Freitag, 29. März 2024

Archiv

Nils Kercher & Ensemble
Poetische Weltmusik

Es ist eine lyrische Klangwelt, die der Bonner Sänger und Multiinstrumentalist Nils Kercher mit seinen Kompositionen schafft. Er verwebt traditionelle, westafrikanische Rhythmen und Melodien mit filigranen Streicher- und Chor-Arrangements. Sein internationales Ensemble arbeitet mit einem Arsenal an Schlagwerk und Saiteninstrumenten sowie einem Geflecht aus Stimmen. So entstehen Klangräume fernab jeglicher Afropop-Klischees.

Von Daniel Hauser | 02.09.2016
    Nils Kercher sitzt mit den vier Musikern seines Ensembles im Halbkreis auf einer Bühne an den Instrumenten
    Das Nils Kercher Ensemble bei einem Auftritt in Essen (Kurt Rade)
    Nils Kerchers musikalische Gedichte folgen ganz seinem Lebensmotto: "Your life is your Poem". Seine Geschichte als Weltmusiker beginnt, als der junge Nils Kercher aus Wachtberg bei Bonn eines Tages ganz allein in ein Flugzeug stieg, um die Musikkultur Westafrikas aus nächster Nähe kennen zu lernen.
    "Ich hab das Gefühl gehabt, als ich im Flieger saß: Ich bin ein anderer Mensch. Ich wusste, irgendwas war anders. Und wenn ich wieder zu Hause ankomme in Deutschland, wird es anders. Und so war es auch. Es hat in mir was ausgelöst, mein Leben zu verändern. Es war wie ein Neubeginn."
    Ein neues Bewußtsein für Rhythmus und Form
    Dieses Schlüsselerlebnis liegt etwa 20 Jahre zurück. Aber was sind schon Zahlen in diesem Zusammenhang? Nils Kercher hat aufgehört zu zählen. In mehrfacher Hinsicht: Von der ständigen Fokussierung auf Schläge und Taktgrenzen fühlte er sich nur eingeengt. Diese Form der Orientierung hinter sich zu lassen und ein neues Bewusstsein für Rhythmus und Form zu entwickeln, hat dann einige Zeit in Anspruch genommen. Aber er lässt sich nicht drängen. Nach sieben Jahren Pause ist nun sein zweites Album erschienen mit Musik, die den Zuhörer in vergangene Zeiten versetzt und zugleich die Brücke ins Jetzt schlägt. "Unbroken Spell" bezieht sich auf die Flüchtlingssituation und ruft in Erinnerung, dass schon einmal in der Geschichte Westafrikas Menschen in Boote gestiegen sind und das Meer für sie zum Grab wurde. Der Song dazu ist ein wehklagendes Fragen geworden.
    Musik: "Unbroken spell" – Nils Kercher & Ensemble
    Eigentlich wollte Nils Kercher Schlagzeug spielen, aber seine Eltern hatten erst mal die Geige für ihn vorgesehen. Im Alter von 11 Jahren kam der Wendepunkt. In seiner Schule war Projektwoche. Die angebotenen Kurse aber, sie waren nicht nach seinem Geschmack. Irgendwas musste sich doch rund um das Schlagzeug im Bandkeller der Schule machen lassen?! Kurzerhand beantragte Nils Kercher ein eigenes Projekt und gab schließlich gemeinsam mit anderen Mitschülern sein erstes Konzert mit Schlaginstrumenten. Und bei denen blieb er.
    Musik: "Djigi Tshena" - Nils Kercher & Ensemble
    Djigi Tshena ist ein Stück, das auf Nils Kerchers aktuellem Album zu finden ist: "Suku – Your life is your poem". Vielschichtige Musik, die auf traditionelle Muster aus Westafrika zurückgeht. Mit ihr kam Nils Kercher zum ersten Mal als Zuschauer in Kontakt bei einem Auftritt des Bonner Percussionisten Benno Klandt. Der war gerade aus Guinea zurückgekommen und gab ein Konzert mit seinen westafrikanischen Djemben.
    "Das war wie ein Ruf. Da hab ich gemerkt: 'Wow, das ist Musik, die ging sehr tief'. Ich hab die ganze Nacht danach das noch in mir gespürt, dieses Echo davon und hab ihn dann auch kontaktiert, um bei ihm Unterricht zu nehmen. Und dann kam eins zum anderen: Er hat mich ziemlich schnell eingeladen, ihn zu begleiten für ein Konzert. Das war natürlich besonders direkt auch auf der Bühne zu sein."
    Zu zweit, und dabei doch so klingen, als wäre man eins, der pure Rhythmus in einem beinahe magischen Fluss: Das sind die Momente, die Nils Kercher mittlerweile auch bei seinen eigenen Konzerten kreiert, immer wach genug dafür, den Fluss auch mal zu bremsen und ihn mit improvisierten Elementen zu brechen, so wie bei "The Call" – einem Stück für Djembe, live aufgenommen bei einem Konzert im Brückenforum Bonn.
    Musik: "The Call" - Nils Kercher & Ensemble
    An der Trommel zu zeigen, was technisch möglich ist, das ist nicht der Ansatz von Nils Kercher. Er dient mit seinem Spiel einem größeren Ganzen: dem jeweiligen Song. Der besteht aus freien Teilen, in denen improvisiert wird, folgt insgesamt aber einem Arrangement, in dem es kompositorische Elemente gibt und Wechsel zwischen verschiedenen Grundrhythmen. Diese Komplexität macht die Musik von Nils Kercher zu einer besonderen innerhalb der deutschen Tanz- und Trommel-Szene, die sich mit afrikanischer Kultur beschäftigt, von afrikanischen Musikern lernt und sie in Konzerten begleitet. Einer seiner ersten Lehrer war Alseny Camara aus Guinea. Monatsweise hielt er sich zum Unterricht in Deutschland auf und gab Konzerte.
    Afrikanische Kinder lernen, indem sie begleiten
    "Das war eigentlich mein Hauptunterricht, dass ich da einfach neben ihm stundenlang saß und gespielt hab, ein bisschen so, wie das in Afrika auch ist: Die Kinder kriegen keinen Unterricht, die spielen einfach die ganz leichten Begleitstimmen mit – jahrelang – und nehmen auf, was die 'Meister' sozusagen spielen. Und dadurch können sie es nachher selber auch. Also so leicht ist es vielleicht nicht bei mir gewesen, weil ich ja nicht jahreslang Zeit hatte, aber ich hab doch, glaub ich, sehr viel da aufnehmen dürfen von dieser Spielart, von dieser Atmosphäre, auch von dieser ganzen Interaktion zwischen Tänzern und den Musikern wie das zusammengehört."
    Nils Kercher spielt das afrikanische Instrument Djembe
    Musik als magischer Fluss: Nils Kercher bei einem Livekonzert in Dortmund (Kurt Rade)
    Musik und Tanz sind für Nils Kercher etwas Untrennbares. Die körperlichen Anforderungen für das Spiel der verschiedenen Schlaginstrumente bringen es beinahe automatisch mit sich, dass die Musiker unentwegt in Bewegung sind mit dem ganzen Körper. Und Kerchers Hauptbegleiterin, Kira Kaipainen, wechselt sogar immer wieder von den Percussions an den vorderen Bühnenrand. Barfuß, mit wallendem Rock tanzt sie auf kleinster Fläche, wirft ihren Oberkörper mit abrupten Bewegungen und ausgebreiteten Armen nach vorne. Die Musik treibt sie dabei vor sich her, indem sich dynamisch immer mehr Schichten übereinanderlegen. Gesang, Spießlaute, Balafon und die Flöte. Nils Kercher präsentiert an die zehn verschiedene Instrumente, trägt dazu noch Rasseln um die Fußgelenke und arrangiert aus einer einteiligen Liedform eine mitreißende Aufforderung zum Tanzen. "Naboulou" basiert auf einer traditionellen Melodie aus Guinea, gesungen in der Sprache Malinke. Nils Kercher hat aus dieser Vorlage den gleichnamigen Song gemacht für das aktuelle Album "Your life is your poem".
    "Meine Tochter,
    du trägst den gleichen Namen
    wie meine Mutter.
    Tanz mit all Deiner Hingabe.
    Tanz mit all Deiner Kraft.
    Tanz und zeig Dein Strahlen."
    Musik: "Naboulou" - Nils Kercher & Ensemble
    Wer für Musik brennt, der hält als Teenager schon mal alles andere für völlig überflüssig so auch Nils Kercher. Am liebsten hätte er gleich die Schule geschmissen, um mehr Zeit zum Üben zu haben. Aber das hat ihm sein guineischer Trommellehrer ausgeredet. Mittelfristig stand für Nils Kercher trotzdem fest: "Dort, wo er herkommt, da will ich hin! An die Quelle von jahrhundertealter Musik." Dort als Trommler weiter zu wachsen, war sein Traum. Und den hat er sich unmittelbar nach dem Abitur erfüllt. Zielort: Conakry, die Hauptstadt Guineas.
    "Ich bin die Nacht.
    Lass Dich fallen in mein Geheimnis.
    Ich bin der stimmlose Ruf."

    Musik: "The night"- Nils Kercher & Ensemble
    "Als ich ankam, war die ganze Stadt stockfinster und man sah überall Feuer. Und das fand ich schon sehr, sehr schön da anzukommen mit dem Auto durch diese finstere Nacht, am Straßenrand überall Feuer, wo sich Leute etwas brieten. Als ich ankam, gab’s nur Kerzen. Das fand ich schon schön, das hat etwas Besonderes. Da merkt man, wie weit weg man eigentlich ist von unserer Welt. Und das ist auf den Dörfern noch mal völlig anders, da ist ja dann wirklich gar nichts."
    Soweit, so stimmig: Die Reise in ein fernes Land, exotische Momentaufnahmen, die Sehnsucht nach noch Unbekanntem und Ungewohnten. Erfüllt. Doch wie weit sollte die Bereitschaft gehen, sich auf Unerwartetes einzulassen? Den Wohnverhältnissen neben einer schwelenden Mülldeponie war jedenfalls nicht sonderlich viel Positives abzugewinnen. Aber Nils Kercher nahm diese Situation in Kauf, denn sein Fokus lag ja auf der Suche nach neuer Musik.
    Die Kinder von der Straße wurden zur Tonspur
    " Man muss nur abends, im Dunkeln, ein bisschen hören, was die Kinder in den Vierteln da für Klatsch- und Tanzspiele spielen – das ist so eine Musikalität, so ein Groove, der einfach da ist. Davon kann man so viel lernen."
    Und er hat nicht nur vom Hören gelernt, sondern auch sein Aufnahmegerät benutzt. Die Kinder von der Straße wurden zur Tonspur, die Nils Kercher in ein selbst komponiertes Lied integriert hat. I siga fe mindé von seinem Album "Ancient intimations". Gesungen auf der guineischen Sprache Soussou.
    "Weißer, Weißer! Die Strasse ist voller Müll.
    Sie ist voller Müll und Dreck,
    doch Deine Würde, Deine Freiheit strahlt über allem."
    Musik: "I siga fe minden?" - Nils Kercher & Ensemble
    Die Selbstverständlichkeit von Musik umgeben zu sein und mit Gesang zu kommunizieren, wenn man am Marktstand steht oder einem Bekannten auf der Straße begegnet, dieses aus dem Moment heraus zu singen, wie es in Afrika noch oft praktiziert wird, das findet sich in der Musik Nils Kerchers immer wieder, wenn er mit seiner Stimme improvisiert. Gerade wenn der Text eines Liedes sowieso nur aus wenigen Zeilen besteht, die stetig wiederholt werden, braucht es Variationen: In der Stimmfarbe, dem Augenblick des Vokaleinsatzes, der Dynamik. Die Fähigkeit, so aus sich herauszugehen, hat der ansonsten eher introvertierte Nils Kercher möglicherweise einem unglücklichen Umstand zu verdanken. Sein Trommellehrer, den er 1995 in Guinea besuchen wollte, und der wenigstens einen Hauch Deutsch sprechen konnte, war für ihn vor Ort nämlich nicht so greifbar wie erhofft.
    Afrikareise als Initiation
    "Ich wollte lernen, ich wollte intensiv studieren. Und da hab ich dann irgendwann halt auch angefangen, mich anders zu orientieren, Lehrer zu suchen. Und das war gar nicht so einfach. Das war natürlich mit meinen 19 Jahren ohne die Sprache zu können erst mal ein Prozess, auch den Mut zu haben. Aber ich glaube, es war auch gut. Ich hab sehr viel gelernt dabei. Es war ein bisschen wie eine Initiation diese Reise."
    Auch für seine eigene Arbeit als Trommellehrer in Deutschland: Die schriftliche Musiktradition, die er selbst vom Geigen- und Schlagzeugunterricht kannte, war in Guinea nichts mehr wert, und die Lehrer hatten auch keine pädagogischen Konzepte für ihn parat.
    Wie erreicht man an den Punkt, wo Musik erst anfängt?
    "Dieses traditionelle Liedgut und die traditionellen Rhythmen und Melodien auf dem Balafon, auf den Trommeln, auf den Krins - diesen ausgehöhlten Baumstämmen - und anderen Instrumenten, ich wusste schon: das ist ganz kostbares Material, da ist viel, wovon man lernen kann. Aber es war gleichzeitig nicht die Erfüllung, wo ich dachte: 'Oh, das ist jetzt die Musik, die ich wirklich suche'. Das, was ich mir eigentlich gewünscht hatte, fehlte: Dort mehr zu finden, dass mir ein Lehrer vielleicht mehr zeigt, wie komme ich in dieses Musikmachen, wo eigentlich Musik erst anfängt, dieses sich zwischen verschiedenen Musikern selbst zu spielen, wo eine Einheit entsteht, jenseits von technischem Know-How."
    Der Fluss, der zwischen Musikern entsteht, zu dem hat er erst ein paar Jahre nach seiner ersten Afrikareise gefunden, mit Hilfe einer Europäerin. Durch Zufall lernte er sie bei einem Australienaufenthalt kennen: Kira Kaipainen. Sie hatte bis dahin vor allem afrikanischen Tanzunterricht genommen, war Sängerin und Dichterin. Seitdem ist sie die entscheidende Ergänzung in Nils Kerchers Ensemble, immer da und ebenso frei vom rein technischen Zugang zur Musik.
    "Der Nils probiert sehr oft Sachen aus und sagt, weil ich schon eine bestimmte Vorkenntnis habe mit Trommeln und Balafon, er sagt oft: "Kannst Du mal das spielen?", er möchte was dazu ausprobieren. So spiele ich das, und er probiert seine Ideen dazu aus. So hat es sich einfach ergeben, dass ich Teil der Band geworden bin."
    "Die Stimme eines jeden Menschen ist einmalig.
    Sie kann diesen schönen Tag grüßen.
    Sie kann ihren Geliebten rufen.
    Sie kann erfülltes Schweigen lernen
    und ins Ohr der Sterne singen.
    Dein Leben ist Dein Gedicht."
    Musik: "Suku – Your life is your poem" - Nils Kercher & Ensemble
    Die eigene Stimme zu hören, aus den Eindrücken der ersten Afrikareise tatsächlich eine musikalische Essenz zu extrahieren, dieser Prozess brauchte Zeit. Und die bekam Nils Kercher bei seinem ersten Afrikaaufenthalt völlig unverhofft. In Guinea hatte er sich offenbar einen Parasiten eingefangen und war, zu Hause wieder angekommen, ein ganzes Jahr lang allein auf sich zurückgeworfen. Das Exotische bekam einen schalen Beigeschmack, doch die sich endlos wiederholenden Rhythmus-Muster afrikanischer Musik haben ihn verändert, weil sie unmittelbar auf den Körper und damit das Lebensgefühl wirken. Mittlerweile suchen ihn sogar Manager auf, um in Trommelkursen zu lernen, zur Ruhe zu kommen und damit zu den Gedanken, die unter der alltäglichen Oberfläche warten. Auch bei seinen Konzertbesuchern möchte Nils Kercher dies erreichen, wenn er sie zum Mitklatschen einlädt wie bei dem Lied Miniamba aus Guinea. Auf Malinke erzählt es von einem Mädchen, das sich in eine Schlange verwandeln kann. Eines Tages, während einer Hungersnot, verschluckt sie ein ganzes Dorf, um die Menschen an einen fruchtbaren Ort zu bringen und sie dadurch vor dem Hungertod zu retten.
    Musik: "Miniamba" - Nils Kercher & Ensemble
    Ein Weißer aus dem Rheinland treibt bei seinen Konzerten den Deutschen die "preußische Verklemmtheit" aus. So sieht sich Nils Kercher. Er kleidet sich wie ein Aussteiger, singt in Sprachen, die das Publikum nicht versteht, phasenweise schließt er die Augen beim Spielen, dann fegen seine Hände wieder sehr raumgreifend und unvorhersehbar über Basstrommeln, Djembe und Balafon, den Mund weit geöffnet. Es ist beeindruckend, wie das Publikum mitgeht und die Contenance verliert, mitsingt und selber anfängt, auf Beine und Brustkorb zu klopfen. Die, die sich am meisten hervorwagt und animiert, ist natürlich Teil des Ensembles: Kira Kaipainen aus Finnland.
    Bei afrikanischer Musik geht es ums Körpergefühl
    "Das Körpergefühl, es ist sehr bedeutsam. In Guinea sagt man nicht: 'Die Musik klingt gut'. Man sagt: 'Die Musik schmeckt gut'. Und das ist eine ganz andere Körperwahrnehmung. Ich könnte sagen, dieser Kontakt mit dieser Art von Musik, Tanz und Sprache, bringt meinen Körper zum Schwingen. Mich fasziniert eine Musik und Tanz und Sprache, die man eher schmeckt als denkt. Man kann als Parallele z.B. sagen, dass die Sami-Leute aus dem Norden Finnlands nicht sagen, dass sie 'über einen Berg' singen. Wenn sie singen, dann singen sie 'einen Berg' oder 'einen Fluss'. Und das ist für mich ein ganz großer Unterschied, ob man einen Berg singt oder einen Fluss, oder über einen Berg oder einen Fluss. Und da kann ich mich sehr gut in Westafrika wiederfinden."
    Und Kira Kaipainen erweitert den Klangkosmos von Nils Kercher um ein zusätzliches Element: die finnische Sprache. Durch ihre Großmutter war sie schon als Kind regelmäßig konfrontiert mit finnischen Mythen. Die haben sie selbst dazu bewogen, Texte zu schreiben. Einer davon findet sich auf der aktuellen CD, ein Lied über die zerstörerische Kraft des Windes: Tuuli Itkee.
    "Der Wind weint.
    Auch wenn die Erde ihre Haare zerreißt
    und das Meer Galle spuckt,
    kochen wir Kaffee auf einer kleinen Insel.
    Auf einer kümmerlichen Flamme spielen wir
    Vater, Mutter, Kind – so wie gewohnt
    - auch wenn der Wind weint."
    Musik: "Tuuli Itkee" - Nils Kercher & Ensemble
    Neben Finnisch und Englisch dominieren in Nils Kerchers Stücken vor allem die Sprachen, die er in Westafrika kennengelernt hat. Darin lassen sich mit schönen Metaphern auch schwierige Themen ansprechen, wie beim Lied "Yire fere": Es richtet sich an eine Pflegerin, die sich um ein Mädchen kümmert, das gerade das Ritual der Beschneidung über sich ergehen lassen musste. Ohne unmittelbar anzuklagen, hat Kira Kaipainen das Lied neu betextet und ermuntert damit zum verantwortungsvollen Umgang mit jedem Mitmenschen.
    "Meine Mutter hat mich Dir anvertraut.
    Was machst du mit einer zarten Blüte in Deiner Hand?
    Was tust Du mit einem Schmetterling,
    der auf Deiner Hand landet?"
    Musik: "Yiri fere" - Nils Kercher & Ensemble
    Trommeln, Balafon, die ausgehöhlten Baumstämme – so viele Perkussionsinstrumente Nils Kercher auch kennengelernt hat bei seinen mehrfachen Reisen nach Westafrika, sein Erweckungserlebnis hatte er mit der 21-saitigen Harfe, der Kora. Der bauchige Korpus liegt beim Spielen auf dem Schoß, gehalten wird sie an zwei Griffen, in deren Mitte der Steg mit den Saiten in die Höhe ragt. Gespielt wird dieses in Afrika hochgeachtete Instrument mit den Daumen und Zeigefingern. Nils Kercher hat es nicht irgendwo gelernt, sondern am Hof des mittlerweile verstorbenen Fodé Kalissa, einem berühmten Kora-Spieler aus dem Nationalballett Guineas. Die Lehrzeit bei ihm wirkt bis heute nach, auch weil ihm der "Meisters" seine Kora vererbte.
    "Für mich ist es gar nicht jetzt Aufgabe, dass ich diese Tradition konservieren müsste, genauso wie vielleicht er das gemacht hat. Aber es geht für mich irgendwie um einen Geist, der in dieser Musik oder vielleicht auch die Würde, die er ausgestrahlt hat, und die in seiner Musik zu hören war. Das begleitet mich, dieses Instrument, aber vor allem dieses Erlebnis mit ihm."
    Musik: "Allahlake" - Nils Kercher & Ensemble
    Das Spielen der Kora hat Nils Kercher nicht nur klanglich neue Möglichkeiten eröffnet. Er erfährt Anerkennung von Musikern aus Westafrika, die staunen, dass ein weißer Europäer ihr Instrument so gut beherrscht. Bislang war Nils Kercher immer nach Westafrika gereist, um etwas zu lernen. Im vergangenen Jahr wendete sich das Blatt und zum ersten Mal wollten Menschen in Afrika von IHM lernen. Ein senegalesischer Produzent hat bei Nils Kercher angefragt und ihn für eine Konzerttournee gebucht, als eine Art Kulturbotschafter Westafrikas. Beim ersten Auftritt schmunzelte und kicherte das Publikum: Alle Instrumente auf der Bühne, wohlvertraut, bloß der weiße Mann aus Deutschland wirkte erst mal ungewohnt. Aber dann:
    "Als ich die ersten etwas kräftigeren Töne gesungen hatte, ein bisschen loslegte mit meiner Stimme, kam plötzlich Zwischenapplaus und dann nach dem nächsten Ton wieder und dann noch mal und noch mal. Das war schon Gänsehaut, so eine spontane Antwort aus dem Publikum zu hören, so eine Offenheit und Begeisterung. Das war schon besonders. Nach dem Konzert hat mir ein älterer Herr - er konnte kein Französisch, ich konnte seine Sprache nicht – er hat meine Hand genommen und hat sie ganz lange festgehalten und hat mir ganz lange und tief in die Augen geschaut. Offensichtlich war er sehr berührt davon, dass ich eine Musik mache, die eben sehr stark beeinflusst ist von seiner Kultur."
    Die Musik der Herkunftsregion intensiv kennengelernt zu haben, und sich in ihr selbstbewusst zu bewegen, das macht Nils Kercher Musik zur Weltmusik par excellence. In seiner Band spielen Streicher aus Deutschland, Percussionisten aus Australien und Europa und auch ein Gitarrist aus Mali, der mit anderen Ensembles schon in der Carnegie Hall aufgetreten ist. Und dann ist da eben noch Kira Kaipainen, die Nils Kercher auf allen Stationen musikalisch ergänzen kann und mit ihm auch immer wieder als Duo um die Welt reist. Als nächstes würden sie gerne mal im asiatischen Raum ihre Musik präsentieren. Und eine Reise in die USA steht auch noch aus. Denn dort wird der Kercher-Song "Sacred forest" gerade im Ballett einer Broadway-Regisseurin eingesetzt. Musik und Tanz: Einmal mehr – eine Einheit!
    Musik: "Sacred forest” - Nils Kercher & Ensemble