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"Niemand will ran an diesen Kuchen"

Auf eine politische Union in Europa habe eigentlich niemand so recht Lust: außer der Kanzlerin und Finanzminister Schäuble, konstatiert Jan Techau vom Think Tank Carnegie Europe. Deutschland habe keine Verbündeten - auch, weil die deutsch-französische Achse zurzeit nicht ziehe.

Das Gespräch führte Andreas Noll | 02.07.2012
    Andreas Noll: Herr Techau, wie würde ein Europäer den Gipfel bewerten, der keine nationalen Interessen im Blick hat, sondern lediglich eine starke, stabile und zukunftsfeste Währungsunion im Blick hat?

    Jan Techau: Ja, das wäre eine sehr gemischte Bilanz, auch jetzt einige Tage danach noch. Einerseits verschafft natürlich dieser Gipfelbeschluss Italien und Spanien am Anleihemarkt eine gewisse Atempause, und das ist sicherlich gut für die Krisenbewältigung kurzfristig, andererseits reduziert es natürlich den Reformdruck, den diese Länder verspüren. Also den ordnungspolitischen Druck, wirklich ihre Volkswirtschaften und ihre schwierigen internen ökonomischen Systeme auf Vordermann zu bringen, das ist nicht gut. Andererseits wiederum, eine Bankenunion, eine Bankenaufsicht, eine gemeinsame, ist geschaffen worden, und das ist ein Integrationsschritt. Auf der anderen Seite ist auch überklar geworden, dass an übergroßer, politischer Integration in Europa eigentlich niemand so recht Lust hat, vielleicht mit Ausnahme der Kanzlerin und ihres Finanzministers. Also, das ist ein schwieriger Gipfel gewesen, ganz sicher. Ob man ihn positiv oder negativ bewertet, hängt vor allen Dingen davon ab, ob man ihn kurzfristig oder langfristig bewerten möchte.

    Noll: Sie haben gerade über den Reformdruck gesprochen. Spanien und Italien haben sich mit Händen und Füßen und vor allem am Ende mit Erfolg gegen Reformvorhaben als Voraussetzung für Hilfen gewehrt. Und doch sind sich die Fachleute einig, dass gerade die Krisenstaaten nur mit Reformen wieder wettbewerbsfähig werden können. Klingt nach einem Widerspruch.

    Techau: Ja, das ist eben die Frage des zeitlichen Horizonts. Kurzfristig gibt es eine Krise zu bewältigen, die hat ihre eigene Dynamik durch die Märkte, da sind extrem kurzfristige Marktentwicklungen zu erwarten und zu antizipieren und zu bewältigen. Andererseits ist diese Krise ja in Wirklichkeit eigentlich keine ökonomische Krise, sondern eine politische Krise. Und das ist das eigentliche Problem, das im Hintergrund mitläuft. Und das ist ein sehr, sehr langfristiges Unterfangen. Und die Notwendigkeit eines kurzfristigen Krisenmanagements hat mein großes Verständnis. Andererseits darf eben das langfristige Reformtun nicht vernachlässigt werden. Das ist der Spagat, in dem sich Europa zurzeit befindet. Und im Moment ist die Diskussion sehr einseitig auf der Krisenbewältigung, und das Modell, was für Europa eigentlich danach einmal entstehen soll, ist nicht in der Diskussion und findet auch, wenn es mal in den Markt gebracht wird, sozusagen, im Moment nur sehr wenige Abnehmer.

    Noll: Dann sprechen wir einmal über das Modell. Als Kapitalfehler bei Gründung der Währungsunion gilt der Verzicht auf eine politische Union. Also eine Übertragung von Souveränitätsrechten an Brüssel, damit es eine europäische Kontrolle über die Finanzen geben kann. Die Bundeskanzlerin und der Finanzminister werben seit geraumer Zeit für so eine Union. Auf welche Partner kann Berlin dabei zählen?

    Techau: Das ist das Allerschwierigste in dieser Situation. Im Moment gibt es eigentlich für diese aus meiner Sicht sehr aufrichtigen Ideen des deutschen Finanzministers und auch der Kanzlerin, die ihn ja gewähren lässt, nur sehr wenige Partner in Europa. Die klassischen Verbündeten Frankreich und die Niederlande fallen hier im Grunde aus - aus innenpolitischen Gründen. Andere sind gegebenenfalls nicht stark genug, um wirklich einen Unterschied in dieser Diskussion zu machen. Und das ist das große Dilemma, dass Deutschland hier führen will, nicht nur in der Krisenbewältigung selbst, sondern auch, was das politische Modell angeht, aber da keine Verbündete findet und es da keinen Appetit erzeugen kann bei den Partnern für diese Großlösung, die der Finanzminister ja im "Spiegel"-Interview geäußert hat und es auch relativ präzise schon umrissen hat. Und das ist die eigentliche Isolierung Deutschlands im Moment, und dass hier vor allen Dingen die deutsch-französische Achse zurzeit nicht ziehen kann; auch aufgrund der Tatsache, dass Frankreich sich ein bisschen in Märchenstimmung befindet, was die eigene ökonomische Lage angeht. Das ist eine gewisse Tragik, die dieser Situation zurzeit innewohnt.

    Noll: Woran liegt es, dass die Partner da nicht mitziehen wollen, obwohl seit Jahrzehnten, wir haben es gerade im Kalenderblatt gehört, von Konrad Adenauer, über diese politische Union gesprochen wird.

    Techau: Vermutlich, weil die Lage noch nicht wirklich als so kritisch erkannt wird, wie sie wirklich ist. Und der zweite Grund ist, dass die Politiker, die es verstanden haben, und die europäischen Führungspersönlichkeiten, die es ja durchaus gibt, sich aber nicht trauen, gegen einen, wie sie glauben, überwältigenden Euroskeptizismus in ihren Bevölkerungen, sozusagen aufzustehen und wirklich sich hinzustellen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Das ist im Grunde das ganz große Problem. Die Logik darzustellen, ist nicht so schwierig. Wir haben eine Wirtschaftsunion und eine Integration geschaffen in einem Wirtschaftsraum, der sehr große Ungleichheiten hat. Man braucht politische Instrumente, um mit diesen Ungleichheiten umzugehen, die müsste man jetzt schaffen, aber niemand will ran an diesen Kuchen, und das ist jenseits von Krisen und Schulden und Eurofragen das eigentliche Dilemma Europas, und das wird uns auch noch eine ganze Weile begleiten.

    Noll: In Island ist gestern ein Politiker zum Präsidenten wiedergewählt worden, wohl auch, weil er einen scharfen Anti-EU-Kurs steuert. Und auch in vielen EU-Staaten erreicht das Misstrauen und die Wut auf Brüssel Rekordwerte. Sind die Völker Europas überhaupt bereit für den nächsten Integrationssprung?

    Techau: Das ist eben infrage zu stellen. Ich fürchte, dass es nicht so ist, aber es ist auch nicht so, dass dieser Fall ihnen jemals wirklich ernsthaft sozusagen schmackhaft gemacht wurde. Natürlich ist es sehr leicht, wenn man auf Europa schaut, Fehler zu entdecken, Skandale und Dinge, die nicht gut laufen. Aber sich an den übergeordneten, vernünftigen Sinn dieses europäischen Integrationsprozesses zu erinnern, das ist eben schwierig, das ist manchmal auch abstrakt, und das ist etwas, was die Schlagzeilen in den Zeitungen nicht bestimmt. Und hier haben wir also sozusagen das Problem nicht eines besseren Erklärens Europas, sondern eines Angebotes, das man an die Bevölkerung macht, dass man sagt, ja, wir wollen diesen Integrationsschritt raus aus der Krise, und gleichzeitig wollen wir euch, Bevölkerung, wieder mit reinkriegen, wir brauchen also auch demokratische Reformen, Legitimationsreformen. Und dieses Angebot macht niemand in einer Art und Weise, dass es für die Leute überzeugend klingt. Und so kann der Euro-Skeptizismus und auch diejenigen, die mit Europa nichts Positives im Schilde führen, hier die Diskussion bestimmen.

    Noll: Wenn eine solche politische Union nicht in Sicht ist, sie aber gleichzeitig Voraussetzung ist für ein Überleben der Währungsunion, heißt das, dass wir die Druckplatten für die D-Mark noch einmal rauskramen sollten?

    Techau: Ich glaube nicht, dass wir die Druckplatten für die D-Mark rauskramen sollten. Der Euro wird überleben. Er wird möglicherweise mit einer kleineren Anzahl von Mitgliedsstaaten überleben. Es gibt ja diverse Modelle, wie so eine Währungsunion sich entwickeln kann, sich auch zurückentwickeln kann. Ich glaube, dass am Ende die überbordenden ökonomischen Interessen, also die wirklich überzeugenden ökonomischen Interessen der Europäer überwiegen werden. Auch die Kanzlerin ist ja auf einer Position, dass sie sagt, ich lasse eher – ich will eher den Euro überleben lassen, als dass ich sozusagen meine deutsche Position hier eisenhart durchführe. Das wird sie gegebenenfalls an der Heimatfront den Job kosten, ist aber im Grunde die richtige Einstellung und lässt auch eine gewisse Hoffnung zu auf Führung, die dann doch sozusagen da ist. In den entscheidenden Kernfragen muss gestanden werden. Das darf nur halt nicht allein die Kanzlerin sein, sondern sie braucht dabei Partner, die oberste und wichtigste Hoffnung ist, dass der französische Präsident auch auf dieses Pferd aufspringen kann.

    Noll: Einschätzungen waren das von Jan Techau, Europachef der internationalen Denkfabrik Carnegie. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.