretär. Warten gespannt - auf das Ergebnis, auf die Reaktion - die kleinste Regung. Und während die Stimmen ausgezählt werden, drängen immer mehr heran. Drängen immer näher. Dann nach langen Minuten endlich die Erlösung:

    Wahlleiter:
    "Uns liegt das Ergebnis zur Wahl des Bundesvorsitzenden vor. Möchten Sie es hören? [Ja, aus dem Hintergrund des Saales]. Ich wollte nur testen, ob Sie auch mitmachen.

    Es entfielen auf Dr. Philipp Rösler 534 Stimmen. Das sind 85,71 Prozent."

    Rösler springt auf, erleichtert, fällt Patrick Döring um den Hals, bahnt sich seinen Weg durch die Menge der Kameraleute und Fotografen zur Bühne. Dort wird er beglückwünscht, umarmt, Hände werden geschüttelt. Zwar hat Rösler etwa zehn Prozent weniger Stimmen bekommen als bei seiner ersten Wahl zum Parteichef, aber das Ergebnis ist gut. Endlich ist der Bann auch offiziell gebrochen. Die Partei hat sich hinter ihren Vorsitzenden gestellt.

    Schon als der Parteichef wie geplant um Punkt zwölf Uhr am Samstag vors Mikrofon tritt, ist schnell klar: Hier spricht kein neuer Philip Rösler, aber einer mit neuem Selbstbewusstsein. Rösler erscheint so gelassen wie schon lange nicht mehr, klammert sich nicht mehr ans Pult wie bei seinen letzten Auftritten - und auch nicht so streng wie sonst ans Manuskript. Er spricht frei, seine Stimme ist kraftvoller denn je, kämpferisch. Verschwunden der Klassensprecher, der hofft, je schneller er spricht, umso schneller ist es vorbei. Rösler nimmt sich Zeit für die Attacke. Sein liebstes Ziel: Die Grünen.

    Philipp Rösler:
    "Die Grünen sind längst zum Sinnbild des Obrigkeitsstaates geworden. Alle kennen den Vergleich. Früher kam der Obrigkeitsstaat mit Pickelmütze. Heute kommt er mit Birkenstocksandalen angeschlichen. Das werden wir aber nicht zulassen, liebe Freundinnen und Freunde."

    Auch wenn die Birkenstockzeiten bei den Grünen längst Vergangenheit sind - die Delegierten nehmen das nicht so genau - sie freuen sich am neuen Kampfesmut ihres Vorsitzenden.

    Bekräftigung zu Schwarz-Gelb mit Seitenhieben
    Sie spenden spontanen Zwischenapplaus und am Ende klatschen sie minutenlang. Vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit nicht nur deshalb, weil sie Solidarität demonstrieren müssen. Sie wollen es, auch wenn die Partei laut Umfragen mit vier Prozent noch immer nicht wieder in den Bundestag einziehen würde - und damit eigentlich nicht besser dasteht als noch zu Jahresbeginn, als Röslers Zukunft ungewiss war. An diesem Samstag in Berlin braucht es keine Applaus-Wagenburg. Weil Rösler gut ist, seiner Partei Mut macht - und munter austeilt. Seine Botschaft: Die FDP ist die einzige liberale Partei Deutschlands.

    Auch der Koalitionspartner, die Union, kommt nicht ungeschoren davon. Beispiel: Steuererhöhungen. Da sei die Union doch längst umgefallen, wolle bloß noch die "unnötigen" Steuererhöhungen vermeiden - zitiert Rösler das Parteiprogramm der CDU.

    Philipp Rösler:
    "Sonst läuft es ganz gut in der Koalition. [Lachen] Deswegen will ich auch keinen Zweifel daran lassen, dass es diese Regierungskoalition ist, die in schwierigen Zeiten die Erfolge für Deutschland erreicht hat. Und ich will keinen Zweifel daran lassen, dass ich auch vorhabe, dass wir diese Koalition nach der Bundestagswahl 2013 in dieser Konstellation auch fortsetzen können. Vor allem mit einer starken Freien Demokratischen Partei."

    Dafür muss die Partei jetzt zeigen, dass sie zusammenstehen kann:

    Philipp Rösler:
    "Wir brauchen jetzt ein starkes Team. Für die anstehende Bundestagswahl 2013. Einen Kapitän und einen Stürmer, so wie er selber gesagt hat, der ein Tor ums andere schießen wird. Für uns, für die Liberalen."

    Diesen Stürmer, den Spitzenkandidaten Brüderle, hatte der Parteichef am 21. Januar präsentiert. Dem Tag nach der Wahl in Niedersachsen. Und hatte dem 67-Jährigen gleich sein eigenes Amt noch mit angeboten. Im Rücken das beste Wahlergebnis, das die niedersächsischen Liberalen jemals eingefahren hatten. Brüderle, der in den Tagen vor der Wahl Rösler immer deutlicher kritisierte hatte, sagte "Nein".

    Weil er nie Parteivorsitzender werden wollte, sagen die einen, und auch Brüderle selbst wird nicht müde das zu betonen. Rösler habe die Wucht des Moments genutzt und den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion geschickt auf die Matte geworfen, sagen die anderen. Damit habe er zudem seine eigene Position gefestigt und den internen Machtkampf endlich für sich entschieden. Was auch immer der wirkliche Beweggrund gewesen sei, das Angebot alleine verdiene schon Respekt, meint Heinz-Peter Haustein, Mitglied des Bundestages aus dem Erzgebirge:

    Peter Haustein
    "Das Risiko lag ja vor allem bei Philipp Rösler. Der hätte in einer Minute sämtliche Machtpositionen weghaben können. Und vielleicht auch irgendwann sein Ministerium. Respekt und Hochachtung, dass er den Mut gehabt hat, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Das sind wenige in der Politik, die das machen. Weil sie alle Angst haben um ihren Sessel."

    Dieser Einsatz hat sich gelohnt. Vielen Anwesenden an diesem Wochenende in Berlin ist anzumerken und anzuhören, dass sie froh sind über diese Doppellösung. Dass die Blutgrätsche ausgeblieben ist.

    Rainer Brüderle soll FDP-Spitzenkandidat bei der kommenden Bundestagswahl werden
    Rainer Brüderle (dpa / Hannibal)
    Brüderle - Kandidat für alle Themen
    Brüderle, den die Delegierten am Sonntagmittag mit langem Applaus und Fangesängen zum Spitzenmann küren, zeigt, dass er sich das Versprechen zum Teamspiel zu Herzen nimmt. Brüderle und Rösler ergänzen sich, wie angekündigt. War Philipp Rösler kämpferisch in seiner Rede, ist Brüderle für seine Verhältnisse leise, ist nachdenklich und staatstragend. Wo Rösler vor allem die Grünen ins Visier genommen hat, zielt Brüderle auf die SPD und ihren Spitzenkandidaten. Die Fettnäpfchen-Suchmaschine. Brachte Brüderle bei den letzten Parteitagen das Herz der geschundenen Partei zum Überquellen, zielt der 67-Jährige jetzt auf den Kopf.

    Klassik statt Stadionrock. Dazu Innenpolitik, Bildung, NPD-Verbot, Außenpolitik, Türkei, Mali, Europa, Schulden, Stabilitätspakt. Brüderle, der Kandidat für alle Themen. Und dann, ganz zum Schluss, nach weit mehr als einer Stunde, zeigt er doch noch einmal, dass er aus jedem Winkel sicher ins Tor trifft, dass er auch mit Inhalt noch immer stadiontauglich ist:

    Rainer Brüderle:
    "Sie können uns beschimpfen, sie können uns beklopfen, sie können uns bewerfen oder sonst was, aber sie können uns nicht beugen - wir überlassen nicht diesen Fuzzis, diesen fehl-programmierten Typen nicht unser Land. Dafür kämpfen wir, jeden Tag, jede Stunde bis zum 22. September. Auf in den Kampf!"

    Die Delegierten jubeln, Brüderle lässt sich feiern, der Parteivorsitzende fällt in den Applaus ein. Sie nicken einander zu, dann posieren sie gemeinsam für die Fotografen - mit einem blaugelben Fußball.

    Über die reine Mannschaftsaufstellung hinaus geht es bei der FDP nun aber auch darum, wie sich die Partei inhaltlich aufstellt - und um die vielleicht noch wichtigere Frage: Wie viel Abgrenzung zum Koalitionspartner darf, wie viel muss sogar sein, um einen eigenständigen Wahlkampf führen zu können? Wo ist der Schulterschluss angebracht, wo setzt die FPD eigene Akzente? Bei einem Thema lag der Ball quasi schon direkt vor dem Tor: der Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Und Philipp Rösler verwandelt die Vorlage:

    Philipp Rösler:
    "Als Liberale ist es uns egal, wo Sie herkommen, wie Sie aussehen, was Sie anhaben. Uns ist egal, wie Sie leben wollen, wie Sie lieben wollen, und wen Sie lieben wollen. Hauptsache, Sie lieben überhaupt jemanden."

    Man will, so viel wird schnell klar, die Union beim Thema Gesellschaftspolitik vor sich hertreiben - und sie dazu bringen, nicht erst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten, das nach seiner Entscheidung zum Adoptionsrecht demnächst vermutlich auch die steuerliche Gleichstellung anmahnen wird. Ein Antrag zur sofortigen Angleichung der Rechte homosexueller Partnerschaften wird mit großer Mehrheit angenommen.

    Uneinigkeit beim Mindestlohn
    Große Harmonie. Nur bei einem Thema, da wird mit Leidenschaft der Dissens gepflegt: der Mindestlohn. Den will die Parteispitze zwar auch nicht flächendeckend und bundesweit. Will nicht 8,50 Euro, wie SPD oder Grüne fordern, schon gar nicht zehn wie die Linke, will auch nicht dem Koalitionspartner Union nachlaufen mit einer Expertenkommission - und dennoch geht auch dieser kleine Schritt manchen zu weit:

    Philipp Rösler:
    "Meine Damen und Herren, heute fiel das Wort "Wohlstandsvernichtungswaffe. Ein Lohndiktat, das ist dann die flächendeckende "Wohlstandsvernichtungswaffe."

    Auch seine Partei sehe die Lebenswirklichkeit, sagt Parteichef Philipp Rösler. Oder wie Heinz-Peter Haustein, der Abgeordnete aus dem Erzgebirge und selbst mittelständischer Unternehmer mit 140 Angestellten, es ausdrückt:

    Heinz-Peter Haustein:
    "Manche Leute, die dann Regale auffüllen und mit drei oder vier Euro abgespeist werden, das ist doch unanständig. Von diesen Unternehmern. Das sind keine Unternehmer. Das ist nicht in Ordnung so was. Man muss auch den Arsch in der Hose haben. Wenn ich meine Leute mit drei oder vier Euro abspeise, dann muss ich den Betrieb zumachen. Das ist immer noch besser, als die Leute so dahinsiechen zu lassen. Und dann noch zum Arbeitsamt schicken als Aufstocker."

    Der Antrag, den der Parteivorstand eingebracht hat, sieht deshalb vor, in weiteren Branchen regional differenzierte Lohnuntergrenzen zu ermöglichen. Der als "Euro-Rebell" bekannt gewordene Finanzexperte Frank Schäffler hingegen will mit einem Gegenantrag erreichen, dass jede Form der Lohnuntergrenze abgelehnt wird.

    Frank Schäffler:
    "Wir sollten nicht dazu beitragen, dass am Ende die, die draußen sind, draußen bleiben. Wir sollten Perspektiven schaffen, dass sie in Arbeit kommen, das ist eine liberale Politik; das andere ist Sozialismus."

    Auch Lasse Becker, dem Bundesvorsitzenden der JuLis, der Jungen Liberalen, geht der Kursschwenk der Parteiführung zu weit:

    Lasse Becker:
    "Ich finde, man kann nicht erklären, warum man eine Legislatur erklärt hat, Mindestlöhne sorgen für mehr Jugendarbeitslosigkeit, sorgen für mehr Schwarzarbeit. Und dann am Ende, bloß weil die Wahl nahekommt, jetzt das Ganze umstellen will. Da bin ich wirklich skeptisch."

    Auch die JuLis haben einen Gegenantrag gestellt. Im Zentrum das liberale Bürgergeld, eine Art Grundeinkommen, nur eben nicht bedingungslos.

    Doch zur großen Aussprache kommt es am Ende nicht. Denn eine Mehrheit der Delegierten ist sich vor allem in einem einig: Schluss für heute - Wiedervorlage im Mai. Auf dem nächsten Parteitag der Liberalen in Nürnberg. Dort muss die FDP dann wohl Farbe bekennen, wie viel marktwirtschaftlich reine Lehre die Partei will - oder wie viel Flexibilität.

    Bahr, Homburger und Niebel abgestraft
    Sich flexibel zeigen - dieses Credo gilt bei den Freidemokraten diesmal nicht nur in inhaltlichen, sondern auch bei personellen Fragen. Vor allem Christian Lindner, der ehemalige Generalsekretär, sorgt dafür, dass die Karten an der Führungsspitze neu gemischt werden müssen: Erst vor einem guten Jahr war der smarte Hoffnungsträger der Liberalen als Röslers Generalsekretär zurückgetreten und hatte sich erst mal auf die Oppositionsrolle im nordrhein-westfälischen Landtag verlegt: Dass er nun als Röslers Stellvertreter angetreten ist, ist ein deutliches Signal dafür, dass der 34-Jährige wieder in der ersten Liga, also auf Bundesebene, mitspielen will. Mit 77 Prozent ist sein Ergebnis vergleichsweise wenig glamourös. Das könnte mit selbst verordneter Zurückhaltung der Delegierten zu erklären sein. Denn im Vorfeld ging die Furcht um, Lindner könnte das Ergebnis des Parteivorsitzenden Rösler allzu sehr überflügeln. Was dann wiederum zu neuerlichen Diskussionen geführt hätte, dass Lindner sich womöglich schon jetzt als Röslers Nachfolger in Stellung bringt.

    Wolfgang Kubicki:
    "Ich habe immer gesagt: Wenn ich in seinem Alter schon so weit gewesen wäre wie er, was hätte alles aus mir werden können?"

    Meint auch Wolfgang Kubicki, ein bekennender Christian-Lindner-Fan. Und sagt dem smarten 34-Jährigen damit eine große Zukunft bevor.

    Wolfgang Kubicki:
    "Er hat sich entschieden, in NRW jetzt noch eine Weile Landespolitik zu betreiben, und ich glaube, es kommt danach eine Zeit, in der er auf Bundesebene eine noch größere Rolle spielen wird als jetzt als stellvertretender Bundesvorsitzender."

    Nachdem auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihre Wiederwahl als Parteivize souverän und mit gutem Ergebnis überstanden hat, folgen die heiklen Personalien: Denn durch Lindners für viele überraschende Kandidatur sind die Stellvertreterposten knapp geworden. Für den Dritten bewirbt sich zum einen Birgit Homburger, die im vergangenen Jahr ohne Murren ihren Platz als Fraktionsvorsitzende für Rainer Brüderle freigeräumt hat - und nicht müde wird zu betonen, dass sie die perfekte Teamspielerin an der Seite Röslers sei:

    Birgit Homburger:
    "Er ist der Mannschaftskapitän. Und Rainer Brüderle ist die Sturmspitze. Und als ehemalige Fußballerin und Libero stabilisiere ich liebend gerne die Abwehr."

    Und zum anderen Holger Zastrow, der einzige Ostdeutsche an der Parteispitze. Den aber schon Philipp Rösler in seiner Rede als Dickschädel vorgestellt hat - Zastrow returniert:

    Holger Zastrow:
    "Ich bin Holger Zastrow, der Dickschädel. Philipp, über deinen Humor musst du noch mal nachdenken. Der ist verbesserungswürdig, du hättest ja auch sagen können: der Charakterkopf."

    Dass auf dem Fußballplatz und in der FDP alles möglich ist, zeigt dann das Ergebnis: Der Sachse schlägt Homburger überraschend im zweiten Wahlgang. Haarfein zwar, aber der Dickschädel setzt sich durch. Allen Absprachen zum Trotz, die es im Vorfeld zwischen einigen großen Landesverbänden zugunsten Homburger gegeben hat. Sein sächsischer Kollege Heinz-Peter Haustein kann es kaum fassen:

    Hans-Peter Haustein:
    "Das war vorneweg von der Partei ausgekungelt gegen Zastrow. Wir haben viel Arbeit geleistet im Vorfeld, jeder Abgeordnete, der jemanden kannte, hat gesagt: Denk mal drüber nach, wollt ihr wirklich eine reine Westpartei. Was hättet ihr Medien denn draus gemacht, wenn Zastrow verloren hätte: Die Partei beschränkt sich auf den Westen, Osten abgeschrieben. Das war ein wichtiges Signal!"

    Die Strippenzieher in der Partei haben sich verzockt - und nun ein Problem: Kaum vorstellbar, die stets loyale Homburger leer ausgehen zu lassen. Die Anspannung im Saal ist fast mit Händen zu greifen: An wechselnden Orten im Saal bilden sich kleine Grüppchen, die aufgeregt die Köpfe zusammenstecken und offenkundig über Optionen und Lösungen beraten. Als sie sich wieder auflösen, lächelt Birgit Homburger. Kurz darauf findet die Nachricht ihren Weg durch den Saal, dass sie für den dritten Beisitzer-Posten antreten wird - ohne Gegenkandidaten. Loyalität, das ist die Botschaft, zahlt sich eben doch aus, auch in der manchmal etwas ruppigen FDP.

    Und für Letztere steht wie kein anderer die wohl umstrittenste Person des Parteitags: Dirk Niebel. Der Mann, der Anfang des Jahres beim Dreikönigstreffen Philipp Rösler die nötige Führungsstärke absprach und Rainer Brüderle aufs Schild heben wollte. Der Störenfried, der auch als Entwicklungshilfeminister nicht immer "bella figura" macht.

    Dirk Niebel:
    "Ich bin Dirk Niebel, und ich bin manchmal laut, manchmal auch vorlaut, aber niemals kleinlaut."

    Und der trotzdem wieder für den Beisitzer-Posten antritt, gegen den Gesundheitsminister Daniel Bahr und den schleswig-holsteinischen Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki - ungeachtet des Gegenwinds, der ihm von allen Seiten entgegen weht:

    Dirk Niebel:
    "Das häufigste Wort von Dirk Niebel in den letzten Wochen war: Ich. Ich, ich, ich - und meine Damen und Herren: Das wünsche ich mir nicht mehr. Ich wünsche in diesem Bundestagswahlkampf ein Stück mehr Teamfähigkeit, und das wünsche ich mir auch vom neuen Präsidium."

    Lasse Becker:
    "Wer die ganze Zeit aufs eigene Tor schießt und Blutgrätschen gegen die eigenen Teammitglieder macht, wird entweder vom Trainer mit einer Roten Karte vom Platz gestellt oder vorher vom Trainer ausgewechselt - und ich glaube, das wird dieser Parteitag machen."

    Den Treffer des Tages landet in diesem Wettbewerb schließlich Wolfgang Kubicki in seiner Rede - und das ausgerechnet bei dem Thema, um das alle anderen auf dem Parteitag einen großen Bogen gemacht haben: Die Sexismus-Vorwürfe, die die Journalistin Laura Himmelreich in einem Stern-Artikel gegen Rainer Brüderle erhoben hat:

    Wolfgang Kubicki:
    "Wir müssen vor den Sozialdemokraten dieses Landes keine Angst haben, im Gegenteil, wir können sie bekämpfen und schlagen - argumentativ schlagen, nicht physisch."

    Wolfgang Kubicki:
    "Ja, man muss ja vorsichtig sein in seiner Wortwahl, das wird ja sofort aufgeschrieben. Ich habe gesehen, Frau Himmelreich ist auch anwesend - also das war jetzt kein ... "

    Wolfgang Kubicki:
    "Ich hoffe jetzt inständig, dass der Beifall jetzt mir galt und nicht ihr."

    Der Saal tobt daraufhin minutenlang - es ist dieses klare Foul gegen die "Stern"-Journalistin, der auf die Freidemokraten eine geradezu kathartische Wirkung hat - und vielleicht ist es das, was letztlich den Ausschlag dafür gibt, dass Kubicki sich mit knapp 64 Prozent deutlich gegen seine Konkurrenten durchsetzt.

    Der Querschläger Niebel ist damit ebenso aus dem Rennen wie der eher brave Daniel Bahr - stattdessen sitzt nun ein quer denkender Wolfgang Kubicki im Präsidium. Ob die Arbeit für Parteichef Rösler damit leichter wird - und ob vor allem das Teamspiel bei der FDP künftig stimmt: wer weiß. Dirk Niebel jedenfalls will offenbar weiterhin sein ganz eigenes Spiel spielen. Und weil Fußball eben nicht so sein Ding ist, nimmt er eine Anleihe bei seinem Lieblingssport: Rugby.

    Dirk Niebel:
    "Ich bin der Überzeugung, Rugby und Politik haben viel gemeinsam: Beides ist Raufen nach Regeln, und wenn das Spiel zu Ende ist, dann muss man sich auch zusammenraufen."