DDR-Provenienzforschung

Es fehlt der politische Druck

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Bei blauem Himmel ziehen Wolken über das Schloss Moritzburg.
Moritzburg in Sachsen: Aus Schlössern wurden nach 1945 bei sogenannten Schlossbergungen Kunstwerke geraubt. © imago images / Steffen Unger
Von Carsten Probst · 15.11.2020
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Tausende Kulturgüter wurden nach 1945 in der sowjetisch besetzten Zone aus Schlössern und Herrenhäusern geholt und gelangten so in Museumssammlungen und den westlichen Kunsthandel. Die Herkunft vieler Objekte wird wohl nie geklärt werden.
Vor zwölf Jahren legte der Freistaat Sachsen ein bislang einzigartiges Forschungsprojekt namens Daphne auf, durch das die genaue Herkunft aller Bestände der Kunstsammlungen lückenlos aufgeklärt werden soll.
Lückenlosigkeit wird es allerdings nicht geben, sagt der Dresdner Sammlungshistoriker Thomas Rudert: "Dass wir unsere - inzwischen mehrere Millionen - Objekte sehr gut kennen nach zwölf Jahren Provenienzforschung, bedeutet nicht, dass wir für jedes einzelne Objekt wissen, wo es her ist."

Die Zeit der "Schlossbergungen"

Zwischen 1945 und 1949 wurden Zehntausende Objekte bei sogenannten Schlossbergungen in der damaligen sowjetisch besetzten Zone in ostdeutsche Museen und Depots gebracht, zum Beispiel ins Dresdner Albertinum. Von dort aus wurden viele Stücke weiterverteilt, und bei Weitem nicht alles wurde dabei genau aufgelistet:
"Unbekannte Herkunft, unbekannte Schlossbergung, unbekannter Dargestellter, unbekannter Künstler, Mitte 18. Jahrhundert, irgendein nicht-museales Ahnenbild, das für die Familie natürlich extrem wichtig wäre und wo wir wirklich großen Aufwand betreiben, es irgendwie einem Schloss zuzuordnen. Wenn wir da überhaupt keinen Ansatz haben, dann kann es sein, für einen Rest von unter zehn Prozent, dass wir nicht wissen, wo die her sind. Und ich fürchte, das werden wir für einen bestimmten Prozentsatz auch nie rauskriegen."

Kunstwerke in Kellern und Kammern

Ähnliches berichtet Andrea Himpel, Provenienzforscherin und Restauratorin an der Moritzburg in Halle an der Saale. Seit Langem versucht sie, etwas Licht in die Herkunft der vielen Tausend Stücke zu bringen, die nach 1945 aus enteigneten Herrenhäusern nach Halle gebracht und in der Moritzburg gelagert wurden.
Die wenigsten Stücke fanden den Weg in die Sammlungen des dortigen Kunstmuseums – der Rest stapelte sich über Jahrzehnte unsortiert in Kellern und Kammern, und niemand wusste so recht, wohin damit:
"Was woher in die Moritzburg kam, das wissen wir einfach nicht. Vielleicht wurde es auch einfach vernichtet oder es ist verschenkt worden. Oder man hat sich bedient, oder es ist einfach nicht nachzuvollziehen, was mit diesen Stücken passiert ist, und wir haben noch nicht mal einen Namen oder was es sein könnte", berichtet Andrea Himpel.

Ein innerdeutsches Problem

Die genaue Anzahl der unbekannt in irgendwelchen Depots oder Museen gelagerten Kulturgüter aus enteignetem ostdeutschen Alteigentum ist unbekannt. Fragt man Mathias Deinert vom Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg nach einer Provenienzforschung in diesem Bereich, erhält man eine klare Antwort: "Die gibt es nicht."
Die Gründe dafür sind vielfältig. Während bei der Suche nach jüdischem Alteigentum, das während der NS-Zeit enteignet wurde, politisch gut vernetzte Organisationen wie die Jewish Claims Conference immer ein Auge darauf haben, wie gewissenhaft sich Museen in Deutschland um Restitutionen gestohlener Kunstwerke bemühen, sind die Enteignungen in Ostdeutschland nach 1945 ein innerdeutsches Problem. Wenn es nicht gerade zu Skandalen wie in Dresden kommt, gibt es kaum politischen Druck.

Kunstwerke gegen Devisen

Zugleich ist die Forschung schwierig. Denn schon zu DDR-Zeiten verlor sich die Spur vieler enteigneter Kunstwerke, wie Uwe Hartmann vom Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg weiß: "Wir haben Quellen, dass dann in den Fünfzigerjahren West-Berliner Kunsthändler auf Einladung, auf Vermittlung dieser Kulturwaren Import-Export GmbH, übers Land reisen."
Die DDR-Regierung hielt seinerzeit Museen immer wieder dazu an, Kunstobjekte aus ihren Sammlungen zu verkaufen – auch und gerade in den Westen, um Devisen zu beschaffen. Dazu noch mal Hartmann: "Und da gibt es dann auch erste Klagen von Museumsdirektoren: 'Ich konnte mich dagegen nicht wehren.' Oder sie fragen zurück: 'Mit welcher Legitimation kommen da Leute aus Berlin und wählen hier Sachen aus?'"

Noch 1989 wurden "Schlossbergungsbilder" verkauft

Auch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden standen zu DDR-Zeiten unter dem Druck der Devisenbeschaffer, Objekte aus ihren Sammlungen zum Verkauf freizugeben.
"Dresden hat unter Generaldirektor Bachmann den etwas schlitzohrigen Beschluss gefasst, diese Wünsche aus dem Außenhandelsministerium und von der Kunst- und Antiquitäten GmbH dadurch zu erfüllen, dass man Schlossbergungsbestände abgibt in den Verkauf, um die eigenen Kernbestände zu schonen. Das ist ethisch natürlich aus heutiger Perspektive hochproblematisch, aber in der damaligen Situation zumindest nachvollziehbar als Entscheidung. Und deswegen haben wir in mehreren Tranchen bis August 1989 mehrere Hundert Schlossbergungsbilder in den Verkauf gegeben", sagt Thomas Rudert.

Die Dimension übertrifft die NS-Raubgutrecherche

Ulrike Lorenz ist Präsidentin der Stiftung Weimarer Klassik. Deren Museen und Bibliotheken verfügen möglicherweise ebenfalls noch über zahlreiche Objekte aus Enteignungen, die sich unentdeckt unter den Beständen aus der DDR-Zeit befinden:
"Da sprechen wir über ganz andere Zahlen. Das sind allein in der Anna-Amalia-Bibliothek 250.000 Erwerbungen, und es geht im Moment darum, tatsächlich ein Konzept zu erarbeiten, wie wir uns diesem zweiten Kapitel von Provenienzforschung annähern wollen."
Fest steht: Tausende Kulturgüter sind nach 1945 auf verschlungenen Wegen nicht nur in ostdeutsche Sammlungen, sondern auch in den westlichen Kunsthandel gelangt, auch in Museen. Die Kaufverträge dürften rechtskräftig sein. Die Dimensionen aber dürften die der NS-Raubgutrecherche zahlenmäßig bei Weitem übertreffen.
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