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Niederlande
Im Rotlichtviertel wird aufgeräumt

Die Amsterdamer Altstadt soll aufgewertet werden - in dem malerischen Viertel müssen viele Bordelle und Fenster schicken Boutiquen oder Cafés weichen. Kritiker befürchten, dass die Frauen des Rotlichtviertels in unkontrollierbare Klubs oder auf den Strich verschwinden.

Von Kerstin Schweighöfer | 29.08.2014
    Das Amsterdamer Rotlichtviertel "De Wallen"
    Das Amsterdamer Rotlichtviertel "De Wallen" soll entkriminalisiert werden. (AFP / ANP / Koen van Weel)
    "Quartier Putain" - "Hurenviertel" heißt das kleine Café gleich gegenüber der Oude Kerk, der alten Kirche in der Amsterdamer Altstadt. Mitten auf den Wallen - dem berühmt-berüchtigten Amsterdamer Rotlichtviertel. Neben dem Café links eine Kindertagesstätte. Rechts Prostituierte in Reizwäsche hinter roterleuchteten Fenstern. Und dazwischen serviert Luc de Kok zusammen mit seinem Bruder Sahnetörtchen:
    "Auch hinter unseren Fenstern standen vor Kurzem noch leicht bekleidete Mädchen, aber die mussten verschwinden. Daraufhin konnten wir hier einziehen und haben alles renoviert. Mit den Prostituierten, die geblieben sind, verstehen wir uns gut, sie passen nachts auf unser Café auf, falls jemand einbrechen will. Tagsüber passen wir ein bisschen auf sie auf."
    Luc hat die Existenz seines Cafés den Stadtvätern von Amsterdam zu verdanken: Die haben 2008 auf den Wallen zu einer großen Aufräumaktion aufgerufen: 40 Prozent aller Fenster mit Prostituierten sollen verschwinden, Sexklubs und Coffeeshops müssen schließen. Prostituierte und Zuhälter, Dealer und Kiffer - sie machen Platz für Boutiquen und Ateliers, Restaurants, Cafés - und Kitas. Bis vor Kurzem hat auch Bürgermeister Eberhard van der Laan seinen jüngsten Sohn höchstpersönlich mit dem Auto zur Kita auf den Oudekerkplatz gebracht, so offenbarte er bei einem Empfang in seiner Amsterdamer Amtswohnung - und machte damit Werbung in eigener Sache.
    "Das Viertel muss wieder in Balance kommen"
    Von den 480 Rotlichtfenstern wurden bereits gut 100 geschlossen, weitere 100 sollen folgen. Die Stadt kauft die betreffenden Gebäude zusammen mit einer Wohnungsbaugesellschaft auf und lässt sie renovieren. Auf diese Weise soll das Rotlichtviertel aufgewertet und entkriminalisiert werden, erklärt der Bürgermeister:
    "Immerhin geht es um den ältesten und malerischsten Teil von Amsterdam. Schon 1995 ergab eine Untersuchung, dass auf den Wallen mindestens 16 kriminelle Banden ihr Unwesen treiben. Für Investoren war das Gebiet bis Kurzem eine No-go-Area, zum Glück ändert sich das jetzt. Es gab einfach zu viele Bordelle, zu viele Fenster - und mit ihnen zu viel kriminelles Potenzial. Die Polizei hatte längst die Oberhand verloren. Das Viertel muss wieder in Balance kommen."
    Für Entkriminalisierung hätte eigentlich die Legalisierung der Prostitution vor rund 15 Jahren sorgen sollen. Seitdem sind Prostituierte, Sexklubbesitzer und Fenstervermieter legale Unternehmer in der sogenannten Relaxbranche - vorausgesetzt, es geht um volljährige Frauen, die sich freiwillig prostituieren und aus der EU stammen.
    Doch schon zehn Jahre nach dieser Legalisierung ergab eine Untersuchung, dass Menschenhandel und Zwangsprostitution nach wie vor blühen: Minderjährige Prostituierte aus Nicht-EU-Ländern verschwanden unkontrollierbar auf dem Strich oder unerreichbar in illegalen Sexklubs.
    Kritik an Vorgehen
    Ein Schicksal, von dem in Amsterdam durch das Schließen der Fenster nun weitere Frauen betroffen sind. Denn damit verlieren sie ihren transparenten und dadurch relativ sicheren Arbeitsplatz. Überall an den Fenstern sieht man Protestschilder: "Hände weg von den Wallen!" steht darauf. Und: "My body is my business."
    Die Frauen selbst geben sich zurückhaltend. Sobald sie ein Mikrofon sehen, ziehen sie die Vorhänge zu.
    Weitaus gesprächiger ist der 71-jährige Loek, der rund um den pittoresken Oudekerkplein Fenster vermietet. Doch mit diesem lukrativen Geschäft es bald vorbei: Denn auf dem Kirchplatz will die Stadt sogar sämtliche Fenster schließen lassen. Unerhört, findet der alte Loek:
    "Die sind doch gestört da im Rathaus. Seit Menschengedenken gibt es hier auf diesem Kirchplatz Huren! Warum muss auf einmal alles anders werden?"
    Bürgermeister van der Laan räumt ein, dass mit dem Lösen bestimmter Probleme neue entstehen können. Aber, so betont er: "Wir sind auf dem richtigen Weg." Der größte Teil der Bevölkerung stehe hinter ihm. Vorwürfe, die sprichwörtliche Toleranz und Liberalität von Amsterdam stehe auf dem Spiel, fegt er vom Tisch:
    "Wir wollen der Kriminalität einen Riegel vorschieben und nicht die Prostitution abschaffen. Amsterdam ist und bleibt die liberalste Stadt der Welt!"