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No-Spy-Abkommen
"Es gab da jede Menge falsche Erwartungen"

Deutschlands Hoffnungen auf ein Anti-Spionage-Abkommen mit den USA seien naiv gewesen, sagte der Politologe Andrew Denison von Transatlantic Networks im Deutschlandfunk. Amerika könne es sich nicht leisten, Deutschland eine Sonderrolle zu geben.

Andrew Denison im Gespräch mit Dirk Müller | 15.01.2014
    Dirk Müller: Es zieht weite Kreise quer durch alle Parteien, quer durch alle Fraktionen, spekulieren, vermuten, befürchten, dass das Abkommen mit den USA scheitert, gar nicht zustande kommt, niemals auch ernsthaft in Betracht gezogen worden ist. Das hören unsere Korrespondenten jetzt auf den Fluren im Reichstag. Ein bilaterales Abkommen, das klar und eindeutig regeln sollte, sich nicht länger und weiter auszuspionieren, das steht jetzt alles infrage. Und was soll dann das Treffen von Angela Merkel und Barack Obama in Washington, das für Ende Februar geplant ist? Die Thesen, die Befürchtungen, die liegen nun offen auf dem Tisch, wonach zahlreiche Senatoren und Abgeordnete in den USA eben nicht im Traum daran denken, jemals einem Vertrag zuzustimmen, das die Spielräume der Geheimdienste einengen wird, Freund hin oder her.
    Washington sagt mit großer Wahrscheinlichkeit nein zum No-Spy-Abkommen. Aber Berlin war doch ganz fest davon überzeugt, dass ein solches zustande kommen wird. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem amerikanischen Politikwissenschaftler Andrew Denison von Transatlantic Networks. Guten Tag!
    Andrew Denison: Herr Müller, schönen guten Tag.
    Müller: Herr Denison, wie naiv sind die Deutschen?
    Denison: Es tut mir leid. Ich glaube, es gab da jede Menge falsche Erwartungen, Deutschland könnte, oder die, die ein No-Spy-Abkommen wollten, könnten nicht erklären, warum das wirklich ein großes Interesse von Amerika wäre. Ich habe immer gesagt, es ist unwahrscheinlich, dass Amerikaner über Quellen oder Methoden reden. Sie werden alles leugnen. Und ich glaube, es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass Amerikaner bereit sind, Deutschland eine Sonderrolle hier zu geben, denn jeder auf diesem Planeten will eine Sonderrolle mit Amerika haben und Amerika kann sich das nicht leisten. Wenn Amerika jetzt den guten Alliierten und Freunden mehr Rechte gibt, dann auf einer breiteren Basis, denn obwohl Deutschland sehr wichtig ist für Amerika, wir wissen alle: es gibt starke unterschiedliche Meinungen auch über den Nahen Osten und weiter in der Welt. Also die Erwartungen waren falsch. Naiv - ich weiß nicht. Auch wenn man jetzt mit leeren Händen dasteht, wahrscheinlich schon.
    "No Spy war in keinen US-Zeitungen"
    Müller: Also können wir uns das so merken, dass Berlin viel, viel unbedeutender ist, als Berlin glaubt?
    Denison: Schade! Ich meine, Deutschland ist ja größte Macht in Europa und auch weltweit tätig. Aber ich habe heute gegoogelt nach No Spy. No Spy war in keinen US-Zeitungen, weder der "New York Times", noch der "Washington Post". Nur die "Los Angeles Times", die hatte ein No-Spy-Abkommen, dass keiner verraten soll, wer die Golden Globes bekommt. Aber die Amerikaner sind sehr daran interessiert, was die NSA mit ihren eigenen Daten macht, aber nur zweitrangig ist die Frage, ob wir irgendwelche Alliierten brüskiert haben. Obama, denke ich, wird am Freitag schon sagen, dass die Alliierten mehr Rechte verdienen als bisher.
    Müller: Sie haben jetzt mit "schade" geantwortet. Das heißt, die Antwort auf die Frage, sind wir kleiner als wir glauben, ist ganz klar ja?
    Denison: Nicht alle sind so. Ich meine, Politik hat ja seine eigenen Zwänge. Es gibt jede Menge sehr pragmatische Stimmen hier in diesem Land, die erkennen, Europa und Amerika sind Hochburg der Rechtsstaatlichkeit, und wenn irgendjemand jetzt Sicherheit und Freiheit der Daten in dieser verrückten, auf uns zukommenden Internet-Welt organisieren kann, dann sind es Deutschland und Amerika. Aber erst mal müssen wir vielleicht ein bisschen Dampf ablassen.
    "Bald werden vielleicht auch Deutsche einen Teil der amerikanischen Verfassungsrechte genießen können"
    Müller: Jetzt sagen Sie, Andrew Denison, es gibt da keine Privilegien, die kann man nicht erwarten. Jetzt haben wir in den vergangenen Tagen noch einmal neu über diese Fünfergruppe gehört, die "Five Eyes", die fünf Augen, Großbritannien, Australien, Neuseeland, Kanada, USA. Zwischen diesen fünf soll es ja anders sein. Da soll es Transparenz geben, aber vor allen Dingen dahingehend, dass man sich zurückhält, und das sind alles Freunde und Freunde spionieren untereinander nicht. So heißt es ja oft, stimmt meistens nicht. Aber trifft das auf diese fünf zu?
    Denison: Ja auch unter diesen fünf wird spioniert und manchmal ganz hart vorgegangen. Ich denke an ‘56 und wie Amerika gegen England in der Sues-Krise vorgegangen ist. Aber ja: die waren mal Alliierte und das sind alte Strukturen und Gewohnheiten, genau wie vielleicht die P5, die Vetomächte und der UNO-Sicherheitsrat. Deutschland ist da in einer anderen Position, aber diese Mitgliedschaft jetzt in eine P6 oder so was, so wird es nicht geregelt. Allerdings ich würde mir schon Hoffnung machen, dass Amerikaner erkennen, ihre Macht und Einfluss in der Welt von morgen ist davon abhängig, dass wir eine gewisse Zustimmung und Mitbeteiligung haben in unseren Umgang mit den Daten, und die Berater von Obama und auch Senatorin Dianne Feinstein im Senatsausschuss für Spionage sagen, hey, wir dürfen nicht mit unseren Alliierten so umgehen. Also bald werden vielleicht auch Deutsche einen Teil der amerikanischen Verfassungsrechte, auch in diesem Zusatzartikel IV, genießen können. Wir werden natürlich dann stärker, wir Atlantiker, aber es wird eine Weile dauern.
    Müller: Das heißt, Andrew Denison, wenn Sie als Amerikaner die deutschen Medien verfolgen, hören und sehen, und dann redet einer von der deutsch-amerikanischen Freundschaft, dann müssen Sie immer ein bisschen schmunzeln?
    Denison: Es gibt Millionen Freundschaften über den Atlantik, mehr als je zuvor. Ich denke an meine eigenen Kinder. Die Länder wachsen ineinander, nicht auseinander. Es ist auch so, trotz eines getrübten Bildes, dass man weiter Vertrauen haben soll in ein Amerika, was ein politisches System hat, was sich selbst richten kann, was ein Volk und eine Wirtschaft hat, das ein starkes Interesse an der Globalisierung hat. Das haben wir in den neuesten Umfragen gesehen, das sehen wir auch mit den Tech-Firmen, die sagen, hey, NSA, ihr macht uns die Geschäfte kaputt. Und letztendlich ist es ein Land, was ein vitales Interesse an einem starken, souveränen Deutschland, an einem starken, souveränen Europa haben wird. Das ist immer noch fundamental.
    Dr. Andrew B. Denison, Politikberater und Leiter des Transatlantic Network
    Denison: Mit der Kündigung des SWIFT-Abkommens schneidet sich Deutschland ins eigene Fleisch. (picture alliance / dpa /Karlheinz Schindler)
    Müller: Jetzt sagen Sie, wir sollen weiterhin vertrauen. Jetzt wird die Kanzlerin am Telefon abgehört. Vielleicht passiert das jetzt nicht mehr. Viele finden das auch gar nicht so schlimm, finden das viel schlimmer, dass Millionen von Daten normaler Bürger abgegriffen werden. Viele von diesen fühlen sich von Amerika verraten und verkauft. Was kann man denn jetzt machen?
    Denison: Es ist schwer. Ich meine, ich verstehe. Die Unschuldsvermutung, die wird verletzt, indem Amerika alles abhört. Auf der anderen Seite: Technisch ist es viel einfacher, alles erst mal zu speichern, nicht jetzt reinzuschauen und zu lesen oder durch irgendwelche Algorithmen zu jagen. Aber Datenvorratsspeicherung haben wir ja auch. Nur der meiste Internet-Verkehr geht durch Amerika. Und ja, Freunde sollen das nicht miteinander machen. Und jetzt, wo Snowden uns das alles erzählt hat, ist es nicht mehr Spionage. Wir wissen es jetzt alle.
    Ich sage eins: Wenn die deutsche Wirtschaft jetzt mehr in Cyber-Sicherheit investiert, weil sie Angst vor NSA hat, ist das gut so, denn es gibt jede Menge andere Gangster und Ganoven da draußen, die durch Cyber-Spionage was kaputt machen. Wenn die NSA wirklich Wirtschaftsspionage machen wollte, sähe es ganz anders aus.
    Müller: Jetzt sagen Sie schon NSA und wir sagen immer NSA, um authentisch zu sein.
    Denison: "No Spy", das Wort gibt es in Amerika nicht und auch diese Diskussion nicht. Das finde ich auch lustig. Ich denke an "Spy vs. Spy" aus der MAD-Zeitschrift.
    Müller: Das sind unsere Angebote, um Vertrauen zu werben. Jetzt mache ich mich in der Rolle eines vermeintlichen Regierungssprechers mal ganz stark für die Regierungspolitik, und zwar für ein entschiedenes Vorgehen Berlins gegenüber Washington. Wir drohen nämlich jetzt damit und jetzt Ihnen in unserem Gespräch, wir kündigen das SWIFT-Abkommen - da geht es um Kontodaten -, wir kündigen das Abkommen um Fluggastdaten, die ja auch ausgetauscht werden, und wir kündigen das Abkommen über Wirtschaftsdaten. Nichts kommt mehr aus Europa in die USA. Was machen Sie dann?
    Denison: Ja. Der Herr Mißfelder, der neue Mann für transatlantische Partnerschaft, der hat ja einiges gesagt, muss man schon sagen: SWIFT-Abkommen streichen, auch die Sachen mit Flugverkehrdaten. Er hat nicht von der transatlantischen Investitions- und Handelspartnerschaft gesprochen. Ich kann verstehen, da braucht man Vertrauen, und Datensicherheit ist wichtig. Ich habe auch schon gesagt, für amerikanische Firmen ganz besonders, nicht nur für Europäer.
    "Wenn Europa sich einigen könnte auf eine Datenschutzordnung, dann hätte es mehr Einfluss in Washington"
    Müller: Jetzt lege ich noch einen drauf!
    Denison: Auf der anderen Seite: Wenn man diese Sachen kündigt, schneidet man sich selbst mehr im eigenen Fleisch als den Amerikanern. Daher denke ich, man muss einen anderen Weg gehen, als nur diese Bedrohung draufzuhängen. Ein letztes Wort vielleicht: Wenn Europa sich einigen könnte auf eine Datenschutzordnung, dann hätten sie auch mehr Einfluss in Washington, als wenn jeder Europäer eine andere Meinung dazu hat.
    Müller: Jetzt habe ich noch was in Petto in puncto Drohkulisse. Freihandelsabkommen lassen wir scheitern, die Europäer, haben Sie eben schon kurz angesprochen, und jetzt kommt das allerschlimmste: Wir laden Edward Snowden ein und geben ihm Asyl.
    Denison: Ein Verdienstkreuz und den Friedensnobelpreis auch noch dazu. Ich meine, ich weiß nicht. Ich würde das nicht machen, außer dass man vielleicht da wirklich die Verhältnisse klärt, wer von wem abhängig ist, und wirklich ernsthaft die Geschäftsgrundlage dieser atlantischen Partnerschaft anschaut. Aber ich denke, die Deutschen werden nicht vergessen: Amerika hat ein Interesse an einem starken Deutschland in einem sicheren Umfeld, und die Welt ist sehr gefährlich. Und was auf uns zukommt, wir wissen nicht genau. Aber ich würde als Deutscher gerne die amerikanische Freundschaft pflegen, denn ohne Amerika ist die Welt viel gefährlicher.
    Müller: Also sollten wir klein und kleinlaut bleiben?
    Denison: Nein! Aber man muss auch bereit sein zu sehen: Es gibt eine Beziehung zwischen dem, was man gemeinsam auf den Tisch legt als Beitrag zu globaler Ordnung und Frieden, und wie viel Einfluss man hat über Strategie und Taktik.
    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der amerikanische Politikwissenschaftler Andrew Denison von Transatlantic Networks. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Denison: Es war mir ein Vergnügen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.