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Nonsens-Promi-Promo-Blog

Sven Regeners neuestes Werk ist aus diversen Blogs des Schriftstellers entstanden. Es geht vor allem um ein Nonsens-Spiel: Nämlich die Erwartungen eines richtigen Promi-Promo-Blogs nach allen Regeln der Kunst zu unterlaufen.

Von Walter van Rossum | 22.11.2011
    Das war klar: Irgendwann musste auch ein Sven Regener sich mit den Tücken des Web 2.0 vertraut machen. Und zu diesem Web 2.0 gehören die Blogs. Das sind Internet-Plattformen, auf denen – schlicht gesagt – ein Autor Texte veröffentlicht, die jeder wieder kommentieren kann und wo die Kommentatoren sich wiederum selbst gegenseitig kommentieren können. Doch wer die Musik und die Romane von Sven Regener kennt, hat ein wenig Mühe, sich den Mann als leidenschaftlichen Blogger vorzustellen.

    "Ja, ich bin da reingeraten. Das war eine Idee der Plattenfirma von Element of Crime. Die sagten, das gibt es jetzt – das war 2005 – das ist jetzt recht beliebt: Blogs. Kannst Du das nicht auch machen. Das wär doch mal eine schöne Promoidee. – Was soll ich denn da schreiben? Ja, Du kannst doch Literatur, denk dir doch irgendwas aus, so eine Art Tagebuch. Und Tagebuch ist eigentlich eine Art Literatur, für die ich persönlich nicht so ein Kunde bin. Ich verstehe, dass es Leute gibt, die das gerne lesen, aber ich bin halt selber keiner von denen. Letztendlich ging es darum, dass ich meinen eigenen Weg finden muss. Am Ende muss es ein literarischer, also ein künstlicher Weg sein. Dass man nicht versucht, an der Wirklichkeit kleben zu bleiben. Und die Wirklichkeit ist in meinem Fall eher etwas langweilig. Ein Tagebuch braucht kein Schwein."

    Mit Sicherheit ist Sven Regeners Leben nicht langweilig. Außerdem suchen Fans wahrscheinlich weniger Enthüllung als vielmehr: Teilhabe. Und damit war Regener in der Falle. Am 19. September 2005 gibt er seinen Einstand als Blogger mit den verwegenen Worten:

    Na bitte, klappt doch! Später mehr.

    In zehn Tagen sollte das neue "Element of Crime"-Album erscheinen. Regeners Auftrag lautete wahrscheinlich schlicht und einfach, die Stimmung anzuheizen, Backstage-Berichte von den ersten Konzerten zu geben und sich mit seinen Kritikern auseinanderzusetzen. Kurz, den Fanclub zu animieren. Allein, wie macht man das, wenn man das nicht machen will?

    "Ich habe ein bisschen versucht, das zu thematisieren: Was mache ich hier eigentlich? Eigentlich war es so, dass mir schon nach drei Tagen ein bisschen die Lust verging und dann habe ich Hamburg-Heiner erfunden. Eine Figur – und da wurde es wirklich interessant -, die plötzlich dagegenhält und die nicht nur irgendwelche Meinungen verbreitet."

    Was so vielleicht nicht ganz stimmt. Denn zwar hält Hamburg-Heiner ordentlich "dagegen", aber verbreitet auch heftig seine Meinung. Und nimmt Sven damit die Arbeit ab. Dafür ist er ja schließlich erfunden worden.

    " ... dass da jemand kommt, der einen quasi in die Beinschere nimmt und quasi sagt, das stimmt doch nicht und dann fängt man an, sich über Dinge zu unterhalten. Und im Dialog ist es interessanter, Geschichten zu entwickeln. Weil da zwei Meinungen aufeinanderprallen. Zwei Freaks schrauben sich hoch in ihrem Wahn und in ihren Vorstellungen, wie die Welt sein müsste."

    Was ja nun vielleicht auch wieder ein bisschen übertreiben ist, denn Weltentwürfe im engeren wie im weiteren Sinne wird man hier nicht finden. Es geht eher um ein Nonsens-Spiel, nämlich die Erwartungen eines richtigen Promi-Promo-Blogs nach allen Regeln der Kunst zu unterlaufen.

    "Nur deshalb hat es mich interessiert. Ich würde gar nicht auf die Idee kommen, mich nach außen tragen zu wollen. Ich habe auch meine literarischen oder musikalischen Handlungen nie als etwas gesehen, wo es darum ging, mich auszudrücken. Die Welt muss von mir erfahren – in diesem Sinne: nie, sondern ich wollte eine neue Welt schaffen. Man bringt etwas in die Welt, was es vorher nicht gab. Für mich ist das so jemand wie Hamburg-Heiner. Das liebe ich an der Kunst. Dafür ist sie da – in meinen Augen."
    Doch es handelt sich bei diesem Buch nicht allein um den Abdruck jenes Blogs, den Regener 2005 drei Wochen lang im Herbst 205 mit Hamburg-Heiners Hilfe befeuert hat, sondern um insgesamt acht Blogs, die er für den "Spiegel", für die "Zeit", die "taz" oder für sein eigenes Plattenlabel geführt hat. Unterschiedlich lang und unterschiedlichen Themen gewidmet, geht es um mal die Buchmesse, mal um Österreich vor allem aber um den meist telefonischen Schlagabtausch mit Hamburg-Heiner.

    Und da klingelt auch schon das Telefon.
    HH: Das franst jetzt aber ein bisschen aus mit dem Blog, da sind sich alle einig.
    Sven: Wer ist alle?
    HH: Ich und die freiwillige Deichwehr. Die Erstsemester. Muss ich dir doch nicht erklären.
    Sven: Nein, aber den Lesern vielleicht mal. Vielleicht wäre es überhaupt mal an der Zeit, mal irgendwas zu erklären. Auch, warum das jetzt alles so ausfranst, ich meine: Warum soll es dem Blog besser gehen als der Tour. Die franst jetzt ja auch irgendwie aus. Jetzt ist die Rote Gourmet Fraktion weg. Und der Band-Bus. Und wir fliegen nach Wien.
    HH: Richtig so mit Flugzeug und allem?
    Sven: Ja, voll so USA-mäßig, heute Denver, morgen Cleveland, so in der Preislage sind wir jetzt unterwegs.
    HH: Stark!
    Sven: Und dann von Wien nach München mit dem Zug. Und dann von München nach Dresden mit dem Crew-Nightliner!
    HH: Und die lassen euch da rein, die Crew? Wie sind die den drauf?
    Sven: Die sind auch geschwächt, die haben die halbe Mannschaft verloren, einige kommen in München wieder, aber die Catering-Leute sind halt weg.
    HH: Hart. Das sollte man vielleicht wirklich mal erklären, warum da auf den letzten Drücker noch alle ungewohnten Reisemittel ins Spiel kommen, das ist ja gespenstisch.
    Sven: Da sagst du was!
    HH: Nun aber los!


    "Eigentlich ist es ein Buch über ihn. Es ist vielmehr ein Buch über eine Interaktion zwischen diesem imaginären Sven und diesem imaginären Hamburg-Heiner. Denn auch der Sven, der da immer wieder auftaucht ist eben auch nur z. T. real. Vieles von dem, was da verhandelt wird – auch die Paranoia - hat natürlich einen realen Hintergrund. Auch Hamburg–Heiner trägt wieder Züge von mir. Deshalb ist Persönlichkeitsspaltung gar nicht so falsch, aber dieser Sven ist natürlich auch jemand, der viele Dinge, die er dort sagt, im richtigen Leben gar nicht sagt."

    Man ahnt, dass es Sven Regener Spaß gemacht hat, sich selbst ins Wort zu fallen oder sich selbst einen auf die Nuss zu geben. Man ahnt auch, dass es ihm Spaß gemacht hat, das Genre der Promi-Bloggerei genüsslich ins Leere laufen zu lassen.

    "Es gibt ein Vorbild für das alles. Das ist H.C. Artmann – ein sehr moderner Dichter, der leider schon tot ist, aber ein Erfinder der modernen deutschen Dichtung überhaupt. Der hat Anfang der 60er-Jahre ein Buch herausgebracht mit dem Titel: "Das Suchen nach dem gestrigen Tag oder Schnee auf einem heißen Brotwecken." Tagebücher eines Aufenthalts in Malmö. Das ist auch der Ansatz, der bewusst oder unbewusst mir als Vorbild gedient hat."


    Sven Regener: "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher."
    Galiani Verlag. Berlin 2011
    420Seiten, 19,95 Euro
    Hör-CD: gelesen von Sven Regener.
    4 CDs. Tacheles! Roofmusic Verlag
    19,95Euro