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Niedersachsen
Pflegeschüler aus Vietnam

Die Pflegebranche in Deutschland braucht dringend Personal, doch Mitarbeiter sind schwer zu bekommen. In einem Pilotprojekt werden in Niedersachsen seit einem halben Jahr Pflegeschüler aus Vietnam ausgebildete: Die Praxis lernen sie im Seniorenheim, die Theorie in der Schule. Eine erste Bilanz fällt gemischt aus.

Von Torben Hildebrandt | 17.04.2014
    Elisabeth Piper läuft immer noch das Wasser im Munde zusammen. Die 86-jährige Heimbewohnerin hat neulich mit den jungen Vietnamesen zusammen gegessen. Die Pflegeschüler aus Asien haben gekocht. Es gab Reis und besondere Bohnen:
    "Das hatte ich noch nie gegessen, diese schwarzen Bohnen, ich hab das gar nicht ganz rausgekriegt, so eine Art Zwischengericht. Das ist lecker!"
    Elisabeth Piper lebt im Eilenriedestift in Hannover. In dem Seniorenheim absolvieren vier vietnamesische Pflegeschüler ihre Ausbildung. Die Rentnerin findet das spannend: Sie bekommt Einblicke in eine andere Kultur. Die Pflegekräfte aus Asien bereichern das Leben im Heim, sagt Einrichtungsleiterin Susanne Hartsuiker:
    "Diese Angst, sich von jemandem pflegen zu lassen, der aus einem anderen Land kommt, ist hier niemals zutage getreten, muss ich sagen."
    Keine Berührungsängste
    Berührungsängste im wahrsten Sinne des Wortes gibt es zwischen den Heimbewohnern und den Vietnamesen nicht. Waschen, Füttern, Wickeln - das funktioniert. Die Probleme liegen eher beim Sprechen und Verstehen. Pflegeschülerin Ha Nguyen sagt, Deutsch zu lernen ist nicht so einfach:
    "Sprache ist mein großes Problem."
    Und auch das Heimweh macht den jungen Vietnamesen manchmal zu schaffen: Freunde und Familie sind weit weg. Die kalten Temperaturen in Deutschland lassen die Pflegeschüler ständig hüsteln – auch dieser Pflegeschüler hat so seine Probleme:
    "Wetter in Hanoi sehr heiß – so 30 Grad. Wetter in Hannover – sehr kalt für Vietnamese."
    Zwischen Hanoi und Hannover liegen mehr als zehn Flugstunden und kulturelle Welten – und trotzdem haben die Vietnamesen das Abenteuer gewagt. In der Heimat haben sie eine Ausbildung zum Krankenpfleger hinter sich, doch die Berufschancen sind schlecht. In Deutschland dagegen gibt es ein modernes Gesundheits- und Pflegesystem, für Ha Nguyen war das ein wichtiger Grund:
    "In Vietnam haben wir Altenheim besucht, aber ich finde, Altenheim in Vietnam ist nicht besser als in Deutschland."
    Ausgerechnet Vietnam – nicht ohne Grund sucht der Bund in Fernost nach Personal. Viele europäische Länder haben selbst mit dem demografischen Wandel zu kämpfen, außerdem haben Heime mit Mitarbeitern aus südeuropäischen Staaten schlechte Erfahrungen gemacht. Manche wollten, so heißt es, schnell wieder nach Hause. Außerdem ist der Job in der Pflege für viele Europäer offenbar einfach nicht attraktiv genug - die Vietnamesen dagegen sehen ihn als Lebenschance. Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt betont allerdings, dass es sich bislang nur Pilotprojekt handelt:
    "Wir werden Erfahrungen sammeln. Es kommt darauf an, wie die Einrichtungen, die Schulen, aber auch die Schüler damit klar kommen - und dann kann man schauen, ob man das weiter intensivieren kann."
    Sprachprobleme
    Deutsch als Fremdsprache – das ist im Alltag immer wieder ein Thema. Ha Nguyen und ihre Mitschüler haben für die Arbeit mit den alten Menschen elektronische Wörterbücher auf ihren Smartphones, und manchmal lässt sich die Sprachbarriere auch mit einem Lächeln überwinden. Bewohnerin Elisabeth Piper kann damit gut leben. Sie versteht aber auch, wenn andere Heimbewohner ängstlich reagieren:
    "Sie sind sehr lieb und freundlich. Aber wenn Sie nicht verstehen, was der will, ist das für einen Kranken oder Alten sehr beschwerlich!"
    Heimleiterin Susanne Hartsuiker meint: In der Praxis lassen sich alle Sprachprobleme irgendwie lösen. In der Berufsschule sieht das anders aus, bestätigt auch Pflegeschüler Long Fam:
    "In der Schule, wir haben viele neue Fächer – ja – und viele schwierige Themen. Es ist zu schwer für uns, zu verstehen."
    Fachbegriffe, Englisch als zusätzliche Fremdsprache, Religionsunterricht: Das sind Pflichtfächer in der Schule, aber die jungen Vietnamesen sind schlicht überfordert. Im Unterricht kommen sie nicht mit, bei Prüfungen schon gar nicht. Das muss sich ändern, findet Heimleiterin Susanne Hartsuiker.
    "Die Schulen haben noch keine Möglichkeit gefunden, dass wir uns dem annähern, dass sie Brücken bauen. Das ist noch eine ganz große Aufgabe, die auf die Schulen zukommen müssen, wenn diese Projekte weiter betreiben wollen."
    Pflegeschüler aus Vietnam - das Seniorenheim in Hannover steht nach wie vor hinter dem Konzept. Auch wenn noch gar nicht klar ist, ob die Männer und Frauen nach der Ausbildung wirklich in Deutschland bleiben - noch haben sich die Vietnamesen nicht entschieden. Die 86-jährige Elisabeth Piper hofft, dass sie das Heimweh besiegen:
    "Wir haben doch einen Pflegenotstand, das lesen sie doch überall. Ich hatte eigentlich gedacht, dass sie bleiben."
    Das Seniorenheim setzt auf jeden Fall weiter auf Personal aus dem Ausland. In Kürze will die Einrichtung junge Männer und Frauen aus Polen für eine Ausbildung gewinnen. Die Heimleiterin will nach Warschau reisen und ein eigenes Programm auf die Beine stellen - der Fachkräftemangel macht erfinderisch.