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Niedersächsische Gymnasien
Streit um Klassenfahrten

Aus Protest gegen die Mehrarbeit Gymnasien, die den Lehrern von Rot-Grün aufgebrummt wurde, gibt es für viele Schüler keine Klassenfahrten mehr. In Niedersachsen haben rund drei Viertel aller Schulen mit Gymnasialangebot Ausflüge gestrichen. Nun will die Politik den Ärger beenden - beharrt aber auf ihrem Standpunkt.

Von Alexander Budde | 17.04.2015
    "Wenn eine Stunde Mehrarbeit drauf kommt und wir sollen weiter so qualitativ guten Unterricht anbieten, dann müssen wir eben kürzen. Und Klassenfahrten sind eben auch etwas, was sehr vorbereitungsintensiv ist. Ich sage auch, wir fahren sehr gerne auf Klassenfahrten, uns tut das auch weh, dass wir uns dafür entschieden haben."
    Sagt Lars Manns, Politiklehrer an der Bismarckschule in Hannover. Er hat sich dem Boykott angeschlossen, zumal man ihn zum Reisen nicht verpflichten kann. Der Boykott soll die rot-grüne Landesregierung unter Druck setzen. Gymnasiallehrer wie Manns fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie 24, 5 und damit eine Wochenstunde mehr als bisher unterrichten müssen. Seither gibt es an drei Vierteln aller Schulen mit Gymnasialangebot so gut wie keine Klassenfahrten mehr. Schon drohen Schüler ihrerseits, freiwillige Leistungen wie das Tafelputzen einzustellen, auch bei den Eltern wird der Unmut über die Zustände immer lauter.
    Mit ihrem Gipfelgespräch geht Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) nun einen Schritt auf die Lehrer zu. Ein neuer Erlass für Klassenfahrten soll künftig verhindern, dass die Reisen zum privaten Zuschussgeschäft werden.
    "Ich habe vorgeschlagen, dass Freifahrten zukünftig, die angeboten werden, auf alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Klassenfahrt gleichmäßig umgelegt werden können und dafür die Lehrkräfte eine entsprechende Pauschalgenehmigung über den Erlass bekommen. Gleichzeitig habe ich vorgeschlagen, die Bonusstunden auf eine Stunde pro Tag entsprechend vorzusehen. Und ich hoffe und wünsche, dass jetzt die Rahmenbedingungen so sind, dass Klassenfahrten auch wieder an allen Schulen in Niedersachsen durchgeführt werden können."
    Abzuwarten bleibt, ob das heutige Zuckerbrot tatsächlich künftig mehr Pädagogen zu Ausflügen motivieren wird. Denn in der Sache gibt es kein Entgegenkommen. Die Landesregierung hält an den Beschlüssen zur Mehrarbeit und Altersermäßigung fest. Rechnerisch wird dadurch mehr Geld und Personal für andere Bildungsinvestitionen frei. Ganztagsschule, Kita-Ausbau, Inklusion – dringend würden die so eingesparten rund 80 Millionen Euro gebraucht. Ressourcen im Übrigen, die letzten Endes auch den Gymnasien wieder zugutekämen.
    Im Ländervergleich finden sich Niedersachsens Gymnasiallehrer mit ihren 24, 5 Wochenstunden im Mittelfeld wieder, wiederholt Heiligenstadt wie ein Mantra. Die Einstellungsbedingungen für angehende Gymnasiallehrkräfte sind gut, betont die Ministerin.
    "Wir stellen ja nicht nur Gymnasiallehrkräfte an Gymnasien ein, wir haben einen wachsenden Bedarf an Gymnasiallehrkräften zum Beispiel auch an Gesamtschulen oder auch an Oberschulen mit gymnasialem Angebot."
    Horst Audritz widerspricht mit Inbrunst. Die Arbeitszeitverlängerung verhindere Neuanstellungen explizit an den Gymnasien, klagt der Vorsitzende des Philologenverbandes.
    "Wir haben nur noch 70 Stellen momentan, die ausgeschrieben sind für Gymnasiallehrer. Wir haben 260 Gymnasien, das heißt, nur jedes dritte oder vierte Gymnasium bekommt im August eine neue Lehrerstelle. So funktioniert die Einstellung immer nach dem Prinzip des Schweinezyklus, also es entsteht immer ein großer Mangel oder ein großer Überhang. Man müsste auch kontinuierlich für einen Altersdurchschnitt sorgen - und kann nicht jahrelang darauf verzichten, junge Lehrkräfte einzustellen."
    Von einer guten Unterrichtsversorgung könne angesichts von rund 700 rechnerisch an den Gymnasien eingesparten Lehrerstellen keine Rede sein. Zulasten der Schulform, so argwöhnt Audritz, würden Stellenbesetzungen gezielt in den Bereich Gesamtschule umgeschichtet.
    "Es ist ja erklärtes Ziel der Landesregierung, die Lehrerausbildung zu reformieren, was tendenziell darauf hinauslaufen könnte, das gymnasiale Lehramt abzuschaffen und einen Einheitslehrer einzuführen, der austauschbar ist zwischen den verschiedenen Schulformen. Das wollen wir nicht!"
    Auch Gymnasiallehrer Manns von der Bismarckschule sieht die Fronten weiter verhärtet. Der neue Erlass für die Klassenfahrten sei nicht mehr als ein Trostpflaster.