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No-Spy-Abkommen
Graf Lambsdorff fordert Generalbundesanwalt zum Handeln auf

Es sei immer klar gewesen, dass ein No-Spy-Abkommen mit den Amerikanern niemals ein rechtlich bindendes Abkommen sein würde, betont der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff im DLF. Jetzt weigerten sich die USA aber sogar, "unterhalb dieser Schwelle irgendetwas schriftlich zu fixieren". Gegen die US-Spionage müsse nun der Generalbundesanwalt tätig werden.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Peter Kapern | 15.01.2014
    Alexander Graf Lambsdorff auf einem FDP-Parteitag
    Alexander Graf Lambsdorff (dpa/picture alliance/Uli Deck)
    Peter Kapern: Der Bundestag diskutiert heute einmal mehr über die NSA-Affäre. Im Mittelpunkt dürfte dabei die Weigerung der USA stehen, mit Deutschland ein No-Spy-Abkommen abzuschließen. Washington will einfach nicht auf Spionage gegen Deutschland verzichten. Alexander Graf Lambsdorff, Chef der FDP-Abgeordneten im Europaparlament: Was bleibt der Bundesregierung da anderes übrig, als frustriert mit den Schultern zu zucken?
    Alexander Graf Lambsdorff: Nun, es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die man tun kann und die jetzt auch richtig sind. Ich war sehr erstaunt, dass die Kollegen Uhl aus dem Deutschen Bundestag und Brok hier aus dem Europäischen Parlament jetzt auch endlich zu der Erkenntnis gelangt sind, dass wir hier ein richtiges Problem haben mit Washington. Wir haben im Europäischen Parlament mit den Stimmen der Liberalen und anderer Fraktionen die Aussetzung des SWIFT-Abkommens ja schon vor Monaten verlangt, als klar war, dass die Amerikaner mit unseren Daten nicht fair, nicht rechtlich sauber umgehen. Da hat Herr Brok noch dagegen gestimmt. Also ich glaube, wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo man wirklich ganz konkret sagen muss: Wie sieht die Lage bei den Abkommen zwischen Amerika und der Europäischen Union aus, was kann man aussetzen, wo muss man neu ansetzen? Das SWIFT-Abkommen ist eine Sache, da geht es um den Austausch von Kontodaten. Das Safe-Harbor-Abkommen ist etwas anderes, da geht es um Daten, die im Wirtschaftsverkehr erhoben werden. Und dann darf man nicht vergessen: Wir haben auch noch ein Abkommen über Fluggastdaten. Vor jedem Flug über den Atlantik müssen riesige Datensätze ausgetauscht werden. All das muss jetzt auf den Prüfstand, denn in der Tat ist das, was die Amerikaner jetzt gerade tun, nicht akzeptabel.
    Kapern: Wie wahrscheinlich, Graf Lambsdorff, ist es, dass diese Vorschläge, die Sie da gerade aufgezählt haben, im Europaparlament eine Mehrheit finden, und wie wahrscheinlich ist es, dass die nationalen Regierungen dann auch noch mitziehen?
    Graf Lambsdorff: Die Aussetzung des SWIFT-Abkommens, die die Liberalen hier gefordert haben, das hat eine Mehrheit gefunden, mit Sozialdemokraten und Grünen zusammen. Da hat die Union damals dagegen gestimmt. Das hat uns sehr geärgert, denn es war damals schon absehbar, dass das eine Sache ist, die nicht weitergehen kann, als ob nichts geschehen wäre. Und ich glaube, dass bei den anderen Abkommen, Safe Harbor und Passenger Name Records, die Fluggastdaten-Speicherungen, jetzt erneut eine Diskussion losgehen wird, und ich bin ganz sicher, dass all das auf den Prüfstand kommen wird.
    Kapern: Glauben Sie, dass das die USA trifft und möglicherweise zum Einlenken bewegt?
    Graf Lambsdorff: Nun, man muss ein bisschen unterscheiden zwischen dem, was hier als Einlenken bezeichnet wird, und dem, was treffen genannt wird. Natürlich würde die Aussetzung des SWIFT-Abkommens die Amerikaner treffen. Das ist ganz klar. Hier geht es um den Zugriff von Kontodaten. Das Abkommen heißt TFTP offiziell, also ein Abkommen zum Aufspüren terroristischer Finanzströme. Wir wissen aber, dass die Amerikaner dieses Abkommen auch für andere Ermittlungen benutzen, also mit anderen Worten rechtswidrig ausnutzen. Klar würde sie das in bestimmter Form treffen.
    Einlenken ist etwas anderes. Es war immer klar, Herr Kapern, und das ist auch für die Hörerinnen und Hörer wichtig, glaube ich, dass ein No-Spy-Abkommen mit den Amerikanern niemals ein rechtlich bindendes Abkommen sein würde. Ein solches hätte durch den Senat gemusst, und es war immer klar, dass der Senat einem solchen Abkommen nicht zustimmen würde. Hier wird auch zum Teil Illusionstheater gespielt. Was Frau Merkel hier versprochen hat, was auch Herr Steinmeier hier versprochen hat, man könne einen völkerrechtlich bindenden Vertrag über den Verzicht auf gegenseitige Spionage erreichen, das war nie der Fall. Was jetzt geschehen ist, ist, dass die Amerikaner sich weigern, unterhalb dieser Schwelle irgendetwas schriftlich zu fixieren, und das hat wirklich eine neue Qualität.
    Kapern: Aus der welche Konsequenzen gezogen werden müssen? Thomas Oppermann, der Fraktionschef der SPD, hat gesagt, wenn es ein solches Abkommen nicht gibt, dann ändert sich das deutsch-amerikanische Verhältnis. Inwiefern?
    Graf Lambsdorff: Nun, ich glaube, das ist ganz klar. Die deutschen Nachrichtendienste haben in ihrer Spionageabwehr sich bisher selbstverständlich darauf konzentriert, Wirtschaftsspionage von allen Seiten, aber nicht von den Amerikanern, abzuwehren. Und politische Spionage in erster Linie von Ländern wie Russland und China. Ich glaube, es ist absolut notwendig, dass wir unsere Spionageabwehr, unsere Gegenaufklärung jetzt tatsächlich wirklich rundum gestalten in Deutschland. Das heißt, dass man sehr bewusst auch darauf achten muss, was geschieht an Aufklärungsaktivitäten von befreundeten Ländern. Da muss man wirklich die technischen Möglichkeiten der Dienste erweitern, man muss sie finanziell besser ausstatten. Das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik muss besser finanziert werden. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, wo wir uns nachrichtendienstlich selbst ertüchtigen können, um dafür zu sorgen, dass Schaden von Deutschland abgewendet wird, um dafür zu sorgen, dass wir nicht ausgespäht werden können.
    "Völkergewohnheitsrechtlich ist Spionage nicht illegal"
    Kapern: Nun bin ich kein Jurist, Graf Lambsdorff. Aber wenn ich nicht völlig falsch liege, dann ist Spionage in Deutschland strafbar. Kann, muss Deutschland den Staatsanwalt in die US-Botschaft schicken?
    Graf Lambsdorff: Nun, Herr Kapern, da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das will ich deutlich sagen. Völkergewohnheitsrechtlich ist Spionage nicht illegal. Spionage ist etwas, das zwischen souveränen Staaten seit 2000 oder 3000 Jahren stattfindet. Man hat sich daran gewöhnt, es ist rechtlich von daher nicht ungewöhnlich und es ist auch nicht unzulässig, dass man sich gegenseitig ausspäht. Was allerdings etwas anderes ist – und das ist Ihr Punkt, da haben Sie auch völlig recht -, wenn auf deutschem Boden gegen deutsche Institutionen spioniert wird. Dann ist das nicht in Ordnung, das ist rechtswidrig nach deutschem Recht, und dann in der Tat kann auch die Justiz, kann auch der Generalbundesanwalt tätig werden. Ich frage mich sowieso, warum von dort, warum aus Karlsruhe so wenig zu hören ist.
    Kapern: Haben Sie eine Erklärung?
    Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass hier politische Rücksichtnahme stattgefunden hat, solange die Gespräche einigermaßen aussichtsreich zu sein schienen. Die Kanzlerin erklärt ja, die Gespräche gingen weiter. Aber wenn da irgendwelche windelweichen Erklärungen nur bei herauskommen, dann ist das sicher nicht ausreichend, wenn es darum geht, die deutsche Rechtsordnung zu schützen. Ich glaube, wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, wo auch Karlsruhe tätig werden muss.
    Kapern: Noch mal nachgefragt: Politische Rücksichtnahme oder politische Einflussnahme?
    Graf Lambsdorff: Das, glaube ich, ist Rücksichtnahme in Karlsruhe. Da will ich aber nicht spekulieren. Ich weiß nicht, ob es eine Einflussnahme auf die Generalbundesanwaltschaft gegeben hat, oder ob man dort von sich aus zurückhaltend ist. Ich glaube nur, der Punkt ist erreicht, an dem sich das ändern muss.
    Kapern: Ganz interessant, Graf Lambsdorff, ist ja auch, was in Washington als Grund für die Ablehnung eines solchen No-Spy-Abkommens mit Deutschland genannt wird, nämlich dass dann – lassen Sie mich das mal ganz salopp formulieren – jedes dahergelaufenen NATO-Mitglied oder EU-Mitglied ebenso ein Abkommen verlangen könnte. Das erstaunt doch ein bisschen. Welches Bündnis- und Partnerschaftsverständnis herrscht da in Washington?
    Graf Lambsdorff: Nun, das ist ein Punkt, der immer klar war, dass die Amerikaner nicht ein rechtlich bindendes Abkommen unterschreiben würden, weil sie genau diese Befürchtung hatten. Deswegen war im Senat von vornherein klar, es würde keine Zustimmung geben, wenn andere Länder kommen. Wir dürfen nicht vergessen: Die NATO hat sich ja massiv erweitert. Wir haben einige NATO-Alliierte dabei, die zumindest in der Vergangenheit nachrichtendienstlich durchaus auch gegen die Amerikaner gearbeitet haben.
    Kapern: Aber, Graf Lambsdorff, bei jeder Erweiterungsfeier sind Reden gehalten worden über die Wertegemeinschaft, die da beschworen wurde, die transatlantische Wertegemeinschaft. Nichts anderes als Sonntagsreden?
    Graf Lambsdorff: Was die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten angeht, glaube ich, haben diese Reden keine großen Auswirkungen gehabt. Das will ich ganz deutlich sagen. Innerhalb der NATO hätte es eigentlich diese gegenseitige Arbeit nicht geben dürfen. Das war auch in der Vergangenheit, glaube ich, der Fall. Es hat sich mit den NATO-Erweiterungen, die ja Teil einer größeren globalen Veränderung waren, durchaus einiges auch im Bündnis geändert. Es ist nicht mehr das Bündnis gegen die Sowjetunion, gegen den Warschauer Pakt, mit einem sehr, sehr engen Zusammenhalt. Es ist ein Verteidigungsbündnis, es ist auch in gewisser Weise eine Wertegemeinschaft. Aber wir sehen, dass auch innerhalb einer Wertegemeinschaft Spionage vorkommt. Ich will hier auch an die britischen Aktivitäten erinnern. Was die Amerikaner tun, ist das eine. Mich ärgern sehr viel mehr noch die britischen Aktivitäten, die ja gegen europäisches Recht in der Europäischen Union verstoßen. Da in der Tat, Herr Kapern, wenn Sie von einer Wertegemeinschaft und einer engen Zusammenarbeit, von einer vertraglich zugesicherten loyalen Zusammenarbeit reden, liegen in meinen Augen massivere Verletzungen vor, als das innerhalb der NATO der Fall ist.
    "Alleine kann man sich gegen Washington nicht durchsetzen"
    Kapern: Bleiben wir noch ganz kurz bei dem transatlantischen Verhältnis: Wie kommt das eigentlich bei den EU-Partnern an, dass die Bundesregierung sozusagen versucht, auf eigene Rechnung für sich herauszuschlagen in dieser Sache, was herauszuschlagen ist, statt gemeinsam mit den EU-Partnern vorzugehen?
    Graf Lambsdorff: Herr Kapern, da stellen Sie eine wichtige Frage. Es zeigt sich doch ganz deutlich, dass Deutschland, so wichtig und groß wir uns auch selber finden mögen, im internationalen Konzert der Mächte nicht das Gewicht hat, um alleine gegen Washington Interessen durchzusetzen. Das gilt für die anderen großen Machtzentren ja ganz genauso. Deutschland alleine könnte auch gegen China keine Interessen durchsetzen, oder gegen Indien, oder Russland, sondern diese Dinge funktionieren dann, wenn die Europäer sich einig sind, wenn man das gesamte Gewicht der Europäischen Union in die Wagschale bringt. Insofern: Man hört wenig aus den anderen Hauptstädten hier zu den deutschen Versuchen, aber die Reaktionen sind ja klar. Jeder weiß, dass man alleine sich gegen Washington nicht durchsetzen kann. Entweder wir machen es europäisch, oder wir müssen damit leben, dass am Ende da sehr wenig bei herauskommen wird.
    Kapern: Aber warum, wenn die Lage so eindeutig ist, hört man so wenig aus den anderen europäischen Hauptstädten, aus Den Haag beispielsweise, aus Stockholm, oder aus Rom?
    Graf Lambsdorff: Nun, aus diesen Städten ist durchaus etwas zu hören. Sie haben Rom erwähnt, die haben eine ähnliche Situation mit den Amerikanern, die sind auch ausspioniert worden. Auch die Italiener machen den Versuch, hier bilateral mit den Amerikanern zu reden. Hier ist allerdings die Situation so, oder insgesamt ist die Situation so, dass nachrichtendienstliche Tätigkeiten nach wie vor Kernbestandteil nationaler Souveränität sind und als solche angesehen werden und dass deswegen es wenig Anreiz gibt, das Ganze europäisch gemeinsam zu machen. Die Erfolglosigkeit dieses je einzelnen nationalen Vorgehens liegt auf der Hand. In Deutschland ist es gerade ganz klar geworden. Frau Merkel wird nach Washington reisen, ich vermute, sie wird mit leeren Händen zurückkommen, oder aber mit einer inhaltsleeren Erklärung. Genauso wird es den Italienern gehen. Entweder die Europäer machen das gemeinsam, oder das wird absehbar im Sande verlaufen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.