Aus den Feuilletons

Empörung über Lockdown

04:09 Minuten
Das Schild «Closed» (Geschlossen) hängt an der Tür eines Geschäftes.
Ab Montag müssen Kultureinrichtungen in Deutschland geschlossen bleiben. © picture alliance /dpa/Oliver Berg
Von Ulrike Timm · 30.10.2020
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Am Boden, ausgeknockt, zum Schweigen gebracht: Die Feuilletons finden viele zornige Worte zur Entscheidung der deutschen Regierung, Kultureinrichtungen für vier Wochen zu schließen. Kunst und Kultur seien unentbehrlich.
"Lockdown? Knockdown!" titelt der TAGESSPIEGEL. Nach der Entscheidung, Kunst und Kultur vier Wochen lang auszusetzen, formiert sich geballte Kritik. Privattheater oder die freie Szene sehen sich vor dem Aus, Kulturhilfepaket hin oder her. Und es ist einer der stillsten Künstler, nämlich der Dirigent Kirill Petrenko, der meint: "Wir müssen gemeinsam aufpassen, dass aus dem sogenannten Lockdown für die Kultur kein Knockdown wird."
Flankiert wird der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker vom Orchestervorstand, der erklärt: "Die Kulturlandschaft hat die Situation ernst genommen – jetzt bitten wir darum, ernst genommen zu werden."
Schließlich werden Theater und Orchester in einem Atemzug mit Bordellen, Saunen und Clubs genannt, obwohl gerade im Kulturbereich Hygienekonzepte mit den strengsten Abstandsregeln und Besucherbeschränkungen in den letzten Wochen Sicherheit gaben und bislang keine einzige Ansteckung in Bühnen- und Konzertsälen nachverfolgt wurde.

"Live-Kultur wird zum Bauernopfer"

Die NZZ zitiert denn auch einmal mehr den Hamburger Kultursenator Carsten Brosda: "Man müsste fast sagen, wenn man sich die Ansteckungszahlen anguckt: Gehen Sie in die Oper, gehen Sie in die Elbphilharmonie – da sind Sie sicherer als zu Hause."
Dann zürnt Christian Wildhagen: "Sobald es ernst wird, wird die Kultur zum Schweigen gebracht", und lässt das Argument, wegen der nur noch mangelhaft funktionierenden Kontaktrückverfolgung müsse das alles sein, nicht gelten: "Dieses scheinbar rationale Argument, mit dem man künftig übrigens alles und jedes rechtfertigen könnte, ist eine Nebelkerze.
Sie verschleiert den peinlichen Umstand, dass die gesamte Live-Kultur zum Bauernopfer einer Symbolpolitik geworden ist, die nahezu alles, was nicht unmittelbar dem Broterwerb oder der schulischen Bildung dient, unterschiedslos als "entbehrlich" deklariert. Ob dies um der breiteren Akzeptanz willen geschah, aus fehlender Einsicht oder blindem Aktionismus, bleibe dahingestellt."

Kulturrettung durch digitale Übergriffe

Andrian Kreye macht in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG seinem Frust über die Corona-Warn-App Luft. "Wo ist das übergriffige Internet, wenn man es mal wirklich braucht?" Er erhielt die Meldung: "Fünf Begegnungen mit niedrigem Risiko", wusste sich keinen Reim darauf zu machen, wie hoch niedrig denn sei, und konnte später über einen negativen Test erleichtert sein.
Kreye meint: "In einem Rechtsstaat stößt der Seuchenschutz schnell an Grenzen. Dabei wäre technisch viel möglich. Wenn die App weiß, dass die Begegnungen kurz und weit genug gewesen sind, wüsste sie auch, wenn zu viele Leute in einem Raum sind, sich Menschen in Bahn, Lokal oder Konzertsaal zu nahe kommen.

Sie wüsste im Ernstfall, wo man sich bei wem angesteckt hat – oder wer immun ist. Mit solchen digitalen Übergriffen könnte man daran denken, wieder Konzerte zu veranstalten, ins Ausland zu reisen oder mit mehr als fünf anderen in England Weihnachten zu feiern."

Guten Morgen, Frau Mumie

Schauen wir mit Blick auf die vielen stillen Feiertage im tristen November noch kurz in die TAZ. Die führt nämlich ein Gespräch mit dem Mumienarzt Jens Klocke. Der kümmert sich als Restaurator um naturgemäß schon sehr lange Tote, mit Respekt und Nonchalance zugleich.
Ob sich die Arbeit an Mumien von der an alten Kunstwerken unterscheide? Er habe damit umgehen gelernt, meint Klocke, und wünsche den Verstorbenen auch mal guten Morgen. Oft müssten sie erst einmal "etwas stabilisiert" werden.
"Eine altägyptische Mumie beispielsweise, die an mehreren Stellen ruckelt und auseinanderfällt, kann ich durch das Anpassen einer hauchdünnen, fast nicht sichtbaren Glasfaserschale auf ihrer Unterseite stabilisieren. So kann sie dann durch Raum und Zeit weiterreisen. Es kommt auch vor, dass ich einen ganzen Ellenbogen oder Fuß neu basteln muss, der nur in gewürfelten Knochen vor mir liegt." Gelobt sei das solide Handwerk! Den Fluch der Pharaonen fürchtet der Mann nicht.
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