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Genetik
Das Rätsel der Narwale

Eine hohe genetische Vielfalt gilt als Zeichen guter Anpassungsfähigkeit und besserer Überlebenschancen. Narwale weisen dagegen eine geringe genetische Diversität auf. Trotzdem konnte die Spezies über lange Zeit hinweg fortbestehen. Forscher aus Kopenhagen versuchen nun, diesen Widerspruch zu erklären.

Von Lucian Haas | 07.05.2019
Ein männlicher Narwal schwimmt im blauen Meereswasser
Narwale werden auch "Einhörner der Meere" genannt. Zuletzt konnte sich ihr Bestand etwas erholen. (imago / Dave Fleetham)
Der Narwal ist als Einhorn der Meere bekannt. Rund 170.000 Exemplare sollen laut neuesten Schätzungen im Atlantik rund um Grönland leben. Angesichts dieser Populationsgröße hat die Weltnaturschutzunion IUCN erst kürzlich den Narwal auf ihrer Roten Liste der bedrohten Tierarten von "potenziell gefährdet" auf "wenig bedenklich" herab gestuft. Diese Entscheidung erscheint allerdings als recht optimistisch, wenn man nicht nur auf die Bestandszahlen, sondern auch in das Erbgut der Narwale schaut.
Da gebe es einen Widerspruch, sagt die Biologin Eline Lorenzen von der Universität Kopenhagen. Ihr Forschungsteam hat das Genom eines Narwales sequenziert und dann die Gendaten analysiert. Wie alle Säugetiere haben Narwale einen doppelten Chromosomensatz. Jedes Gen ist zwei Mal vorhanden, einmal von der Mutter, einmal vom Vater, aber in jeweils leicht unterschiedlicher Form. Aus dem Vergleich der zugehörigen Gensequenzen lässt sich erkennen, wie hoch die genetische Vielfalt innerhalb der Narwal-Population heute ist. Die Daten erlauben sogar Rückschlüsse darauf, ob und wie stark sich diese Vielfalt über die Jahrtausende hinweg verändert hat.
Eline Lorenzen: "Obwohl wir schon wussten, dass Narwale allgemein eine recht geringe genetische Diversität aufweisen, waren wir doch überrascht über den Zeitrahmen. Die Gendaten zeigen, dass Narwale schon seit rund einer Million Jahre eine geringe genetische Vielfalt besitzen. Normalerweise gilt ein Mangel an Vielfalt als Zeichen für geringe Anpassungsfähigkeiten an Umweltveränderungen. Aber die Narwale haben eine sehr, sehr lange Zeit mit einer sehr, sehr geringen genetischen Vielfalt überlebt."
"Besonderheit dieser Spezies"
Eline Lorenzen rätselt, wie die Befunde am Narwal-Genom zu erklären sind. Auf der Suche nach Antworten schaute sie auch in die DNA anderer arktischer Säugetiere: Weißwal, Eisbär, Grönlandwal und Walross.
Lorenzen: "Ich dachte mir, das muss etwas mit der Arktis zu tun haben. Diese Arten sitzen dort ja irgendwie fest. Aber als wir das Narwal-Genom mit dem Genom anderer arktischer Säugetiere verglichen, zeigten sich völlig andere Muster. Alle anderen besitzen eine viel größere Vielfalt als die Narwale. Es ist also eine Besonderheit dieser Spezies und hängt nicht mit dem arktischen Lebensstil zusammen, was ich eigentlich erwartet hatte."
Eline Lorenzen geht jetzt davon aus, dass bei den Narwalen, gerade weil sie so lange überlebten, die Evolution irgendwie anders am Werke war. Die Tiere könnten sich daran angepasst haben, mit einer geringen genetischen Vielfalt auszukommen. So konnten sie sogar etliche klimatische Wechsel zwischen Kalt- und Warmzeiten der vergangenen eine Million Jahre überstehen. Ob der Narwal damit auch für den kommenden Klimawandel gerüstet ist? Eline Lorenzen hat darauf bisher keine schlüssige Antwort.
Alte Narwal-DNA soll analysiert werden
"Wenn es große Veränderungen gibt, haben die Narwale weniger Variation in ihren Genen, um sich anzupassen. Aber zugleich hat diese Art schon so lange überlebt. Wir können also nicht unbedingt aus der geringen genetischen Vielfalt auf eine mangelnde Anpassungsfähigkeit an künftige Veränderungen schließen, sei das der Klimawandel oder andere Umstellungen in ihrem Lebensraum."
Eline Lorenzen will weiter über den Narwal forschen. Dabei geht es darum, noch mehr Gendaten zu sammeln und auch mit Analysen alter DNA aus fossilen Narwal-Knochen zu vergleichen. So hofft sie herauszufinden, wie es möglich sein könnte, trotz eines Mangels an genetischer Vielfalt das Überleben der Narwale in Zukunft zu sichern.