Ehemaliger Syrien-Kämpfer

Schwierige Rückkehr in ein neues Leben

07:31 Minuten
Ein junger Mann versteckt als Angeklagter am 20.01.2015 in einem Gerichtssaal sein Gesicht hinter einem Umschlag. Um ihn herum stehen Polizisten und weitere Personen.
Angeklagt wegen gemeinschaftlichen Mordes: Prozessauftakt im Januar 2015 gegen den Mann, der sich heute Bilal Fani (M) nennt. © picture alliance / dpa / Sebastian Widmann
Von Joseph Röhmel · 04.11.2020
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Bilal Fani kämpfte in einer Terrorgruppe in Syrien, 2014 reiste er zurück nach Deutschland, landete im Gefängnis. Nun wurde er auf Bewährung entlassen und will sich ein neues Leben aufbauen.
Er sieht mir direkt in die Augen, sein Gesicht ist von der schwarzen Coronamaske halb verdeckt. Ich treffe den Mann, Mitte 30, an einer S-Bahnstation in einem Münchner Vorort. Gleich hat er hier ein Vorstellungsgespräch. Der Leiter eines Supermarkts hat ihn eingeladen.
"Mir geht es gut soweit. Nervös bin ich jetzt nicht. Detailliert werde ich ihm da nichts großartig erzählen, weil: erstens tut das nichts zur Sache und zweitens habe ich meine Strafe abgesessen."

Kämpfer in einer Terrorgruppe in Syrien

Bilal Fani ist gut durchtrainiert, trägt einen gepflegten Vollbart. In Wirklichkeit heißt er anders. Er will aber, dass sein echter Name nicht mehr mit seiner Vergangenheit in Verbindung gebracht wird. Vor acht Jahren rutschte Bilal Fani in seiner Heimatstadt München in salafistische Kreise ab. Dann reiste er nach Syrien zu einer von Tschetschenen geprägten Al-Kaida-nahen Terrorgruppe. Mehrere Monate war er dort, bis er im Frühjahr 2014 wieder nach Deutschland zurückkam.
"Das Ding ist, man wird so manipuliert, dass dieses Leben hier nichts ist. Der ganze Materialismus, die Freiheit, die wir genießen. Das ist nichts im Sinne des Islams. Man sagt ja: Man soll auf die Ewigkeit hin bauen, man soll beten, in Askese leben, nach dem Salafismus oder diesen blöden Wahhabiten. Das ist halt der Punkt, wenn man das schluckt und sagt: Diese Welt hier interessiert mich nicht, die Autos, die Frauen. Man will in Askese leben, dann geht man in so eine Ortschaft. Man denkt, dass man was bewirken kann, eventuell Märtyrer werden."
Bilal Fani war bei brutalen Kämpfen dabei, unter anderem im Februar 2014, als seine Gruppe versuchte, das Zentralgefängnis von Aleppo zu stürmen.
"Ich war in der vordersten Front mit einer AK-47. Auf mich sind Panzer und Kampfjets zugekommen. Jetzt frag dich mal: Was treibt einen jungen Menschen zu so einer Tat? Das schockiert mich. Wie konnte ich da stramm und stillstehen? Wie konnte ich warten, bis die Kugel kommt? Ich habe mich in einen Krieg eingemischt, mit dem ich eigentlich nichts zu tun hatte."

Rückkehr nach Deutschland

Die Zeit in Syrien habe ihn desillusioniert, sagt Bilal Fani heute. Im Frühjahr 2014 flieht er über die Grenze in die Türkei und fliegt nach Prag. Er will mit dem Bus weiter nach Berlin. Aber noch am Flughafen wird er verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert.
Das Oberlandesgericht München verurteilt ihn im Jahr 2015 – unter anderem wegen Beihilfe zum versuchten Mord – zu einer Gefängnisstrafe von elf Jahren. Er war der erste ehemalige Syrien-Kämpfer, der sich in Deutschland wegen Mordes vor Gericht verantworten musste. Nun ist er raus aus dem Gefängnis. Seine Bewährungszeit: fünf Jahre.
Fani kommt von seinem Vorstellungsgespräch zurück. 30 Minuten hat es gedauert. Er wirkt optimistisch: "Der sagt, ich bin ihm sympathisch, und alles war, wenn ich ehrlich bin, eine coole Situation gewesen. Er hat mir auch die Chance gegeben, hier was reißen zu können. Er war jetzt nicht abgeneigt. Trotz meinem Hintergrund und allem."
Eigentlich will Bilal Fani eine Ausbildung im IT-Bereich machen. Falls das aber nicht klappt, hat er jetzt zumindest eine Alternative.

Wiedersehen mit salafistischen Freunden

Rückblick: Anfang des Jahres habe ich ihn im Gefängnis besucht, in Straubing in Niederbayern. Damals erzählte er mir, dass er in München in einem Übergangswohnheim für haftentlassene Männer unterkommen wird. Alle anderen Einrichtungen hätten ihn abgelehnt. Nur liegt das Wohnheim ausgerechnet am Münchner Hauptbahnhof. Es ist genau die Gegend, wo er sich vor Jahren radikalisiert hat.
"Da war eine Moschee, wo ich früher mit den ganzen Jungs abgehangen bin, mit den ganzen salafistisch geprägten Jungs. Dieser Bezirk ist mein Bezirk in dem Sinne. Ich kenne mich da blind aus."
Luftaufnahme des Münchner Bahnhofsviertels im Juni 2017 (Blick von der St.-Pauls-Kirche in die Landwehrstraße), im Hintergrund die  Frauenkirche und weitere (Kirch-)Türme über den Dächern.
In einer Moschee im Münchner Bahnhofsviertel hat sich Bilal Fani radikalisiert. Nach seiner Freilassung ist er dort in einem Männerwohnheim gelandet.© imago images / Heinz Gebhardt
Und deshalb hatte Bilal Fani schon im Gefängnis große Zweifel, ob es gut ist, dass er an den Hauptbahnhof zurückkehrt. Im Herbst ist es soweit. Bilal Fani hat seine Haftstrafe abgesessen und wohnt seit einigen Wochen tatsächlich in dem Wohnheim für haftentlassene Männer im Münchner Bahnhofsviertel.

"Irgendwo muss der Frust raus"

Wenige Tage vor unserem Treffen vor dem Supermarkt hatten wir uns zum ersten Mal nach seiner Haftentlassung im Viertel unweit des Hauptbahnhofes verabredet. Essensgerüche strömen aus den kleinen Restaurants. Die Anzeigetafeln an den Handy- und Internetläden blinken rot, grün, blau und gelb, und Bilal Fani erzählt, dass er seine alten salafistischen Freunde wieder getroffen habe.
"Die haben sich jetzt auch distanziert, so wie es aussieht. Aber trotzdem: Es wundert mich schon, dass man mich dahin steckt, wo ich eigentlich nie hinwollte."
Im Wohnheim hat er es nicht lange ausgehalten. Gut zwei Monate nach seiner Haftentlassung ist Bilal Fani rausgeflogen. Er hatte sich mit dem Pförtner gestritten und eine Corona-Schutzscheibe eingeschlagen. Der Grund: Er habe nach 24 Uhr Besuch mit aufs Zimmer nehmen wollen – ein Regelbruch.
"Ich meine, ich versuche, soziale Bindungen aufzubauen. Und wenn man dann soziale Bindungen aufbauen möchte und dann in so eine Situation kommt, wo dann irgendwo ein Schnösel an der Tür meint, nein, aus dem und dem Grund lass ich dich einfach nicht rein, dann staut sich Frust auf. Es ist keine Aggression, aber es ist Frust. Und irgendwo muss der Frust raus."

Wichtigere Angelegenheiten als Krieg

Bilal Fani hofft auf eine Bleibe fern der alten Weggefährten. Derzeit mache er viel Couchsurfing, erzählt er. Einige Tage später treffen wir uns in einem Fitnessstudio. "Es macht mich happy, nicht depressiv. Ich kann was tun und kann mich auspowern, und das ist wichtig."
Fast jeden Tag trainiert er, mehrere Stunden am Stück. Ein Ritual, das er seit dem Gefängnis beibehalten hat. Mit seinen Erinnerungen kämpft er bis heute.
"Die ganze Einheit, die ich damals kannte, ist tot. Die Deutschsprachigen sind alle tot, soweit ich weiß. Das waren gute Jungs. Natürlich seht ihr das aus einer anderen Perspektive als ich. Ich hab die persönlich und menschlich anders kennengelernt als ihr. Ich hab die gesehen wie mich, nicht als Terroristen."
Bilal Fani ist im Frühjahr 2014 relativ schnell wieder aus dem Krieg zurückgekehrt. Es war eine freiwillige Entscheidung. Dem Führer seiner Einheit sagte er, er müsse wichtige Angelegenheiten erledigen.
Und heute? Den Job im Supermarkt wollte Bilal Fani nicht annehmen. Statt Lebensmittel zu sortieren, will er unbedingt mit einer Ausbildung im IT-Bereich beginnen. Und noch immer sucht er nach einer festen Unterkunft. Bilal Fani glaubt an einen Neuanfang, auch wenn seine Vergangenheit bei der Terrorgruppe immer noch viele Menschen abschreckt. Aber davon lasse er sich nicht beeindrucken, sagt er.
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