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Niederlande
Erste Parlamentsvorsitzende mit Migrationshintergrund

Seit genau einer Woche ist sie im Amt: Khadija Arib, 55 Jahre alt, Tochter eines Gastarbeiters aus Hedami bei Casablanca. Markenzeichen: knallroter Lippenstift, dunkle Locken. Mit ihr haben die Niederlande erstmals eine Parlamentspräsidentin mit Migrationshintergrund.

Von Kerstin Schweighöfer | 21.01.2016
    Gestern Nachmittag im niederländischen Parlament. Die neue Präsidentin Khadija Arib eröffnet eine ihrer ersten Plenardebatten. Im Zentrum: die Identifikation der Opfer des Flugzeugabsturzes MH17 über der Ostukraine im Sommer 2014 - und der renommierte forensische Pathologe George Maat. Er hat mehr als 300 Todesopfer identifiziert. Justizminister Ard van der Steur hatte Maat im letzten Sommer zu Unrecht aus dem Identifikationsteam entlassen, weil dieser seinen Studenten während eines Seminars Fotos seiner Arbeit gezeigt hatte. "Unangebracht und geschmacklos", befand der Justizminister. Ein vorschnelles Urteil: Monate später stellte sich heraus, dass sich Professor Maat nicht das Geringste zu Schulden hatte kommen lassen und rehabilitiert werden muss.
    Justizminister van der Steur ist dadurch selbst ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Es war bereits sein dritter Fehler innerhalb von nur sechs Monaten - und die Debatte gestern Nachmittag verlief dementsprechend heftig. Doch Khadija Arib bestand diese Feuerprobe mit Bravour. Souverän leitete die Präsidentin die Debatte, sie ließ sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen:
    Ihren Gegnern hat die elegante 55-Jährige damit erst einmal viel Wind aus den Segeln genommen. Denn ihre Wahl war umstritten. Khadija Arib ist sowohl Niederländerin als auch Marokkanerin. Sie kam erst nach Amsterdam, als sie 15 Jahre alt war. Geert Wilders und seine islamfeindliche "Partei für die Freiheit" PVV hatten bis zuletzt versucht, ihre Wahl mit einer heftigen Kampagne zu verhindern.
    "Doppelte Staatsbürgerschaft bedeute doppelte Loyalität, so Wilders und sprach von einem "schwarzen Tag für die niederländische Demokratie"."
    Aber, so konterte Arib gelassen: Wilders könne denken und sagen, was er wolle - SIE sei die neue Präsidentin - und zwar die Präsidentin aller, auch der PVV-Abgeordneten:
    Ihr marokkanischer Pass sei längst abgelaufen, so Arib. Ein marokkanischer Staatsbürger habe nun einmal nicht die Möglichkeit, seine Nationalität abzulegen, das lasse die marokkanische Regierung nicht zu. Arib versprach, als Parlamentspräsidentin ein lastpak zu sein - ein Quälgeist, der dafür sorgt, dass das Parlament vom Kabinett immer ausreichend und rechtzeitig informiert werde. Ihre Wahl zeige, so Arib, "wie schön dieses Land sein kann, wenn man die Chancen ergreift, die es einem bietet."
    Es kommt nicht auf die Herkunft an
    Die geschiedene dreifache gilt als Musterbeispiel einer emanzipierten Migrantin. Nach ihrem Soziologiestudium in Amsterdam spezialisierte sie sich auf die Rechte von Frauen und Kindern. Dass die Niederlande einen Kinderombudsmann bekamen, ist vor allem ihrem Einsatz zu verdanken. Seit 1998 sitzt sie für die Sozialdemokraten im Parlament in Den Haag.
    Die Wahl zur Parlamentspräsidentin ist die vorläufige Krönung ihrer Karriere. Mit Bravour hatte sie sich zuvor den Fragen der Abgeordneten gestellt und dabei so viel Humor und Selbstironie bewiesen, dass sie alle drei Gegenkandidaten aus dem Feld schlagen konnte: 3'40
    Auf ihre Fremdsprachenkenntnisse angesprochen, antwortete sie etwa, man könne sie zwar nicht mit Kommissar Frans Timmermans vergleichen, der als Sprachwunder gilt. Aber so schlecht englisch wie Fußballtrainer Louis van Gaal spreche sie nun auch wieder nicht.
    Einige niederländische Kommentatoren glauben, dass sich Aribs doppelte Staatsbürgerschaft trotz allem noch als ihre Achillesferse erweisen könnte. Denn ob die gebürtige Marokkanerin in der Lage ist, auch dann noch neutral und objektiv eine Parlamentsdebatte zu leiten, wenn es um einen Konflikt zwischen den Niederlanden und Marokko geht, bleibt abzuwarten. Auch so manchen Bürger muss die neue Parlamentspräsidentin erst noch für sich gewinnen:
    "Die Niederlande müssen niederländisch bleiben!" Meint dieser ältere Käseverkäufer. Ein niederländischer Präsident wäre ihm deshalb lieber gewesen. "Ach was", korrigiert ihn sein Mitarbeiter. "Niederländerin ist sie doch auch! Meinen Segen hat sie."
    Und eine Kundin pflichtet ihm bei:
    "Es kommt doch nicht auf die Herkunft an. Es geht darum, ob jemand seinen Job gut erledigt."