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Noise-Pop
"The Breaks" von Martin Carr

Martin Carr wurde bekannt als Songwriter und Gitarrist der englischen Indiepopband The Boo Radleys. Das etwas verschrobene und experimentelle Solowerk von Carr wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Nun hat Martin Carr mit "The Breaks" das wohl zugänglichste Album seit Boo-Radleys-Tagen eingespielt.

Von Ronald Strehl | 25.09.2014
    1995 war es der meistgespielte Song im englischen Radio: "Wake Up, Boo!" der Boo Radleys. Geschrieben hatte den optimistischen Weckruf The-Boo-Radleys-Gitarrist Martin Carr. Mit dem dazugehörigen schnörkellosen Pop-Album "Wake Up!" standen die Boo Radleys im gleichen Jahr auf Platz 1 in England. Nachdem die beiden etwas sperrigeren Folgealben gefloppt waren, löste Martin Carr die Boo Radleys 1999 auf.
    "Ich hatte keine Idee, was ich machen würde. Ich wusste nur, dass ich nicht in einer Indieband stecken bleiben wollte und mich für andere Musik interessierte. Wir hätten darüber reden sollen. Aber der Zusammenhalt war nicht mehr wie am Anfang, als die ganze Band zusammenwohnte und wir uns die gleichen Platten angehört haben."
    "Love Will See Us Through", ein typisch experimenteller Pop-Song von Martin Carr aus den Jahren 2000 bis 2006. In dieser Zeit hatte er unter dem Namen Bravecaptain auf fünf versponnenen Soloalben versucht, den Noise-Pop seiner Jugendidole Dinosaur Jr. mit den zeitgenössischen Elektrosounds von Gruppen wie Aphex Twin zu kombinieren. Käufer und Musikpresse ignorierten das exzentrische Soloprojekt Bravecaptain. Nicht nur deshalb empfindet Martin Carr diese Phase seines Lebens heute als Tiefpunkt.
    "Als sich die Boo Radleys trennten, war auch meine Ehe am Ende und ich hatte durch Betrug Geld verloren. Ich bin dann nach Cardiff gezogen und ich fing an zu trinken. Ich war einige Jahre völlig von der Rolle. Ich glaube, niemand nahm mich mehr ernst, weil ich nur noch im Pub war."
    Große Hymnen und berührende Balladen
    Auf "The Breaks", dem aktuellen Album, überrascht Martin Carr nun mit großen Hymnen und berührenden Balladen in Bandbesetzung. Erstmals seit den 90er-Jahren ist ihm wieder wunderbar leichte Popmusik gelungen, die Vergleiche mit den Großtaten der Boo Radleys nicht zu scheuen braucht.
    "Auf dem Album geht es um das normale Leben in einem Reihenhaus. Wie es ist, wenn ich die Kinder zur Schule zu bringe. Ich führe nun das Leben, vor dem ich mich mit 20 immer gefürchtet habe. Aber auch das ist ein Abenteuer."
    Nicht alle Songs auf "The Breaks" sind autobiografisch. Aber wenn, zeigen sie einen 46 Jahre alten Musiker, der mit viel Selbstironie über die Enttäuschung singt, die das ruhige Alltagsleben als Familienvater für einen ehemaligen Popstar eben auch mit sich bringt. In ihrer schonungslos ehrlichen Art erinnern die Lieder von Martin Carr deshalb ziemlich an die gerade sehr gefeierte Autobiografie-Reihe des norwegischen Autors Karl-Ove Knausgard:
    "Knausgard erwähnt die Boo Radleys in seinem ersten Buch. Da trägt er ein Boo Radleys T-Shirt in einer Schlüsselszene. Ich kann mich gut mit ihm identifizieren. Ich bin aber vor allem darüber enttäuscht, dass ich so viel erreicht hatte und es dann aufgegeben habe. Nun schreibe ich darüber. Und habe den Ehrgeiz, es wieder gut zu machen."