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"Koran erklärt"
Die Hintergründe sichtbar machen

Teaser: Einordnen, erklären, informieren – das ist das Ziel der Deutschlandfunk-Reihe "Koran erklärt". Seit gut zwei Jahren erläutern Islamwissenschaftler darin Koranverse und setzen sie in ihren historischen Kontext. Auch um den Missbrauch der heiligen Schrift zu verhindern. Jetzt erscheint das Buch zur Reihe im Suhrkamp-Verlag.

Thorsten Gerald Schneiders im Gespräch mit Frederik Rother | 08.05.2017
    Buchvorstellung "Koran erklärt". Im Hintergrund ein Logo des Deutschlandfunks
    Buchvorstellung "Koran erklärt" (Deutschlandfunk / Jan Petersmann)
    Der Koran hat – etwas zugespitzt formuliert – ein Image-Problem: Islamisten nutzen die für sie passenden Textstellen, um ihr Handeln zu rechtfertigen. Islamgegner bedienen sich an genau den Passagen, die die vermeintliche Rückständigkeit der Religion zeigen. Und: Vielen ist der Koran generell immer noch fremd.
    Zeit also, aufzuklären. Das war die Idee von Deutschlandfunk-Intendant Willi Steul, als er vor gut zwei Jahren die Sendereihe "Koran erklärt" erdacht hat, die freitags um 9 Uhr 55 läuft und an diesem Montag auch als Buch erscheint. Darin werden ausgewählte Koranverse präsentiert und von Experten in ihren religionswissenschaftlichen Kontext eingeordnet. Das Ziel: Erklären und informieren.
    Von Anfang an hat mein Kollege Thorsten Gerald Schneiders, studierter Islamwissenschaftler, das Projekt redaktionell betreut. Mit ihm habe ich vor der Sendung gesprochen, meine erste Frage war: Ob er glaubt, dass mit der Reihe "Koran erklärt" die deutsche Debatte versachlicht werden konnte?
    Gerald Schneiders: Das wäre ein vielleicht sogar vermessener Anspruch, zu sagen, wir können mit dieser Serie und mit dem Buch die Debatte versachlichen, ich bin mir aber ziemlich sicher, dass wir einen Beitrag dazu leisten können. Wir müssen allerdings auch bedenken, dass viele Leute, die den Koran und die Religion des Islam sachlich betrachten, gerne zu diesem Buch greifen werden und sich das angucken werden. Und viele Leute, die den Koran und die den Islam nicht sachlich betrachten wollen, die wird man mit so einer Serie nicht erreichen. Im Gegenteil: Da wird man dann Vorhaltungen bekommen, dass man gerade durch diese Sachlichkeit dazu beitragen würde, hier etwas schönzufärben oder hier etwas zu verwässern.
    Rother: Und darum jetzt das Buch?
    Schneiders: Ich denke, es ist einfach ein Novum in der deutschen Bücherlandschaft, sag ich mal, einen Text oder ein Werk in der Hand zu halten, das so aufgemacht ist wie das unsrige, in dem kleine Texte zu einer bestimmten Sure beziehungsweise zu einem bestimmten Vers zu einem in diesem Vers angesprochenen Thema abgefasst werden, und zwar von den renommiertesten Wissenschaftlern auf der ganzen Welt, die wir zum Thema Koran und Islam haben. Und das ist sicherlich etwas, mit dem man sich auch mal abends, sag ich mal, zurückziehen kann und wo man reinlesen kann. Man muss dieses Buch nicht durchlesen von vorne bis hinten, man kann es thematisch sich anschauen – wir haben es nach Themen gegliedert –, man kann dann entsprechend sich die Themen raussuchen, die einen besonders interessieren – seien es politische Themen, seien es theologische Themen, sei es das große Thema Gewalt –, und kann dann sicherlich eine fundierte inhaltliche Einordnung bekommen. Nicht das letzte Wort – unsere Autoren haben nicht das letzte Wort über die Auslegung der einzelnen Koranverse, aber sie geben doch sicherlich sachliche Hinweise.
    Koranverse in historischen Kontext einordnen
    Rother: Können Sie das mal kurz an einem Beispiel erläutern, vielleicht eine Sure, die exemplarisch für Gewalt steht oder eben nicht steht und was dann die Experten dazu sagen?
    Schneiders: Ja, wir haben natürlich die sogenannten Skandalverse, die jeder inzwischen wahrscheinlich auch kennt oder zumindest mal gehört hat oder die Problematik darüber gehört hat: 'Tötet sie, wo ihr sie findet!' Das wird jeweils von der einen Seite, also von Islamisten benutzt, um ihre Brutalität, um ihre Terrortaten zu rechtfertigen, es wird auch von Islamfeinden benutzt, um zu belegen, dass der Islam eine verwerfliche Religion ist, die bekämpft werden muss.
    Auf der anderen Seite geht es aber darum, wie steht dieser Vers im Koran drin, in welchem Kontext steht er, und das ist unter anderem ein Aspekt, den unsere Wissenschaftler aufgreifen, denn die Koranverse sind ja in eine bestimmte historische Situation hinein dem Glauben nach offenbart worden. Und da weisen die Autoren drauf hin, dass es zu diesem Zeitpunkt Auseinandersetzungen gegeben hat zwischen dem Propheten Mohammed, der ja gleichzeitig auch eine neue Gemeinschaft gegründet hat und die auch etablieren musste, auch militärisch und politisch etablieren musste auf der Arabischen Halbinsel.
    Das heißt, wenn wir uns damals die Stammesgesellschaft vorstellen – es gab viele unterschiedliche Stämme, keine Völkernationen, wie wir das vielleicht eher aus dem europäischen Kontext kennen –, und die haben miteinander gerungen um die Macht dort. Und in diesen Zusammenhängen sind eben auch solche Verse wie diese sogenannten Skandalverse nach Aussage der Autoren offenbart worden, und dort muss man sie einordnen. Das bedeutet dann schlicht und ergreifend, dass viele sagen, diese Verse sind auf diese Zeit begrenzt, sie haben keinen allgemeingültigen universellen Anspruch, sodass man heutzutage hingehen kann und sagen kann, aufgrund dieses Verses aus der Sure 9 können wir jeden umbringen, den wir jetzt umbringen wollen.
    Rother: Und diese Einordnungen nehmen dann die Experten vor in dem Buch?
    Schneiders: Unter anderem. Sie sehen sich weniger als diejenigen, die diese Verse einordnen, sondern die, die eben dieses Hintergrundwissen liefern, denn einordnen, bestimmen, was diese Verse bedeuten, muss jeder für sich selbst – jeder Gläubige und auch jeder Nichtgläubige kann das machen.
    Erstaunlich positive Reaktionen
    Rother: Mit welchem Hintergrund haben Sie denn die Reihe gestartet vor gut zwei Jahren?
    Schneiders: Die Reihe geht auf unseren Intendanten Dr. Willi Steul zurück. Er hat das erfunden und erdacht, und zwar vor dem Hintergrund, dass eben die Auseinandersetzungen in der Gesellschaft immer weiter zugenommen haben, dass wir auf der einen Seite die Befürchtungen haben, die uns Islamisten und Fundamentalisten bereiten. Das kann man auch nachvollziehen, denke ich, wenn man diese Terroraktionen und diese Anschläge sieht. Aber auf der anderen Seite haben wir eben auch dieses Phänomen der Islamfeindlichkeit, dass viele Muslime, allein weil sie Muslime sind, angefeindet werden und zu diesem Zweck immer wieder auch der Koran benutzt wird. Und Herr Steul sagt eben auch an der Stelle, viele kennen den Koran nicht, und damit hat er recht, man muss die Hintergründe kennen. Und das ist auch die Hauptidee gewesen, die unser Intendant hiermit verfolgt hat.
    Rother: Wie sind denn die Reaktionen bisher auf die Reihe?
    Schneiders: Grundsätzlich sind sie erstaunlich positiv, möchte ich sagen. Also wir kriegen sehr viele, zum Teil leidenschaftliche Glückwünsche, dass wir diese Reihe gestartet haben, dass es genau so etwas bedurft habe, dass man sie auf die Bibel zum Beispiel auch ausweiten soll, auf andere heilige Schriften. Das ist erstaunlich, gerade auch in einer Zeit, wo man meistens die anderen Stimmen wahrnimmt, nämlich diese Stimmen, die eher feindlich gegenüber dieser Religion gestimmt sind. Klar, die kriegen wir natürlich auch. Wir haben auch immer wieder Post von Islamfeinden, von Islamkritikern, wobei man ja hier unterscheiden muss: Kritik ist immer etwas Wünschenswertes und etwas Gutes, aber man merkt natürlich auch an den Formulierungen, dass es hier nicht um Kritik geht, sondern dass es hier einfach darum geht, zu beleidigen.
    Willi Steul (Hg.): "Koran erklärt"
    Suhrkamp 2017. 297 Seiten. 10,00 Euro.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.