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Niederländer wollen starke EU-Kommission

Die Niederlande wollen, anders als etwa Frankreich oder Deutschland, keine Wirtschaftsregierung in Europa. Das kleine Land will stattdessen mehr Rechte für die EU-Kommission. Der Grund dafür sind vor allem nationale Interessen.

Von Kerstin Schweighöfer | 21.10.2011
    Er habe in letzter Zeit viele Reisen unternommen, sagt der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und fügt schmunzelnd hinzu.

    ""Eigentlich müsste mein Flugzeugsitz in der Regierungsmaschine inzwischen ziemlich durchgesessen sein!”"

    Denn die Niederländer haben einen ganz besonderen Plan, um den Euro zu retten und zugleich für die Zukunft vorzusorgen. Um seine übrigen Kollegen in der Europäischen Union rechtzeitig vor dem entscheidenden EU-Gipfel für diesen Plan zu erwärmen, flog Rutte kreuz und quer durch Europa. Am Montag noch war er in Paris, und vor zwei Wochen bei Angela Merkel in Berlin.
    Das Besondere am Vorschlag der Niederländer: Sie möchten die Europäische Kommission stärken und sie unabhängiger machen. Die Kommission soll sogar aktiv eingreifen und sich in nationale Belange einmischen dürfen. Dabei geht es nach dem Willen der Niederlande nicht nur um hochverschuldete Staaten: Die EU-Kommission soll auch dann schon eingreifen können, wenn nur die wirtschaftliche Stabilität eines Landes gefährdet ist: wenn also zum Beispiel Arbeitslosigkeit und Löhne hoch sind oder auch Immobilienpreise und die private Verschuldung.

    Am liebsten würde Den Haag einen EU-Sonderkommissar einsetzen: Er soll den betreffenden Ländern gegebenenfalls auf die Finger schauen, sie ermahnen, Reformen verordnen und notfalls Sanktionen verhängen: zum Beispiel eine Strafe in Höhe von 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auferlegen, finanzielle Hilfen streichen und EU-Subventionen kürzen oder zeitweise sogar ganz sperren.

    ""Was wir brauchen”", so der niederländische Finanzminister Kees de Jager, ""ist ein unabhängiges Organ, das Mitgliedsländer zwingen kann, sich an Absprachen zu halten, und das eingreift, wenn sie zu entgleisen.” "

    Dass die Niederländer die EU-Kommission stärken wollen, kommt nicht von ungefähr: Für sie ist es der Gegenentwurf zur sogenannten Wirtschaftsregierung , für die sich Paris und Berlin stark machen. Denn würde eine Wirtschaftsregierung eingerichtet, hätte wohl weiterhin der Europäische Rat das Sagen, also das Gremium der 27 Staats- und Regierungsschefs: Die würden dann entscheiden, wann die Wirtschaftsregierung eingreift und welche Sanktionen sie verhängen soll. Die kleinen Niederlande könnten dabei schnell überstimmt werden. Und deshalb war der rechtsliberale Premier Mark Rutte in den letzten Tagen und Wochen vor allem eines: ein Lobbyist.

    Der französische Präsident Sarkozy jedenfalls habe sich positiv zu seinem Vorschlag geäussert, wusste Rutte nach seinem Parisbesuch am Montag zu vermelden.

    Und auch Angela Merkel zeigte sich nicht abgeneigt, nachdem ihr niederländischer Kollege ihr den Plan Anfang Oktober in Berlin vorgelegt hatte. Ob Deutschland dafür im Gegenzug bereit ist, die Idee einer Wirtschaftsregierung fallen zu lassen, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Zudem räumte selbst Rutte ein, dass es für die Einführung eines Sonderkommissars vielleicht noch zu früh sei, das hänge davon ab, wie der Gipfel verlaufe, das könne nur schwer eingeschätzt werden.
    In jedem Falle aber wollen die Niederländer ihre Forderung nach mehr Kontrolle über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Mitgliedsstaaten durchsetzen. Nur dann, so Finanzminister Kees de Jager, sei Den Haag bereit, eine Banken-Rekapitalisierung durch den Rettungsschirm EFSF oder dessen Aufstockung zuzulassen.

    Das Tabu, dass Europa in nationale Budgets eingreifen könnte, muss nach dem Willen der niederländischen Regierung durchbrochen werden.