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Niederlandes Solidarität mit der Türkei

Nach einem Ministerratsbeschluss wollen die Niederländer zwei ihre drei Patriot-Flugabwehrraketen für maximal ein Jahr in die Türkei entsenden. Auch wenn der Einsatz rein defensiv geplant ist, Militärexperten warnen vor möglichen Gefahren. Doch eine breite Diskussion darüber ist bisher ausgeblieben.

Von Kerstin Schweighöfer | 11.12.2012
    Der Strand ist weiß, auch im Badeort Noordwijk, rund 30 Kilometer nordöstlich von Den Haag, hat es geschneit. Hoch oben auf dem Dünenkamm thront wie eine trutzige Betonburg "Huis ter Duin”. In diesem altehrwürdigen Grandhotel finden regelmäßig internationale Gipfel oder Konferenzen statt – so wie das NATO-Gipfeltreffen 2007.

    Arie van der Niet, der wie immer vormittags mit seinem Hund einen langen Strandspaziergang macht, erinnert sich noch genau: Der kleine Nordseebadeort glich einer schwer bewachten Festung.

    Der 58-jährige Noordwijker findet die NATO ist eine gute Sache. Deshalb ist er auch dafür, dass die Niederländer zusammen mit Deutschen und Amerikanern an der türkisch-syrischen Grenze Patriot-Flugabwehrraketen bereitstellen.

    ""Die türkischen Bürger und die syrischen Flüchtlinge müssen vor den Angriffen der syrischen Regierung geschützt werden”, "

    … indet van der Niet. Außerdem gehe es darum, Solidarität zu beweisen. Als NATO-Mitglied seien die Niederlande zur Hilfe verpflichtet.

    Damit spricht er der niederländischen Verteidigungsministerin Jeanine Hennis-Plasschaert aus dem Herzen. Sie hatte am letzten Freitag erklärt, dass die Niederländer zwei ihrer drei Patriot-Systeme in die Türkei entsenden werden:
    "”Es geht hier um ein ganz deutliches Mandat”, "
    … so Verteidigungsministerin Hennis-Plasschaert.

    ""Wir treten rein defensiv auf, es geht nicht darum, eine Flugverbotszone über syrischem Territorium zu errichten. Ziel ist es, ein Eskalieren der Lage zu verhindern und die Bürger zu schützen. Außerdem zeigen wir als Bündnispartner Solidarität. Das sind die Ausgangspunkte.”"

    Die niederländischen Patriots waren bereits in zwei Golfkriegen im Einsatz, 1991 und 2003. Für ihre Aufstellung an der türkisch-syrischen Grenze hat sich im Parlament schon vor Wochen eine große Mehrheit abgezeichnet. Strikt dagegen ist nur die PVV von Geert Wilders. Die Grünen und die Sozialisten hingegen stellen lediglich Bedingungen. Sie wollen dafür stimmen – vorausgesetzt, das Kabinett könne während der Parlamentsdebatte garantieren, dass die genannten Ausgangspunkte auch wirklich eingehalten werden. So dürfe der Einsatz der Patriots keinesfalls zum Erzwingen einer Flugverbotszone missbraucht werden. ”Nur wenn wir diese Garantien bekommen, sind wir einverstanden”, so der sozialistische Abgeordnete Harry van Bommel:

    ""Solange die Patriots lediglich rein defensiv eingesetzt werden, gilt auch für uns die NATO-Regel: Ein Angriff auf einen von uns ist ein Angriff auf alle - da dürfen wir einander nicht im Stich lassen.” "

    Aber, so warnen Militärexperten: Der Einsatz könne gefährlich werden. Syrien besitze chemische Waffen, warnte Ko Colijn, Spezialist für Sicherheit beim renommierten Institut für internationale Beziehungen Clingendael in Den Haag, im niederländischen Rundfunk:

    ""Es geht um große Mengen Senfgas oder auch das Nervengas Sarin, die alte Sowjetunion hat das einst an Syrien geliefert. Assad besitzt auch Scud-Raketen und Granaten, um diese chemischen Waffen einzusetzen. Alles befindet sich ausgerechnet im Gebiet rund um Aleppo, das schwer unter Beschuss liegt. Es gibt also durchaus Grund, besorgt darüber zu sein, wer dieses Gebiet kontrolliert.” "

    Doch eine Diskussion haben diese möglichen Gefahren bislang nicht entfacht – weder unter Politikern noch unter Wählern.

    Eine mögliche Ursache: NATO-Funktionären zufolge bietet der Patriot-Einsatz den Niederländern eine ausgezeichnete Möglichkeit, ihr angekratztes Image wieder aufzupolieren, nachdem sie 2010 ihren Einsatz in Afghanistan beendet hatten – und zwar ziemlich abrupt: Bei der NATO wurde damals davon ausgegangen, dass Den Haag den Einsatz ein zweites Mal verlängern würde. Doch das erwies sich für die damalige Dreiparteienkoalition unter dem christdemokratischen Premierminister Balkenende als Zerreißprobe, die seinem Kabinett im Februar 2010 zum Verhängnis wurde: Es kam zu vorgezogenen Neuwahlen. Mit seinen Patriots, so ein NATO-Funktionär im angesehenen NRC Handelsblad, könne Den Haag wieder punkten.

    "”Der Patriot-Einsatz kommt uns nicht ungelegen, das Bedürfnis, im Ausland wieder ein Faktor zu sein, ist gewachsen. Mit unseren Patriots können wir zeigen, dass wir international wieder unseren Teil beitragen.” "