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Nigers Probleme bei der Bekämpfung des Hungers

Niger befindet sich in einem Teufelskreis der Armut. Kaum Steueraufkommen, hohe Armut, anwachsende Bevölkerung, kaum Ressourcen. Fachleute sagen: Niger braucht vor allem Investitionen. Doch wo sollen die herkommen, wenn das Budget der Regierung zu 60 Prozent aus Hilfsgeldern besteht? Kein Wunder, dass sich am Südrand der Sahara Resignation breitmacht. Auch bei Vertretern von Hilfsorganisationen.

Von Rüdiger Maack | 29.08.2005
    Marktstände in Nigers Hauptstadt Niamey. Es gibt Tomaten und Zwiebeln, Gewürze und getrocknete Kräuter. Aber an diesem Nachmittag ist es alles andere als voll. Die Händler sind unter sich. Das für einen Nigrer Allerwichtigste verkaufen sie nicht: Hirse und Sorgho, zwei Getreidearten, Grundnahrung für fast alle Nigrer.

    "Seit drei, vier Tagen gibt es keine Hirse mehr. "

    Seit drei, vier Tagen schon gibt es keine Hirse mehr, sagt Yahaia Issou. Er verkauft Hülsenfrüchte und Nüsse nebenher, aber die Preise sind so hoch, dass kein Kunde kommt.

    "Wenn ich einen 100 kg-Sack für 30.000 verkaufe und den Scheffel für 750, keiner kauft das, weil es zu teuer ist. "

    Sein Nachbar mischt sich ein und deutet auf sein Warenangebot, das von Seife bis zu Erdnüssen reicht.

    "Die Großhändler stecken dahinter, die wollen das so. Wenn ich da hinkomme zum Einkaufen, sagt er, das haben wir nicht, jenes nicht. "

    Es sind genügend Nahrungsmittel da, die Leute können sie nur nicht bezahlen. Die Leute essen weniger, sie verkaufen ihr Hab und Gut, um Nahrung bezahlen zu können, sagt ein Regierungsvertreter später. In neun Zonen sei die Lage dramatisch, heißt es, dort leben fünf von zwölf Millionen Nigrer.

    Die Provinzhauptstadt Maradi liegt in der am dichtesten bevölkerten Notregion. Eine Fahrt dorthin führt hunderte Kilometer durch grünes Land – es ist Regenzeit, sie geht hier von Juni bis September. Mais- und Hirsefelder lösen sich ab. An einigen Stellen beginnt sich das Getreide gelb zu verfärben, einige Bauern beginnen mit der Ernte. Andere bearbeiten ihre Felder. Traktoren sind eine technische Sensation im Niger und dementsprechend selten. Selbst Ochsenpflüge hat kaum jemand. Die meisten benutzen einen Grabstock: Ein langer Holzstiel mit einer Klinge, der ähnlich wie eine Axt aussieht. Damit werden Felder bearbeitet, umgegraben und gejätet. Hier ist die Kornkammer Nigers. Und hier gibt es den meisten Hunger. Nur wenige Häuser wurden nicht aus Lehm gebaut, ockerfarben stehen die Hütten da, neben vielen eine kleinere pilzartige runde Lehmhütte mit kegelförmigem Strohdach. Getreidespeicher. Die meisten sind leer.

    Bis Maradi ist die Landstraße gut ausgebaut, danach geht es über eine Piste weiter Richtung Grenze zu Nigeria.

    Daourawa heißt der Flecken, in dem die amerikanische Hilfsorganisation Care heute Hirse verteilt. Hier leben keine 300 Menschen. Nur die Familienoberhäupter dürfen die kleinen Säcke entgegennehmen, in die die Hirse hineingescheffelt wird. Hinter ihnen warten im Halbkreis die Frauen und Kinder. 20 Scheffel bekommt jede Familie, das sind gut 40 kg, egal, aus wie viel Menschen sie besteht.

    Care-Vertreter Ali Tayabou erteilt Instruktionen über die Verteilung: Jeder einzelne wird aufgerufen, muss vor dem Komitee seine Identität erklären und einen Fingerabdruck abgeben

    Das soll jedem Haushalt über zwei Wochen hinaus helfen, sagt eine Dorfbewohnerin.

    "Dieses Jahr ist es wirklich schlimm, das letzte Jahr war nicht gut. Wir essen zweimal am Tag. Morgens ein paar Hirsebällchen. Abends machen wir einen Hirsebrei und aus den Resten am Morgen danach dann ein Frühstück. Dann geht jeder arbeiten. "

    Die Zeremonie wird mit Applaus beendet. Morgen wird woanders verteilt. Abgemagerte, unterernährte Kinder werden die Helfer auch dort zu sehen bekommen. Der Niger ist ein hartes Land. Wer hier wohnt, weiß, was Hunger ist, erklärt Marcus Prior, der für das Welternährungsprogramm die Szene beobachtet.

    "Jedes Jahr um diese Zeit müssen die Menschen hier die Lücke zwischen der letzten und der kommenden Ernte füllen, die in etwa sechs Wochen kommt. Die meisten Menschen haben sich an diese Hungerlage gewöhnt, kleine Kinder aber sind sehr viel verletzlicher und dieses ist eine ziemlich rauhe Ecke der Welt. "

    Als Kind zu sterben, gehört in Niger zum allgemeinen Lebensrisiko; 25 Prozent der Kinder erleben ihren fünften Geburtstag nicht. Die Krise ist Dauerzustand, und die Kurve für Niger geht nach unten, nicht nach oben. Das erklärt Sedou Bacari. Er arbeitet im Krisenstab der nigrischen Regierung, der die staatliche Hilfe koordinieren soll.

    "1992 litten 32 Prozent der Kinder unter chronischer Unterernährung, 1998 waren es schon 40 Prozent, und nach den letzten Erhebungen ist der Anteil der chronisch Unterernährten mittlerweile bei 50 Prozent. "

    Von Unterernährung geschwächt, bekommen sie Tuberkulose, Bronchitis oder Malaria. Das staatliche Gesundheitswesen ist nicht umsonst – wer kaum Geld hat, die Familie zu ernähren, hat noch weniger, um es beim Arzt auszugeben.

    Schwester Loren arbeitet in einer Krankenstation der Schwestern der Mutter Teresa in einem Vorort der Haupstadt Niamey. Die Mütter sind stunden- und tagelang unterwegs, um ihre Kinder hier behandeln zu lassen. Doch es ist ein merkwürdiges Bild in der Station: Da sind wohlgenährte Babys mit älteren Geschwistern, die dem Tode nahe sind. Das Drama der mangelernährten Babys hat nicht nur mit Heuschrecken und Missernten zu tun.

    "Wenn die Mütter erfahren, dass sie nochmal schwanger sind, hören sie von heute auf morgen die Brusternährung auf. Und das verträgt das Kind nicht. Das Kind denkt, dass sie von ihrer Mutter verstoßen wird, und dann hat es nie gelernt, andere Nahrung zu kriegen, und in ein bis zwei Wochen ist das Kind, das vorher gut ernährt war, auf einmal ein unterernährtes Kind. "

    Jeden Tag bekommen sie im Moment fast 500 neue Fälle, nur die schwersten werden stationär aufgenommen, die anderen behandelt und wieder weggeschickt.

    "Die Mütter haben viele Kinder. Im Durchschnitt hat eine Frau vom Niger acht Kinder. Und alle haben mindestens zwei, drei kleine Kinder, so hat sie oft ein Kind im Bauch, ein anderes an der Hand und eines am Rücken. "

    Wird eines davon krank, hat die Mutter oft nur die Wahl: es dem einen richtig schlecht gehen zu lassen, oder die anderen allein zu lassen, um einen Arzt zu suchen: Die Schwestern von Mutter Teresa oder Ärzte ohne Grenzen arbeiten schon seit Jahren im Land. Besserung ist nicht in Sicht.

    Eher das Gegenteil. Fast alle Daten für den Niger weisen weiter in die Misere. Sedou Bacari, der Mann von der Regierung, klingt resigniert:

    "Mit der Geschwindigkeit der Verminderung der Erträge und dem Bevölkerungsanstieg ist es praktisch unmöglich im Niger, genügend Hirse zu produzieren, um der Nachfrage Herr zu werden. "

    Die Hungerkrise im Niger war vorhersehbar: Niger hat das höchste Bevölkerungswachstum weltweit – jedes Jahr wächst das nigrische Volk um 400.000 Menschen – in 20 Jahren werden doppelt so viele Menschen sich um die rare Ackerfläche prügeln müssen. Staatliche Programme zur Geburtenkontrolle gibt es keine, zarte Ansätze werden von den Imams der Moscheen wütend bekämpft – 90 Prozent der Nigrer sind Moslems.

    Weil die Bevölkerung so stark wächst, wurde die Anbaufläche in den letzten 50 Jahren verfünffacht. Heute wird Hirse auch auf Flächen angebaut, die dafür eigentlich nicht geeignet sind. Das kultivierbare Land wird von Jahr zu Jahr rarer. Die Brache wurde abgeschafft, der Boden ist ausgelaugt - "fatigué", müde, sagen die Nigrer dazu. Die Erträge gehen zurück. Noch schlimmer: seit 30 Jahren nimmt die Regenmenge und die Länge der Regenzeit in der Region ab.

    Und die Regierung? Nigers Politik war in den 90er Jahren mit Putschen und Gegenputschen und einem Bürgerkrieg beschäftigt, doch selbst in der neuen demokratischen Ära seit sechs Jahren haben die Bauern nicht profitiert: Nigers Regierung macht Politik für die Städter – dabei leben 85 Prozent der Menschen auf dem Land, sagt Borema Dodo, der in Niamey eine Standesvertretung der Viehzüchter leitet – mehr als 10 Prozent der Bevölkerung züchtet Vieh, die allermeisten ziehen nomadisch durch den Nordteil des Landes.

    "Zunächst muss man sagen, dass der Niger immer schon eine nicht angepasste Politik betrieben hat. Seit meiner Geburt bis heute arbeiten wir mit derselben Technik und denselben Werkzeugen, es gibt keinerlei Fortschritt! Dabei gibt es überall Wasser, wir haben eine sehr große Grundwasserschicht. Es gab von der Politik lange Zeit überhaupt kein Interesse an diesem Problem!"

    So kommt es, dass die Erde größtenteils mit der Technologie biblischer Zeiten bearbeitet wird. Den Bauern fehlen Dünger und Material. Seit 1983 gibt der Staat keine Beihilfen mehr für den Kauf landwirtschaftlicher Geräte, die Missernten führen dazu, dass Bauern kein Geld mehr für Investitionen haben. Die Abwesenheit einer vernünftigen Landwirtschaftspolitik erklärt Marcus Prior sehr schlicht: das Land hat kein Geld, sagt der Sprecher des Welternährungsprogrammes WEP.

    "Niger hat schlicht nicht die Kapazitäten, um große Dünger- oder Bewässerungsprogramme zu starten. Und darüber hinaus bekommt Niger weniger Entwicklungshilfe als seine Nachbarländer Burkina Faso und Mali, obwohl man ziemlich gut argumentieren könnte, dass es eigentlich bedürftiger ist. "

    Das Nachbarland Mali ist in vielem vergleichbar: Auch hier wird Politik für städtische Eliten gemacht, auch hier demokratisiert sich ein Land, hat aber wirtschaftlich nichts davon: Sowohl in Niger als auch in Mali ist das Bruttoinlandsprodukt heute geringer als zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit. Aber in Mali hat die Regierung auf die aktuelle Krise anders reagiert: Schon im Frühjahr wurden die staatlichen Lager leergeräumt und 30.000 Tonnen Getreide an die notleidende Bevölkerung verteilt. Jetzt scheint die Krise hier im Griff.

    An einem gibt es in Niger mit Sicherheit keinen Mangel: an Rindern. Mit der Bevölkerung wächst die Zahl der Herden. Niger ist einer der größten Viehexporteure in Afrika. Aya Jore ist einer von ihnen. Jore gehört dem Volk der Fulani an, zusammen mit den Tuareg, die durch den hohen Norden ziehen, stellen sie die Nomaden im Niger. Jore hat drei Frauen und acht Kinder, bei den anderen Männern sieht es ähnlich aus. Sein ganzer Besitz – neben Frau und Kindern, ist ein Holzlattenrost, der als Bett dient und mit Baumwollstoff überspannt wird und ein niedriges Regal mit Küchengeräten. Bis vor ein paar Wochen gehörte auch eine stattliche Rinderherde dazu.

    "Ich hatte 165 Kühe und jetzt bleibt mir gerade eine einzige!"

    Von mehreren hundert Rindern, die es rund um das Lager gab, sind gerade mal fünf übrig geblieben. Keine hundert Meter weiter liegen Kadaver, daneben ein Scheiterhaufen Rinderknochen hüfthoch aufgeschichtet. Es hat zuwenig geregnet im letzten Jahr, und dann an den falschen Stellen, sagt Jore.

    "Das Viehfutter war zu teuer, das konnten wir uns nicht leisten. Vor dem letzten Jahr hat eine Ration 1000 Franc gekostet, aber dann sind die Preise auf 2, 3 und sogar 5000 Franc gestiegen. "

    Bororo – so heißen die nomadischen Rinderhirten der Fulani. Sie werden gerühmt in der ganzen Sahelregion: Niemand passt sich den Lebensumständen so gut an, sie sind die besten Rinderzüchter überhaupt, und die produktivsten. Doch ihre Lebensweise wird ihr Schicksal sein: In einem Land, in dem es zunehmend Streit um die verbleibenden Ressourcen gibt, immer mehr Land in Ackerland umgewandelt wird und jede Frau im Schnitt acht Kinder auf die Welt bringt, werden sie ihre Kultur nicht lange mehr erhalten können.

    "Wir Fulani haben schon immer unser ganzes Glück mit dem Vieh gemacht. Jetzt ist unser Vieh weg, und wir wissen überhaupt nicht, wie wir morgen und übermorgen überleben sollen! Bei uns sind alle verarmt, alle haben ihr Vieh verloren. "

    Jetzt steht er vor dem Nichts, die Arbeit von 20 Jahren ist zerstört. Etwa 10.000 Hirtenfamilien soll es genauso gehen wie Jore. Ihre Zukunft ist ungewiss.

    Vor sich auf der Erde hat Jore kleine Kalebassen stehen, Schüsseln aus Holz. In den Kalebassen ist eine Handvoll Blätter, daneben in einem Säckchen Hirsespreu.

    "Mit diesem bisschen bereiten wir unser Essen zu. Das ist Hirsespreu, normalerweise geben wir das unserem Vieh. Das essen wir nicht alles heute, wir werden jetzt zu fünft davon essen und werden nur wenig zu uns nehmen, damit wir morgen noch ein bisschen haben, um über den Tag zu kommen. "

    In den 41 Familien sind drei Kinder verhungert. Eines davon gehörte seiner Frau Hawa. Es war drei Jahre alt, sagt sie, und sie hatten kein Geld, um zum Arzt zu gehen.

    "Um meine Kinder irgendwie durchzubringen, gehe ich halt in die Stadt und versuche, mich als Tagelöhnerin durchzuschlagen."

    Schafe und Ziegen haben die Dürre weitaus besser überstanden als die empfindlichen und wählerischen Rinder. Doch die Frage, wie er sich denn auf eine eventuelle neue Krise vorbereiten könne, versteht Jore nicht.

    "Wir können uns doch nicht auf irgend etwas vorbereiten, dass vielleicht morgen auf uns zukommt! Wir zählen einfach auf Gott. "

    Von der Nothilfe ist bis jetzt bei ihnen nichts angekommen. Zur Kreisstadt Dakoro sind es 25 Kilometer. Dort hat ein Händler mannshoch Hirsesäcke zum Verkauf. Jore und seine Familie können sie nicht bezahlen. Die Hirse kostet jetzt gut dreimal so viel wie zu normalen Zeiten. Großhändler schicken ihre Spitzel nach der Ernte in die Dörfer und kaufen dann gezielt Überschüsse auf. Experten sagen, viele hätten, als sie von den internationalen Spendenaufrufen hörten, ihr Vorräte vom Markt gehalten, um sie jetzt mit vierfachem Gewinn zu verkaufen – auch an die Hilfsorganisationen wie das Welternährungsprogramm WEP, das den Großteil der Spendengelder verwaltet. Spekulation ist Teil des Problems, sagt WEP-Sprecher Marcus Prior.

    "Niger ist im wesentlichen ein liberalisierter Markt, und die Händler versuchen, den höchsten Profit zu erzeugen. Das ist eine Tatsache."

    Die Händlerkaste genießt Protektion – fast die Hälfte der Abgeordneten im Parlament sind Händler – wer in Niger Geld verdienen will, geht nicht in die Landwirtschaft, sondern wird Händler.

    "Wir haben praktisch keine Politik, die auf Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zielt. Als wir ein Militärregime hatten, hat, als die Ernte zu Ende war, der Staat Hirse aufgekauft und ab April oder Mai seine Lager geöffnet und zu einem festgelegten Preis verkauft. So wurde die Spekulation verhindert. Mit der Demokratie wurde die Wirtschaft liberalisiert, und die Weltbank hat gesagt, man darf die Landwirtschaft nicht subventionieren. Jetzt haben die Bauern nicht genug Dünger und Samen, die früher auf Kredit vom Staat gestellt wurden. Auf der anderen Seite verdienen die Bauern jetzt kaum noch Geld, wenn die Ernte gut ist, weil die Preise freigegeben wurden. "

    Ibbo Daddy Abdoulaye, ist Journalist und Herausgeber "Les Echos du Sahel", der einzigen Zeitschrift in der ganzen Region, die sich mit dem ländlichen Raum beschäftigt. Und auch Krisenmanager Bacari macht sich seine Gedanken über die Zukunft.

    "Die ungehemmte Liberalisierung der Märkte – kann sich ein Land wie Niger leisten, die Ernährungslage dem freien Markt zu überlassen? Ich glaube, darüber müssen wir sehr nachdenken und Lösungen finden. "

    Die Frage ist nur, ob das geschieht. Denn Chancen, etwas zu ändern, hat Niger in den letzten Jahren mehrfach gehabt. Seit 1999 wird das Land demokratisch regiert und macht in diesem Bereich große Fortschritte. Als Lohn für Demokratie und freien Markt bekam Niger mehrfach Schulden erlassen.

    "Ich weiß nicht, wie viel Milliarden das damals waren. Aber schauen Sie sich an, was damit gemacht wurde: Also, es gab dieses Spezialprogramm des Präsidenten der Republik. Damit wurden Schulräume und Ambulanzen und Dämme errichtet. Schulklassen zu bauen ist ja gut. Aber wenn man sie da baut, wo es keiner Lehrer gibt oder da baut, wo gar keine Schüler sind oder es keine Infrastruktur gibt, was nützt das? Wenn man einen Damm da baut, wo es bereits Streit um den Boden gibt und die, die das Wasser bräuchten, keinen Zugang zum Damm haben, dann gibt es ein Problem."

    Es ist schwer, in Niger nicht in Fatalismus zu verfallen. Im Kampf gegen die Zeit und die Demographie helfen dem Niger Hunderte Entwicklungshilfegruppen, die deutsche GTZ ist seit Jahrzehnten im Land.

    "Wir haben zum Beispiel in der Region Tillerbery, in der Nähe von Niamey, in 17 Jahren rund 400.000 Hektar Fläche wieder landwirtschaftlich nutzbar gemacht. Das war vorher genutzt und durch falsche Bewirtschaftung unfruchtbar geworden. "

    Michael Lossner ist der GTZ-Vertreter in Niamey. Dezentralisierung und Entwicklung des ländlichen Raums, da will die GTZ helfen.

    "Durch diese zusätzlichen 400.000 Hektar konnten wir 60.000 Tonnen Hirse zusätzlich produzieren. [...] Das Problem ist, dass dieser Fortschritt durch das starke Bevölkerungswachstum im Grunde genommen wieder konterkariert wird, und wir sind da im Wettlauf mit der Zeit. "

    Lossner hat Afrika-Erfahrung. Der Niger aber, sagt er, ist schon sehr speziell.

    "Problematisch sehe ich die mangelnde Effizienz bei der Umsetzung von Strategien. Ich beobachte hier im Niger, dass wir eine sehr starke Zersplitterung von Institutionen haben ohne klare Verantwortlichkeiten. Und dadurch werden Entscheidungen nicht immer in der Schnelligkeit getroffen und umgesetzt wie sie umgesetzt werden müssten. Dann kommt es dazu, dass der Staat schwach ausgeprägt ist. Landwirtschaftliche Dienste sind quasi nicht existent. "

    So werden die nigrischen Bauern weiterhin von der Hand in den Mund leben – wenn überhaupt. Monika Kaltschisch war für die deutsche Caritas im Land unterwegs und glaubt, dass mit der neuen Ernte im Herbst die Bauern noch lange nicht ihre Probleme los sind.

    "Die Situation nach der Ernte wird sicher nicht so sein, dass die Bauern dann bis zur Ernte 2006 ohne Hilfe leben können. Die Bauern haben mir gesagt, dass sie in diesem Jahr, wenn sie im September oder Oktober ernten, mit der Hirse nur bis November auskommen. Weil es so trocken ist, dass die Hirse teils auf dem Feld vertrocknet, und, weil sie teils solche Schulden haben bei den Händlern, denen sie die Hirse wieder zurückkaufen müssen, dass sie mit dem Ertrag, den sie nach der Ernte haben, gar nichts mehr selbst anfangen können und damit wieder in einer Situation der Abhängigkeit sind. "

    Auch WEP-Mann Prior ist nicht optimistisch:

    "Zur Zeit haben nur sehr weniger Nigrer auch nur die Aussicht auf ein besseres Leben eines Tages. "

    Länder wie Mali oder Niger befinden sich in einem Teufelskreis der Armut. Kaum Steueraufkommen, hohe Armut, anwachsende Bevölkerung, kaum Ressourcen – und mit Uran, mit dem das Land lange gut lebte, verdient Niger auch nicht mehr viel. Ohne Hilfe von außen werden sie diesen Teufelskreis nicht durchbrechen können. Mit der Hilfe, die von außen kommt, anscheinend aber auch nicht. Fachleute sagen: Länder wie Mali oder Niger brauchen vor allem Investitionen. Doch wo sollen die herkommen? Und wieso soll eine Regierung, deren Haushalt zu 60 Prozent aus Hilfsgeldern besteht, sich der Mühe unterwerfen, ihr Land für Investitionen fit zu machen? Kein Wunder, dass sich am Südrand der Sahara Resignation breitmacht: Wenn die Welt eines Tages Sand braucht, sagen sie, werden wir ein reiches Land, sonst nie.