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Nördlicher Polarkreis
Klimawandel mobilisiert Schadstoffe

Polarforschung. - In der Arktis steigen die Temperaturen dramatisch, auch die Schadstoffbelastung könnte wachsen. Um genauer abschätzen zu können, wie der Klimawandel die Schadstoffbelastung in der Arktis verändern wird, wurde vor fünf Jahren das Forschungsprojekt "ArcRisk" ins Leben gerufen. Nun stellen ein paar Forscher ihre Ergebnisse auf der Konferenz "Arctic Frontiers" im norwegischen Tromsö vor.

Von Christine Westerhaus | 23.01.2014
    Als das Pestizid DDT 1945 entwickelt wurde, schien die Menschheit das Problem mit Schädlingen in den Griff bekommen zu haben. Doch schon bald war klar, dass dieses Gift nicht nur Insekten dahinrafft, sondern auch für den Menschen und viele andere Säugetiere höchst gefährlich ist. DDT gehört zu den so genannten POPs, also zu den langlebigen, nur schwer abbaubaren organischen Verbindungen. Über Niederschläge gelangten diese Schadstoffe auch in die Arktis und wurden dort in den 70er-Jahren verstärkt in Walen, Seevögeln und Fischen nachgewiesen. Auch in der Muttermilch der Inuit wiesen Forscher erschreckend hohe Schadstoffbelastungen nach. Die Menschen hatten die Gifte über ihre Nahrung aufgenommen.
    "Die Menschen in der Arktis reagieren auf Schadstoffbelastungen besonders empfindlich, weil sie sich vor allem von fettreichen Säugetieren ernähren. Diese Tiere reichern Schadstoffe in sehr hohen Konzentrationen an. Vor allem organische Schadstoffe und Quecksilber."
    Ian Cousins von der Universität Stockholm ist einer der Forscher, die in den vergangenen Jahren untersucht haben, wie sich die Konzentration bestimmter Schadstoffe in der Arktis unter dem Einfluss des Klimawandels verändern wird. Dazu entwickelte der Umweltforscher Modelle, in denen er berechnete, wie sich steigende Temperaturen, vermehrte Niederschläge oder der Rückzug des Meereises auf die Verteilung der Gifte auswirken könnte.
    "Wir haben beobachtet, dass die Temperatur den größten Einfluss auf die Verteilung von Chemikalien haben wird. Wenn es wärmer wird, werden Schadstoffe vermehrt aus dem Wasser, aus dem Boden oder aus Sedimenten herausgelöst und gelangen in die Atmosphäre. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Konzentration der schädlichen Chemikalien in der Luft ansteigen wird. Voraussichtlich wird sie sich verdoppeln, in extremen Fällen sogar dreimal so hoch sein wie jetzt."
    Was das für arktische Ökosysteme bedeuten wird, ist bisher jedoch unklar. Über den Wind könnten die frei werdenden Schadstoffe in andere Regionen abdriften, lokale Niederschläge könnten aber auch dazu führen, dass sie sich im Trinkwasser und damit in der Nahrungskette anreichern. Doch um solche Szenarien vorhersagen zu können, fehlt es den Forschern noch an verlässlichen Daten.
    "Es gibt ein paar gravierende Wissenslücken: Wir verstehen zum Beispiel nicht, wie sich der Kohlenstoffkreislauf durch den Klimawandel verändern wird, ob Stürme öfter auftreten werden oder wie die Eisbedeckung aussehen wird. Was wir auch überhaupt nicht voraussagen können: Wie sich Schadstoffe in der Nahrungskette anreichern werden, wenn sich das Klima ändert. Stirbt zum Beispiel der Eisbär aus, wird das enorme Konsequenzen für das ganze Ökosystem haben."
    Das ArcRisk Projekt hat aber auch positive Trends aufgedeckt. 2001 haben sich mehr als 100 Staaten darauf geeinigt, einige der langlebigen organischen Schadstoffe nur noch sehr begrenzt oder gar nicht mehr herzustellen. Diese so genannte Stockholmer Konvention hat offenbar auch in der Arktis Wirkung gezeigt.
    "Die Konzentration der meisten Chemikalien um die wir uns Sorgen gemacht haben und die größtenteils in der Stockholmer Konvention aufgelistet sind, nehmen offenbar ab. Das sind gute Nachrichten und wir denken nicht, dass die Konzentration dieser Schadstoffe durch den Klimawandel wieder zunehmen wird. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass es viele neue gefährliche Chemikalien auf dem Markt gibt und wir kaum hinterher kommen, sie als gefährlich einzustufen. Ich bin mir sicher, dass die Konzentration dieser Stoffe auch in der Arktis ansteigen wird."
    Ian Cousin rät deshalb zu Wachsamkeit. Die Schadstoffbelastung in der Arktis sollte auch in Zukunft genau überwacht werden. Nur so könne man die hier lebenden Menschen rechtzeitig vor dem Verzehr kontaminierter Meerestiere warnen.