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60 Kilometer zur Berufsschule
Azubi will Schleswig-Holstein verklagen

Ausbildung am einen Ort und wochenlanger Blockunterricht ganz woanders: Immer mehr Azubis stehen vor dieser logistischen Herausforderung. André Jungbluth will deswegen das Land Schleswig-Holstein verklagen. Es soll ihm die Unterbringung am Berufsschulort zahlen.

Von Ines Burckhardt | 23.11.2017
    Ein Bootsbauer bereitet den Kunststoffrumpf für ein Kajütboot "Variant" am 19. Oktober 2010 in der Werkstatt von Bootsbau Schubert in Plate bei Schwerin für den Innenausbau vor. Der "Variant" wurde 1967 in Schwerin entwickelt und wird bis heute in alter Form, aber nunmehr aus Kunststoff gefertigt.
    Auf einer Werft in Ausbildung und 60 Kilometer entfernt zur Berufsschule? Ein Azubi in Plön macht das so. Die teure Fähre kann er sich aber auf Dauer nicht leisten. Das Geld fürs Internatszimmer hätte er deswegen gerne vom Land wieder. (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Die Berufsschule in Travemünde liegt idyllisch auf der Halbinsel Priwall im Osten Schleswig-Holsteins - ihr Werbespruch lautet: "Lernen, wo andere Urlaub machen". Wasser und Strand sind in der Nähe - aber André Jungbluth steht in einer dunklen, abgetrennten Kammer. Er wird hier zum Bootsbauer ausgebildet, und heute steht "Schweißen" auf dem Lehrplan:
    "Ich hab jetzt hier eine Schweißnaht gezogen und versucht, zwei Flächen zusammenzuschweißen. Hat ganz gut geklappt, glaube ich."
    André Jungbluth ist gerade ins dritte Lehrjahr gekommen. Eigentlich wohnt er im 60 Kilometer entfernten Plön, wo er auf einer Werft ausgebildet wird. Für den Blockunterricht kommt der 26-Jährige aber hier auf den Priwall - wie angehende Bootsbauer aus ganz Deutschland. Blockunterricht, das heißt, vier Wochen Schule am Stück. André Jungbluth:
    "Dadurch, dass es so wenige Bootsbauer in ganz Deutschland gibt und die Schüler aus ganz Deutschland auf den Priwall kommen, dadurch ergibt sich die Tatsache, dass es Blockunterricht gibt."
    "Was sind Land und Gesellschaft bereit auszugeben?
    Für André Jungbluth ist dieser Blockunterricht ein Problem. Pendeln zwischen Plön und der Berufsschule sei keine Option, sagt er - die Fähre für das Auto sei zu teuer und die Bahn fahre nicht so früh morgens. Deshalb schläft er, wie die anderen Azubis, in der Nähe der Schule.
    Aber die Unterbringungskosten und die Kosten für die An- und Abreise müssen die Schüler selbst tragen: Die Arbeitsagentur bezuschusst nur Schüler, die ihren Ausbildungsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort haben. Blockunterricht ist von einem Zuschuss ausgenommen.
    "Man verdient jetzt nicht die Welt als Bootsbauer-Azubi. Und mit 311 Euro, die das Internat hier für vier Wochen kostet, ist das schon ein ziemlicher Batzen an Geld, der dann einfach weg ist. Und das muss man sich auch erstmal leisten können."
    Er könne sich das nicht leisten, sagt Jungbluth - deshalb schläft er mit anderen Auszubildenden in einem Wohnwagen auf einer Wiese. Ihm geht es aber nicht nur um sich selbst:
    "Die Frage ist viel eher, was das Land und die Gesellschaft bereit ist, für ihre Fachkräfte, die sie ja so dringend bemängeln die ganze Zeit, auszugeben, und was ihnen das wert ist, die gut auszubilden."
    Jungbluth will auf Erstattung der Unterbringungskosten klagen
    Deshalb will André Jungbluth jetzt gegen das Land Schleswig-Holstein klagen. Er will die Kosten für die Unterbringung während der Schulzeit erstattet bekommen. Vor Gericht rechnet er sich gute Chancen aus – mit Blick auf Baden-Württemberg, wie er sagt. Dort war eine ähnliche Klage vor mehr als einem Jahr erfolgreich – das Land übernimmt nun die Kosten der 13.000 Berufsschüler, die im Blockunterricht beschult werden.
    Auch Bayern erstattet den Großteil der Kosten. Davon profitiert zum Beispiel Charlotte Rieber, die ebenfalls zur Bootsbauerin ausgebildet wird.
    "Manchmal ist es halt so ein Thema, dass man dann so sagt: Ja, du kannst ja mal ein Bier ausgeben, weil: Du kriegst es ja bezahlt, so ungefähr."
    Die Regelungen der Bundesländer sind sehr unterschiedlich. Ein Berliner Azubi erzählt, er bekomme 12 Euro Zuschuss pro Tag. Das reiche aber hinten und vorne nicht:
    "Ich hab vorher gespart, weil ich gearbeitet hab' und jetzt werde ich neben der Ausbildung, neben der 40 Stunden Woche, noch weiter arbeiten müssen."
    Ist die Berufsschule fern, fürchten Betriebe um ihre Attraktivität
    Laut einer Umfrage der Industrie- und Handelskammern sieht mittlerweile auch jeder fünfte Betrieb die Entfernung zur Berufsschule als Problem an. Markus Kiss vom DIHK:
    "Die Betriebe haben ja zweierlei zu bewältigen: Erstmal den demographischen Trend. Insofern wird’s immer schwieriger für die Betriebe, Azubis zu finden. Und je weniger Azubis, umso weniger Berufsschüler."
    Das habe wiederum zur Folge, dass Klassen landes- oder sogar bundesweit zusammengelegt werden und die Auszubildenden längere Wege haben.
    "Da überlegen sich das dann Jugendliche vielleicht zwei Mal. Und das schmälert die Attraktivität der dualen Ausbildung insgesamt."
    Die Azubis im Blockunterricht müssten mehr unterstützt werden, fordert Kiss. Das ist auch André Jungbluths Anliegen. Er hofft, dass seine Klage gegen Schleswig-Holstein erfolgreich ist - und dann bundesweit Nachahmer findet.