Britischer Soziologe Mike Savage

Der Begriff der "Klasse" in Zeiten der Ungleichheit

04:47 Minuten
Arme in einer Menschenmenge in die Luft gereckt, mit Protestzeichen.
Die Arbeiterklasse hat eine historische Mission: die Revolte gegen die Bourgoisie © imago/fStop Images/Peter Baker
Von Philipp Schnee · 12.01.2020
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Die Arbeiterklasse hat eine historische Mission: die Revolte gegen die Bourgoisie. Davon war Karl Marx überzeugt. In den Zeiten des Rechtspopulismus kommt ebendies wieder auf. Bei den Mosse-Lectures in Berlin loteten Wissenschaftler das Thema aus.
Oberschicht, Mittelschicht, Unterschicht oder marxistisch geprägt Bourgeoisie und Proletariat. Solche festen Kategorien prägen noch immer häufig das Denken über unsere Gesellschaft. Der Brite Mike Savage, selbst Soziologe, aber auch Historiker, fordert einen historischeren Blick, einen der die Veränderungen über die Zeit mehr ins Visier nimmt. So etwa das Entstehen einer neuen globalen Elite, der Superreichen, der oberen ein, zwei oder 0,1 Prozent.
Der britische Soziologe war einer der Redner bei der Vortragreihe "Mosse-Lectures" über "Klassenfragen" an der Berliner Humboldt-Universität. Mit den hergebrachten Kategorien bekommt man seiner Einschätzung viele gesellschaftliche Dimensionen nicht in den Griff, die jedoch gesellschaftliche Ungleichheiten prägten: Geschlecht und sexuelle Orientierung, Einwanderung, ethnische Minderheiten. Wer im herkömmlichen Sinne von Klasse spricht, habe immer den weißen, männlichen Arbeiter vor Augen.

Festhalten an der Kategorie der Klasse

Trotzdem, Savage glaubt weiter an die soziologische Analyse in Klassen, in neu gedachten, neu angeordneten Klassen: Ungleichheit überträgt sich, nicht nur über Generationen. Die soziale Herkunft, der soziale Status entscheiden mit über den ökonomischen Erfolg, häufig auch über kulturelle Interessen. Über die eigene soziale Identität.
Dieser Einfluss von ökonomischen, aber auch sozialen und kulturellen Ressourcen, ihre gegenseitige Beeinflussung – dies hofft Savage am besten mit dem Klassen-Begriff in den Griff, darstellbar und analysierbar zu bekommen.

Politischer Einfluss der globalen Elite

Mit Kolleginnen und Kollegen führte Savage in Großbritannien eine große Umfrage durch, ohne dabei Klassen vorauszusetzen. Erst danach sortierten und ordneten sie die Ergebnisse nach Auffälligkeiten und Häufungen. Das Ziel war: Nicht in theoretischer Arbeit Klassen "ausdenken" und die Menschen dann in diese Boxen, diese Klassen, hineinzustecken, sondern die Klassenvorstellungen herauszufordern. Das Ergebnis: Ein kleine, sehr mächtige Elite und ein ökonomisch abgehängtes Prekariat. Und dazwischen fünf Klassen einer irgendwie unübersichtlichen Mittelschicht.
Elite, Prekariat, und fünf unterschiedliche Mittelklassen: Sind wir da nicht wieder fast beim klassischen Klassenmodell? Nicht ganz. Savage betont sehr stark, wie klein, aber auch wie global diese neue Elite ist, die schon lange nicht mehr ausschließlich vom Westen dominiert wird. Und vor allem wie politisch einflussreich sie ist. Savage sorgt sich, dass eine Elite, die völlig losgelöst vom Rest der Bevölkerung, ohne Eigeninteresse an Sozialstaatlichkeit und sozialem Ausgleich, über die Zukunft entscheidet.

Wieder stärkere Thematisierung von Ungleichheit?

Doch ganz so pessimistisch endet der Abend dann doch nicht. Zwar werde dieses Gefühl einer abgehobenen, unerreichbaren Elite auch von populistischen Bewegungen genutzt, sagt der Historiker. Savage selbst aber gibt in der anschließenden Diskussion zu erkennen: Er hofft, dass – auch in Verbindung mit der Klimaschutzdebatte – Ungleichheiten, welcher Art auch immer, wieder stärker progressiv thematisiert, analysiert und bekämpft werden können.
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