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Niedersachsen
Justiz arbeitet Skandal um Jura-Examen auf

Es ist Stoff für einen Krimi: Ein Richter aus Niedersachsen bot - gegen Geld - durchgefallenen Jura-Prüflingen Klausuren samt Lösungsskizzen an. Als ihm die Staatsanwaltschaft zu nahe kam, setzte er sich ab und wurde in Italien verhaftet. Während er dort auf seine Auslieferung wartet, hat sich die niedersächsische Justiz des Falles angenommen.

Von Mathias Eichler | 09.04.2014
    Eine Jura-Studentin hält in einer Vorlesung an der Universität Osnabrück (Niedersachsen) eine Ausgabe vom Grundgesetz in der Hand.
    Alle Prüfungen für das Zweite Staatsexamen aus den vergangenen drei Jahren kommen jetzt auf den Prüfstand. (Friso Gentsch / dpa)
    Noch sitzt der beschuldigte Richter hinter italienischen Gittern. Wann er ausgeliefert wird, ist derzeit offen.
    "Es gilt auch für den Beschuldigten in diesem Verfahren die Unschuldsvermutung",
    betont die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz. Dennoch spricht die Grünen-Politikerin von einem sehr schwer wiegenden Fall:
    "Schwer wiegender kann's eigentlich nicht sein, als wenn ein Richter in Verdacht gerät, gegen Geld Klausuren weitergegeben zu haben. Das ist schier unglaublich."
    Schon im vergangenen Jahr war das niedersächsische Justizministerium stutzig geworden. Ein Rechtsreferendar hatte im ersten Anlauf das Zweite Staatsexamen nicht bestanden, beim zweiten Versuch aber einen beachtlichen und am Ende verdächtigen Notensprung hingelegt. Die zuständige Staatsanwaltschaft Verden konnte aber keine Beweise für einen Betrug ermitteln. Bis das niedersächsische Justizprüfungsamt einen Tipp aus den eigenen Reihen bekam, sagt Ministeriumssprecher Alexander Wiemerslage. Und zwar von einer Studentin.
    "Es gab den Anruf, den Hinweis der Referendarin, mir wurden Klausuren angeboten. Und das war der erste Hinweis, aufgrund dessen die Ermittlungen eingeleitet worden sind."
    Das war Anfang Januar. Damit kam die Staatsanwaltschaft dem 48 Jahre alten Richter auf die Schliche. Wie oft er möglicherweise Klausuren inklusive Lösungsskizze verkauft hat und wie viel Geld er damit eingenommen hat, ist noch unklar. Vor drei Jahren war er von einem Amtsgericht zum Justizprüfungsamt in Celle gewechselt, gehörte dort zur Führungscrew. Er kannte also die Adresse der Prüflinge und sprach über einen Mittelsmann gezielt Wiederholer an, also diejenigen, die das Zweite Staatsexamen nicht auf Anhieb schafften. Auch sie sind jetzt ins Visier der Ermittler geraten, erklärt Lutz Gaebel von der Staatsanwaltschaft Verden.
    "Das sind im Wesentlichen Referendare. Und die Ermittlungen richten sich natürlich nicht nur diesen Mitarbeiter, sondern auch gegen die Personen, die mutmaßlich diese Prüfungsinhalte angekauft haben."
    2000 Klausuren unter der Lupe
    Alle Prüfungen für das Zweite Staatsexamen aus den vergangenen drei Jahren kommen jetzt auf den Prüfstand. Zwölf Sondermittler nehmen derzeit mehr als 2000 Klausuren unter die Lupe. Im Visier stehen zuerst die bereits eingestellten Richter und Staatsanwälte, ungefähr 100 Frauen und Männer. Hat die eine oder andere nachweislich getäuscht, wird ihr zweites Staatsexamen im Nachhinein mit ungenügend bewertet. Die Konsequenz ist klar, sagt Ministerin Niewisch-Lennartz.
    "Jemand, der nicht über das Zweite juristische Staatsexamen verfügt, kann auch nicht Richter oder Staatsanwalt sein."
    Und das heißt: Das Staatsexamen würde wieder aberkannt und diejenige oder derjenige müsste wieder aus dem Dienst ausscheiden. Derartige Fälle hätten die Sonderprüfer bisher allerdings nicht gefunden, betont die Ministerin. Auch nicht in anderen Bundesländern. Ihre dortigen Amtskollegen habe sie natürlich sofort über den Fall informiert.
    "Es gibt einen Ringtausch zwischen Klausuren anderer Bundesländer und von uns. Und deswegen war das selbstverständlich Voraussetzung, dass wir unverzüglich alle anderen Justizprüfungsämter informieren. Und genauso selbstverständlich haben wir die Klausuren für die laufende Kampagne unverzüglich ausgetauscht."
    Eines habe ihr bei der ganzen trübsinnigen Angelegenheit trotzdem Freude gemacht, erzählt die Ministerin. Aus ganz Niedersachsen hätten Richter und Staatsanwälte ihre Hilfe angeboten, um neben ihrem eigentlichen Job die fraglichen Klausuren nochmals zu überprüfen. Und um zu helfen, die Justiz wieder rein zu waschen, wie es Niewisch-Lennartz ausdrückt.
    "Es ist ja nur einer, der hier gegebenenfalls unrechtmäßig gehandelt hat. Aber es bleibt ja an der Justiz als Ganzes kleben. Es gibt einen richtigen Schwung, das mit aller Macht zurückzuweisen. Und das gefällt mir gut."