Freitag, 19. April 2024

Archiv

Nolte Decars "Der Volkshai"
Ibsen trifft Spielberg

Von Dorothea Marcus | 26.01.2015
    Etwas ist faul im Ferienparadies. In Rimini ist ein junger Mann ums Leben gekommen, angeblich hat ihm beim Surfen eine Schiffsschraube Arme und Beine abgetrennt. Seine Trauer kann der schmierig-joviale Bürgermeister bei der charmanten Grabansprache ziemlich gut unter dem quietschbunten Bademantel verbergen – um danach erst mal seinen Wählern zu danken. Ohnehin war der Tote ein Einwanderer – einer von denen, die, so der Bürgermeister, das "Gen des Verbrechens" tragen.
    Erst sind die drei Trauergäste entsetzt. Dann lümmeln sie sich doch mit auf dem Holzsarg: Giulia, die liebreizende Bademeisterin, ihr Freund Dino mit blondem Rauschebart und ein halbseidener Journalist, der die Vorgänge eigentlich untersuchen will.
    Trauergäste: "Nimm das kleine Brett, habe ich zu ihm gesagt! Nein, unbedingt wollte er das große Surfbrett haben! Wer sind sie überhaupt?"
    Manzini: "Manzini, von der römischen Presse. Von Beruf Reporter. Die Printmedien sind das Regulativ unserer Demokratie!"
    Bürgermeister: "Herzlich willkommen in unserer schönen Stadt. Bei uns gilt das Motto: Man kennt sich, man mag sich, man kümmert sich. Jetzt raus mit der Sprache: Was wollen Sie hier in Rimini?
    Manzini: "Einen Bericht schreiben. Um über die Vergabe dieser Fifa-WM zu berichten. Aua! ... Äh ... eine Reportage ..."
    Bürgermeister: "Und darf man auch erfahren worüber?
    Manzini: "Über gewisse ... Interessenskonflikte ... "
    Journalist Cesare lässt sich vom lässigen Bürgermeister schnell zur Hofberichterstattung überreden. Und auch Dino guckt lieber den ganzen Tag lang "Pretty Woman" oder springt dem Bürgermeister auf den Schoß. Bademeisterin Giulia erkennt als einzige, dass am Strand echte Haie Menschen fressen. Mal warnt sie mit Baywatch-Boje, mal mit Julia-Roberts-Gedächtnis-Minikleid, mal als Hexe auf dem Besen vor dem Unheil, das in Form von Holzsärgen über die Bühne getragen wird.
    Manzini: "Es gibt hier keine Haie! Alles Tutti Frutti! Ab ins Wasser!"
    Giulia: "Das hat der Bürgermeister auch gesagt. Du glaubst mir doch?"
    Manzini: "Ja, natürlich ... Hast du Beweise? Ein Foto oder so? Der Bürgermeister wollte nichts dagegen tun?"
    Giulia: "Nein!"
    Manzini: "Das ist doch ein Skandal. Ja natürlich! Voll! Ich muss das überprüfen, bevor ich an die Öffentlichkeit gehe. Weißt du, die Öffentlichkeit ist wie ein Kind für mich."
    Giulia: "Und Kinder sind wie Kinder für mich. Ich kann einfach nicht zulassen, dass sie von gefährlichen Meerungeheuern gefressen werden."
    Manzini: "Du bist doch krank. Hör auf, den wunderbaren Sport des Fischfangs in den Dreck zu ziehen!"
    Niemand glaubt ihr: Schließlich ist Sommersaison in Rimini, dazu WM, und Beweise gibt es keine – eine Sperrung der Strände wäre da nur kontraproduktiv. Und während ihr Freund Dino nun einen Job in Bürgermeisters neuem Aqua-Delfin-Land abstaubt, hält sie einsam Hai-Warnschilder hoch.
    Eine etwas zu muntere Korruptionsklamotte hat sich das Autorenduo Nolte Decar da ausgedacht, das sich bei Spielbergs "Der weiße Hai" von 1975 sowie bei Ibsens "Ein Volksfeind" bedient. Doch eigentlich hätte es der prominenten Vorlagen nicht bedurft, um die schlichte Erkenntnis an den Zuschauer zu bringen: Wahrheitsliebe ist dem Gelderwerb oft nicht zuträglich.
    Der Mensch hat viele blinde Flecken auf der Netzhaut, wenn es um den Profit geht. Bunt und rhythmisch flott inszeniert den Abend Matthias Rippert, zurzeit noch Student an der ehrwürdigen Regie- und Schauspielschule Max-Reinhardt-Seminar in Wien, vor einer Häuserzeile. Und manchmal scheint in den Kalauern auch ein philosophischer Irrwitz auf, der Klischees und Bezüge gegen den Strick bürstet.
    Trotzdem bleibt am Ende ein belangloses Stück zurück, in schlichter Sprache und auf Kabarettniveau. Warum es ausgerechnet ein so politisch gravierendes Thema wie die Korruption behandelt, bleibt rätselhaft. Über wen will man sich hier eigentlich so durchironisiert übertrieben lustig machen? Formal steckt "Der Volkshai" voller Albernheiten, Absurditäten und comicartiger Verkürzungen – da liegen Stück und Regie ganz auf einer Linie.
    Zum Schluss "ist die Luft voller Haie". Und Giulia hat die drei Hai-Leugner um die Ecke gebracht. Sie schmiert die Kachelwand voll mit ihrem Blut, während die flotte Party-Musik wieder losgeht. Könnte man die Korrupten doch so einfach loswerden. Und alle banalen Erzählungen von der Korruption ebenso.