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Niedersachsen
Bürgen von Flüchtlingen sollen Unsummen zahlen

Flüchtlingspaten haben Syrern geholfen, sich legal vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland zu retten – und mit ihrem Hab und Gut gebürgt. Nach einer Gesetzesänderung fanden Flüchtlingshelfer horrende Forderungen in der Post. Sind sie in den Mühlen einer zunehmend restriktiven Flüchtlingspolitik geraten?

Von Alexander Budde | 30.11.2017
    Eine Tasche mit heraushängenden Geldscheinen geht von einer Hand in die andere.
    Ein Flüchtlingshelfer über die Kostenbescheide: "Das zerstört, glaube ich, sehr viel Vertrauen und sehr viel Bürgerengagement, das eigentlich nötig ist!“ (picture alliance / Boris Roessler/dpa)
    Der Kurdische Kulturverein in Wolfsburg: Ahmad Tayeb, vierfacher Familienvater, selbständig als Gastronom, sitzt hier im Vorstand. An diesem Morgen empfängt er den Besucher im Kreise von Freunden und Angehörigen. Tayeb erzählt aus einer Zeit als der syrische Bürgerkrieg eskalierte und nur wenige Kontingentflüchtlinge nach Deutschland kamen. In panischer Sorge um seine Angehörigen, die noch im Konfliktgebiet festsaßen, gehörte er zu den Ersten in Wolfsburg, die eine Verpflichtungserklärung gegenüber der Ausländerbehörde unterzeichneten.
    "2013, als Deutschland die Tür geöffnet hat, das hat uns sehr gefreut, dass wir unsere Familienangehörigen von Syrien herholen, von Krieg!"
    Grundlage war eine spezielle Aufnahmeregelung, die alle Bundesländer außer Bayern im Jahr 2013 getroffen haben. Mit den immer neuen Schreckensmeldungen und Gräuelbildern aus dem Kriegsgebiet stieg damals der Druck auf die Politik. Den hierzulande lebenden Syrern sollte schnell und unbürokratisch geholfen werden, damit die ihre Familienangehörigen und Freunde auf legalem Wege vor dem Krieg in Sicherheit bringen können. Bürgen wie Tayeb, die auf eigene Kosten die Anreise organisierten und später auch für Unterkunft und Kleidung sorgten, kamen da gerade recht.
    "Wir waren 22 Personen in einer Wohnung, 102 Quadratmeter, haben wir zusammengelebt, über ein Jahr lang."
    Ahmad Tayeb bürgt mit seinem Hab und Gut für 37 Angehörige
    Über die dampfenden Teetassen hinweg tauscht die Runde besorgte Blicke aus. Tayeb bürgt mit seinem Hab und Gut für 37 Angehörige: Brüder, Schwestern und deren Kinder. Er ist nur einer von zahlreichen Flüchtlingshelfern, denen das örtliche Jobcenter in den letzten Wochen Kostenbescheide zustellte – zum Teil geht es um Forderungen von 100.000 Euro und mehr.
    "Und als Dankeschön haben wir jetzt eine Rechnung bekommen, hochgerechnet über 350.000 – als Dankeschön für die Hilfe, was ich geleistet habe!"
    Auch Vereine und Kirchengemeinden haben für Flüchtlinge gebürgt – und sehen sich nun mit horrenden Forderungen konfrontiert. Rund 100.000 Euro fordert die Arbeitsagentur etwa von der Lukas-Gemeinde in Wolfsburg. Dabei habe das Innenministerium damals regelrecht um die Bürgschaft für eine fünfköpfige jesidische Familie geworben, sagt Pastor Johannes Thormeier. Die Gemeinde brachte die Menschen zeitweise in einer Wohnung unter, half auch bei Behördengängen, längst sind sie als Flüchtlinge anerkannt. Johannes Thormeier:
    "Nach der Beratung durch die Stadt Wolfsburg, so wie es damals gelaufen ist, sahen wir keinen Grund daran zu zweifeln, dass mit der Anerkennung auch die Verpflichtungsgeberschaft endet."
    Im Vertrauen auf die Rechtsauffassung der Landesregierung gingen Tayeb, Thormeier und Hunderte weiterer Flüchtlingspaten davon aus, dass die Bürgschaft erlischt, sobald ihre Schützlinge als Flüchtlinge in Deutschland anerkannt sind - und damit in die Obhut des staatlichen Sozialsystems übergehen. Aus dem Innenministerium heißt es, man vertrete weiterhin die Auflassung, dass die Bürgschaft mit dem Tag der Anerkennung der Flüchtlinge enden müsse. Doch die Bundesregierung sah das anders, betont Sprecher Matthias Eichler:
    "Wir haben erstmals im Dezember 2014 über die Ausländerbehörden potentielle Verpflichtungsgeber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es diese unterschiedliche Rechtsauffassung gibt und dass möglicherweise der Bund oder die Jobcenter irgendwann Geld zurückfordern könnten."
    "Forderungen der Bundesagentur sind sehr belastend"
    Der Fall landete vor dem Bundesverwaltungsgericht – und das hat im Januar dieses Jahres zugunsten der Bundesregierung entschieden. Die Große Koalition im Bund verschärfte unterdessen die Regeln für den Zuzug nach Deutschland. Das Arbeitsamt kann nun für die Dauer von bis zu fünf Jahren die Kosten von den Bürgen zurückverlangen, wenn anerkannte Flüchtlinge Hartz IV beziehen.
    "Niemand hat tatsächlich damit gerechnet, über Jahre hinaus Menschen alimentieren zu müssen. Und deshalb brauchen wir eine politische Lösung, etwa im Rahmen eines Fondsmodells, wo das Land seinen Teil dazu beiträgt, dass die Betroffenen nicht im Regen stehenbleiben!"
    Fordert der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen, Kai Weber. Politische Unterstützung erhalten die Bürgen auch von der Evangelischen Kirche.
    "Natürlich sind die Forderungen der Bundesagentur gegenüber den Verpflichtungsgebern sehr belastend. Niedersachsen hat deshalb die Initiative übernommen, von der Bundesregierung eine Lösung einzufordern, weil nur die Bundesregierung und der Bund letztendlich was tun können, weil wir einfach nicht zuständig sind", sagt Ministeriums-Sprecher Eichler. Unterdessen kündigen betroffene Flüchtlingshelfer wie Johannes Thormeier an, notfalls gegen die Bescheide zu klagen. Der streitbare Pastor der Lukas-Gemeinde fühlt sich in die Mühlen einer zunehmend restriktiven Flüchtlingspolitik geraten:
    "Was mich beunruhigt und auch enttäuscht, ist, dass diejenigen, die sich in unserem Land für die Integration von Flüchtlingen einsetzen, die sie unterstützen mit Deutschkursen, die sie begleiten zu Ärzten, die Patenschaften bilden, die zum Teil auch Verpflichtungserklärungen eingegangen sind, dass die jetzt beschwert werden, durch diese Bescheide. Und das zerstört, glaube ich, sehr viel Vertrauen und sehr viel Bürgerengagement, das eigentlich nötig ist!"
    Ob überhaupt eine versöhnliche Lösung möglich ist und wie genau die aussehen könnte, ist noch ungewiss.