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Niedersachsens SPD auf Stimmenfang

Stephan Weil, Oberbürgermeister von Hannover, und Olaf Lies, Vorsitzender der SPD in Niedersachsen, wollen beide ab 2013 Ministerpräsident in Niedersachsen werden. Wer antritt, entscheiden die Mitglieder der Landespartei Ende November.

Von Susanne Schrammar | 03.11.2011
    Stephan Weil:

    "Am 27. November morgens: schön frühstücken. Überlegen: Was bringt der Tag? Sagen: Ja, richtig, heute ist Mitgliederentscheid der niedersächsischen SPD. Und dann schließt Ihr 20 oder 30 Sekunden lang die Augen, stellt Euch uns beiden noch einmal vor und fragt Euch: Wer von den beiden wird der bessere Ministerpräsident sein? Und ich bin ganz sicher, Ihr werdet Euch richtig entscheiden und es wird die richtige Entscheidung für Niedersachsen werden. Herzlichen Dank für heute Abend."

    Vorgestern Abend in Lüneburg. 300 SPD-Mitglieder haben zwei Stunden lang die beiden Männer kennen gelernt, die ab 2013 für die Genossen den niedersächsischen Ministerpräsidenten stellen wollen: Stephan Weil, Oberbürgermeister von Hannover, und Olaf Lies, Vorsitzender der Landespartei. Die beiden Männer, zwischen denen sich die SPD-Mitglieder in einer Urwahl Ende November für einen Spitzenkandidaten entscheiden müssen, sind sich in der Sache fast immer einig und fair zueinander. Doch vom Typ her könnten sie kaum unterschiedlicher sein: Stephan Weil, der analytisch-pragmatische Jurist, und Olaf Lies, der smarte Naturbursche, emotional und leidenschaftlich.

    Weil:

    "Ich will immer erst wissen, wie ich es finanzieren kann, bevor ich meine Absichten mit dem Siegel 'Versprochen' versehe. Das müsst Ihr wissen."

    Lies:

    "Bei alledem, was wir diskutieren, auch die Finanzen. Für eine Sache kämpfe ich vehement: Studiengebühren sind unsozial und ungerecht und Studiengebühren werden mit einer sozialdemokratischen Landesregierung Anfang 2013 abgeschafft, liebe Genossinnen und Genossen!"

    Das Richtfest eines Familienzentrums in Hannover-Hainholz. Alltagsgeschäft für den Oberbürgermeister Stephan Weil. Der 52-Jährige ist ein hannoversches Urgestein der SPD. Seit 31 Jahren Mitglied, war der Mann mit der randlosen Brille erst Juso-Vorsitzender, arbeitete als Rechtsanwalt, Richter und Staatsanwalt und war zehn Jahre lang Kämmerer der Stadt, bevor er 2006 ins höchste Amt im hannoverschen Rathaus gewählt wurde. Ruhig, unaufgeregt und nahezu tiefenentspannt wirkt Weil bei fast allen Anlässen.

    Nur bei der Trauerfeier von Robert Enke, dem Hannover-96-Torwart, der sich vor zwei Jahren das Leben genommen hat, war dem engagierten Fußballfan die Trauer sichtlich anzumerken. An diesem Tag beim Richtfest des Familienzentrums scherzt der Familienvater mit ein paar Kindergartenkindern, hält aus dem Stegreif eine kurze Rede und unterhält sich dann mit einer Erzieherin. Unsere hannoverschen Familienzentren, sagt Weil stolz, sind echte Exportschlager.

    "Ganz, ganz viele Städte schauen sich gerade unsere Familienzentren an."

    "Ja."

    "Weil es offenbar die richtige Konzeption ist. Das ist nicht nur Kinderbetreuung, sondern vor allem auch Arbeit mit Eltern, was ja auch gerade in Stadtteilen, die jetzt nicht auf der Schokoladenseite einer Stadt stehen, wirklich absolut zentral ist, für die Entwicklung der Kinder. Also, viele brauchen Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder, das ist der Grundgedanke."

    Kinderbetreuung, Gesamtschulen, die Finanzausstattung der Kommunen - als Oberbürgermeister, Präsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen und Mitglied des Städtetag-Präsidiums scheut Stephan Weil keine Auseinandersetzung mit der Landes- oder Bundesregierung. Er ist anerkannt bei vielen Amtskollegen und bundesweit unterwegs. Sein großer Vorteil, sagt Stephan Schostok, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion und Weil-Unterstützer:

    "Er ist bei ganz vielen Entscheidern in der niedersächsischen Gesellschaft als ein ganz seriöser, aufrichtiger, wertegebundener Politiker der SPD wirklich geschätzt, deshalb glaube ich auch, dass er der Richtige ist."

    Ortswechsel. Olaf Lies besucht mit seinen Kollegen der SPD-Landtagsfraktion die Werkshallen eines Instanthalters für Flugzeugturbinen in Langenhagen. Ein Heimspiel für den Diplomingenieur: Lies hat Elektrotechnik studiert und war bis zu seiner Wahl in den niedersächsischen Landtag vor drei Jahren Fachhochschuldozent.

    Zur SPD ist der 44-Jährige über die Gewerkschaftsarbeit gestoßen, erst vor neun Jahren wurde er in der Partei aktiv. Doch schon einen Monat später übernahm er den Vorsitz seines Ortsvereins in Ostfriesland und führt seit einem Jahr den Landesverband der SPD. Dunkelhaarig, jung und attraktiv ähnelt Olaf Lies äußerlich Ministerpräsident McAllister.

    Seine große Stärke: die herzliche Ausstrahlung. Der heimat- und naturverbundene Lies kann gut auf Menschen zugehen, wie sich auch in der Turbinenhalle zeigt. Den Betriebsratsvorsitzenden, erst heute kennengelernt, nimmt er gleich kumpelhaft am Arm:

    "In welchem Bereich hast Du hier angefangen?"

    "Ich habe angefangen in der Triebwerkmontage."

    "Ja."

    "War viel in Wilhelmshaven bei Marine Gasturbine."

    "Ja, wollte ich grad sagen, da warst Du doch bestimmt in Wilhelmshaven, oder?"

    "Ja, hat Spaß gemacht."

    Lies ist frisch, unverbraucht und entschlossen. Dafür fehlt ihm die Erfahrung. Die will der Vater zweier Mädchen mit emotionalem Engagement wettmachen:

    "Ich finde, immer dann, wenn man wirklich überzeugt von dem ist, was man macht und sagt, dann kann man Menschen auch überzeugen. Die Menschen sollen doch ein Gefühl dafür bekommen, was wir bewirken und verändern wollen und das kann man nur über Emotionen. Ich möchte mit den Menschen und für die Menschen in Niedersachsen etwas verändern und ich hoffe, dass ich das auch vermitteln kann und dann finde ich es auch gut."

    Zurück in Lüneburg bei der ersten Regionalkonferenz der beiden Kontrahenten. Die niedersächsische SPD hat bereits Erfahrung in der Mitgliederbeteiligung. Schon Olaf Lies wurde vor einem Jahr durch einen direkten Entscheid der Genossen zum Landesvorsitzenden gewählt. Beide Kandidaten sehen in der Einbindung der Mitglieder eine große Chance, der Partei neue Impulse zu geben.

    Hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, dass Bundesparteichef Sigmar Gabriel es lieber gesehen hätte, wenn Stephan Weil ohne eine Mitgliederbefragung zum Spitzenkandidaten gekürt worden wäre. Ausgerechnet Gabriel, der seiner Partei auf Bundesebene mehr Basisdemokratie verordnen will, stand in Niedersachsen auf der Bremse? Doch dazu ist es nicht gekommen, denn der ehrgeizige Lies wollte sich nicht abservieren lassen. Obwohl Weil leicht bessere Chancen eingeräumt werden, ist der Ausgang der Urwahl zum SPD-Spitzenkandidaten noch völlig offen.

    "Es hat mich noch keiner richtig überzeugt, vielleicht ganz leicht Vorteile für Stephan Weil."

    "Mich hat heute definitiv Olaf Lies überzeugt."

    "Als ich hergekommen bin, hatte ich Stephan Weil als meinen Kandidaten eingeschätzt, aber ich finde, dass der Lies auch rhetorisch das gut gemacht hat - eigentlich die Entscheidung fällt mir jetzt schwerer , als wenn Sie mich vor der Veranstaltung gefragt hätten."