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Noirmoutier vor der Küste der Vendée
Die salzige Insel im Atlantik

Auf Nouirmoutier, einer kleinen Insel im Atlantik mit Salzsümpfen und zahlreichen seltenen Pflanzenarten, wurde über Jahrhunderte feinstes Salz produziert. In den Achtzigerjahren drohte Die Zunft der Salzbauern auszusterben – doch dann kam eine Pariserin auf die Insel.

Von Franz-Michael Rohm | 21.06.2015
    Ein Salzherstellerin gewinnt am 09.08.2009 bei L'Epine auf der Insel Noirmoutier die Salzblüte, ein hochwertiges Meersalz, aus einem Salinebecken. Um das Salz zu gewinnen wird Meerwasser in mehrere hintereinander liegende Becken geleitet. Wind und Sonne lassen das Meerwasser verdampfen. Die Salzkonzentration steigt von 30 Gramm pro Liter im ersten Becken auf 300 Gramm pro Liter im letzen Becken. Die Salzblüte, eine feine Salzkristall-Kruste auf der Wasseroberfläche, ensteht je nach Wetterbedingungen und ist dann nur in einem kurzen Zeitraum zu gewinnen
    Eine Salzbäuerin schöpft auf der Insel Noirmoutier die Salzblüte, ein hochwertiges Meersalz, aus einem Salinebecken. (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Ein wenig erinnert die Form der kleinen Insel Noirmoutier vor der Küste der westfranzösischen Region Vendée an eine Pfanne. Vom Festland, das die Bewohner Le Continent nennen, streckt sich ein langer, schmaler Streifen in den Atlantik. Die Landzunge weitet sich im Norden der Insel zu einer größeren, teilweise höher gelegenen Fläche. Hier befindet sich der Hauptort, Noirmoutier en L'Île, in dem über die Hälfte der Insel-Bewohner leben.
    "Der Name Noirmoutier hat seinen Ursprung in dem Schwarzen Kloster. Es wurde von einem Dominikanermönch gegründet der Heilige Philibert. Deshalb stammt der Name unserer Insel vom schwarzen Kloster, und zwar aus der Zeit des 7. Jahrhunderts."
    Filibert Dupont, von seinen Eltern auf den Namen des Inselheiligen getauft, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der abwechslungsreichen Geschichte seiner Heimatinsel. Auf der leben knapp zehntausend Menschen. Zur Feriensaison kommen noch einmal rund dreimal so viele Touristen hinzu. Denn die Insel mit ihren kilometerlangen Stränden zum Atlantik und einer boddenähnlichen Bucht ist ein beliebtes Urlaubsziel, hauptsächlich für Franzosen.
    Dabei gehört das nur knapp fünfzig Quadratkilometer große Eiland erst seit Zeiten Ludwigs des XV. zu Frankreich. Vorher wechselten die Besitzers Noirmoutiers immer wieder nach Überfällen und Eroberungen: Im siebten und neunten Jahrhundert von Sarazenen und Wikingern, später Piraten, Briten, Spanier und Holländer. Erst 1767 erwarb Ludwig der XV. die karge Insel, auf der es nur Fischfang, Salinen und Landwirtschaft gab.
    Eine geografische Besonderheit von Noirmoutier ist, dass sich die Insel bei Ebbe in eine Halbinsel verwandelt: dann verbindet die Passage du Gois das Festland mit Noirmoutier. Bis 1971 war der Gois, wie die Inselbewohner zu der Furt sagen, die einzige Straßenverbindung zwischen Noirmoutier und dem Festland. Allerdings nur für zwei bis vier Stunden am Tag. Sonst musste man das Schiff nehmen.
    "Diese Straße ist genau 4,150 Kilometer lang. ....Eine Verbindung zwischen dem Kontinent und der Insel existierte seit der Wikingerzeit, eine Art befestigter Sandweg, der von der Flug immer wieder weggespült wurde. Eine erste angelegte Straße wird 1766 erwähnt. Aber erst hundert Jahre später wurde diese Verbindung weiter befestigt. Es war sehr gefährlich, wenn man nicht die Zeiten von Ebbe und Flut genau kannte. In den Archiven liest man immer wieder von Unglücken. Weiter befestigt wurde der Gois dann mit den ersten Automobilen. Anfangs gelangten die mit einem pferdegezogenen Karren auf die Insel. Sehr akrobatisch. Die mit dicken Pflastersteinen und Asphalt befestigte Straße, die heute noch existiert, wurde von meinen Großvater geplant und zwischen 1935 und 1939 fertiggestellt."
    Mehr als tausend Jahre alte Salzgärten
    Je nach Windgeschwindigkeit und Mondphase ist die Passage kürzer oder länger befahrbar, zwischen einer und maximal vier Stunden am Tag. Die Zeiten für mögliche Überfahrt werden an Tafeln auf der Insel und am Festland mitgeteilt - und im Internet. Für viele Touristen ist schwer vorstellbar, wie schnell die Flut kommt.
    "Wenn die Flut niedrig ist, liegt die Straße einen Meter unter dem Meer. Bei hoher Flut sind es vier Meter. Das Ganze geschieht mit einer enormen Geschwindigkeit. Bei Flut steigt das Wasser vier Zentimeter in der Minute, über einen Meter in einer halben Stunde. Also, da muss man schon aufpassen."
    Seit 1971 gibt es eine Brücke, über die der Verkehr ohne Einschränkung fahren kann. Aber trotzdem fahren bei Ebbe viele über die Passage du Gois. Sie suchen den Nervenkitzel und einen besonderen Fahrspaß. Und dann gibt es Menschen, die vor dem Gois parken und in Gummistiefeln weitergehen. Sie suchen im Schlick nach Essbarem.
    "Ich sammele Palourdes. Das sind Venusmuscheln, die man hier im Schlick findet. Man darf sie nur mit dieser kleinen dreizinkigen Harke suchen. Wir essen sie mit einer Petersiliensoße und sie schmecken wunderbar."
    "Man muss wissen, wie man sie findet. Es gibt diese kleinen Luftlöcher im Schlick. Darunter sind sie. Zwei, drei Zentimeter tief. Dieses kleine Eimerchen ist das Resultat von zwei Stunden Suchen, zu zweit. Wir essen sie roh."
    Der Heilige Philibert und seine Mönche brachten den Inselbewohnern nicht nur den christlichen Glauben. Er brachte ihnen auch ein Handwerk bei, dass sie viele Jahrhunderte ernähren sollte: die Salzgewinnung in den Sümpfen im Nordwesten Noirmoutiers.
    Die Salzgärten der kleinen Gemeinde Le Veil westlich der Hauptstadt gibt es seit mehr als tausend Jahren. In der unter dem Meeresspiegel liegenden Sumpflandschaft legten die Dominikanermönche rechteckige Becken an, deren Boden sie mit Ton versiegelten. Über ein ausgeklügeltes Kanalsystem wird das Meerwasser ab Anfang Mai in die Becken geleitet. Je nach Witterung verdunstet das Wasser in einem Zeitraum zwischen fünf und zehn Tagen. Dann wird das grobe Meersalz mit einem Holzrechen vom Lehmboden geschabt.
    Am begehrtesten ist jedoch die Salzblume, die sich als hauchdünne Kruste auf dem salzhaltigen Wasser bildet und als Fleu de Sel von Feinschmeckern in aller Welt geschätzt wird. Vor 35 Jahren stand die Profession der Salzbauern vor dem Aus. Dann kam Isabelle Gallois auf die Insel, eine junge Frau aus Paris.
    Eine Frau aus Paris "rettet" die Salzbauern-Zunft
    "Es war ein Beruf, der dabei war zu verschwinden. Als ich Anfang der Achtzigerjahre hierher kam, gab es auf der ganzen Insel nicht mehr als 25 bis 30 Salzbauern. Sie waren alle sehr alt und davon überzeugt, dass sie die letzten ihrer Art sein würden. Die Salzgewinnung schien am Ende. Keiner kaufte Meersalz von hier. Als ich die alten Salzbauern fragte, ob sie mir ihre Kenntnisse weitergeben wollen, antworteten sie: Nein, das hat keinen Zweck. Lernen Sie das nicht, das hat keine Zukunft."
    Doch Isabelle Gallois ließ sich nicht beirren und erlernte trotz aller Bedenken den Beruf der Salnièure, der Salzbäuerin. Kurz darauf kaufte sie das Marais "La petite Loire". Die ersten Jahren waren hart und von Misserfolgen begleitetet. Erst im vierten Jahr konnte sie erstmals von ihrer Ernte leben.
    "Das war der Beginn des langen Abenteuers. Ich hätte mir niemals vorstellen können, diesen Beruf, der immer ein Nebenberuf ist, 35 Jahre auszuüben. Es ist eine Arbeit, die gibt, aber die auch viel verlangt. Das Marais, die Salzgärten, üben eine große Anziehungskraft auf mich aus. Aber natürlich war es hart. Man bereitet das drei Monate vor, für drei Monate Ernte. Egal wie die Ernte ist, diese Vorbereitungszeit ist nötig."
    Isabelle Gallois hatte Glück. Einige Geschäfte auf der Insel begannen, ihr Salz zu verkaufen. Es wurde neben den berühmten Kartoffeln der Insel, die bis nach Paris verkauft werden, zu einem beliebten Mitbringsel der Touristen. Als nächstes organisierte sie Führungen in ihre Salzgärten, um junge Leute für diesen Beruf interessieren. Und das gelang ihr.
    "Mitte der Achtzigerjahre, als ich anfing, gab es zwischen 25 und 30 alte Salzbauern. Heute gibt es wieder rund 100 Salzbauern in der Kooperative und rund 20 Selbstständige wie mich. Die Saison über kommen junge Leute sechs Monate zum Salzernten hierher. Und es gibt sogar schon die Kinder der ersten neuen Generation, die die Arbeit ihrer Eltern fortführen. Man kann sagen, die Salzgewinnung ist wieder richtig mit der Inselkultur verwurzelt."