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Nord Stream 2
Vollendete Tatsachen trotz lokalem Widerstand

Im Ostseehafen Mukran auf Rügen liegen bereits 45.000 Rohre für den Bau der Gas-Pipeline. Diese soll von Russland durch die Ostsee nach Mecklenburg-Vorpommern führen und ab 2019 Gas nach Europa bringen. Der Betreiber hat bereits viel Geld investiert, auch wenn das Unternehmen die Genehmigung für den Bau noch nicht hat.

Von Susanne Götze | 04.09.2017
    Ein Mann mit Schutzweste und Helm läuft im Fährhafen Sassnitz-Mukran auf Rügen zwischen zwei zu Türmen gestapelten Rohren für die geplante Gaspipeline Nord Stream 2 hindurch.
    Die Rohre für die Nord Stream 2 liegen im Fährhafen Sassnitz-Mukran. Auf Rügen werden die Stahlrohre mit Beton ummantelt. Die 1.224 Kilometer lange Gaspipeline soll von Portovaya bei Wyborg (Russland) nach Lubmin (Deutschland) führen. (imago stock&people)
    "Das sind zwei Walzen, die spritzen Beton auf die Rohre und drehen sich mit 200 Kilometer pro Stunde."
    Gérard Vogel ist der Werksleiter von Wasco. Die ursprünglich in Malaysia gegründete Firma besetzt eine kleine, aber bedeutende Lücke im Pipeline-Geschäft. Sie ummantelt Rohre für Gaspipelines zusätzlich mit Beton, damit diese auch im Meer sicher verlegt werden können. Wascos Werkhalle steht im Hafen von Mukran auf der Insel Rügen. Der Grund ist ein Auftrag der Nord Stream AG über beeindruckende 650 Millionen Euro. Die Projektgesellschaft gehört mehrheitlich dem russischen Konzern Gazprom. Dieser will zusammen mit deutschen Partnern eine zweite Gaspipeline durch die Ostsee bauen, parallel zur bereits existierenden Gasleitung Nord Stream 1.
    Allerdings haben die Behörden der fünf Anrainerstaaten - Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland und Russland - die für 50 Jahre beantragte Genehmigung noch nicht erteilt. Dennoch wird in Mukran schon gearbeitet. Für die Nord Stream AG kein Problem.
    Energieexperten warnen vor kostspieligen Investitionen
    "Umfassende Machbarkeitsstudien schließen aus Sicht des Projektentwicklers ein Scheitern aus",
    bekräftigt Jens Müller, Sprecher der Nord Stream AG. Energieexperten wie Andrzej Ancygier von Climate Analytics warnen angesichts des rasanten Preissturzes bei Erneuerbaren Energien und des mittelfristig notwendigen Ausstiegs aus Gas explizit vor kostspieligen Investitionen in eine zweite Ostsee-Gaspipeline. Jens Müller ist dagegen überzeugt, dass sich die zweite Gaspipeline, deren Baukosten auf acht Milliarden Euro geschätzt werden, binnen 20 Jahren amortisieren wird. Da die Zeit dränge, so Müller, müssten schon jetzt Vorbereitungen getroffen werden:
    "Das Projekt Nord Stream 2 baut auf einem Zeitplan auf, der einen Lieferstart von Gas Anfang 2020 vorsieht. Orientiert an diesem Zeitplan ist die Lieferung von Rohren jetzt schon notwendig, um dann in der Konstruktionsphase die Schiffe mit den Rohren bei der täglichen Verlegung versorgen zu können."
    In Mukran bei Rügen sollen in den nächsten Monaten 90.000 Rohre mit Beton ummantelt werden. Auf einem Verladeplatz am Hafen liegen bereits 2500 fertige Rohre. Doch beim Bergamt Stralsund sind 165 Einwendungen gegen die Pipeline eingegangen. Die Behörde muss den Anlandepunkt der Pipeline in Lubmin genehmigen. Der größte Streitpunkt sind 300 Hektar landwirtschaftliche Flächen, die als Ausgleichsmaßnahmen für den Bau von Nord Stream 2 beantragt wurden.
    Anlieger und Umweltschützer kritisieren das Vorhaben
    Betroffen sind vor allem Bauern auf Rügen. Einer ist Johann Tophoff-Kaup. Er bekam im Mai einen Brief, dass er 20 Prozent seiner Flächen abgeben muss.
    "Wir wollen das vehement verhindern und wir werden uns bis zur Enteignung treiben lassen. Wenn die Enteignung durchgesetzt werden sollte gegen uns, um dann für ein Privatunternehmen Flächen bereit zu stellen, dann müssen wir an der Rechtsstaatlichkeit zweifeln."
    Protest auf Rügen gegen "Nord Stream 2"
    Protest auf Rügen gegen die Ostsee-Pipeline "Nord Stream 2" im Juli 2017. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Auch Umweltschützer sehen die zweite Ostseepipeline kritisch. Bei einem Erörterungstermin ließ das Bergamt Stralsund keine Presse zu, obwohl der WWF-Deutschland dies nach eigenen Angaben beantragt hatte. Die Umweltschützer bemängeln, dass die Pipeline durch ausgewiesene Schutzgebiete führt. Außerdem werde der Meeresboden aufgewühlt und es gebe keine Pflichten und Vereinbarungen zum Rückbau im Meer, sagt Jochen Lamp vom WWF.
    "Wie immer man das nimmt mit den Gefahren: Es ist nach Nord Stream 1 das größte technische Vorhaben in der Ostsee. Und wenn es nicht nötig ist, weil es überflüssig ist aus Bedarfsgründen, dann sehen wir keinen Grund, warum wir das unterstützen sollten."
    Nur eine Klage könnte Bauprojekt verzögern
    Den Naturschützern wurde eine Erweiterung eines Schutzgebietes angeboten - als Kompensation dafür, dass die Pipeline an Land - wenn auch unterirdisch - auch durch ein deutsches Schutzgebiet führt. WWF-Mitarbeiter Lamp ist wenig begeistert:
    "Finden wir klasse, Schutzgebiete zu erweitern. Aber mit der Begründung, damit dann Nord Stream genehmigungsfähig wird, finde ich das durchaus vergleichbar mit russischen Verhältnissen."
    Bauern und Umweltschützer bilden eine entschlossene Allianz gegen Nord Stream 2. Allerdings trauen die Gegner weder dem Bergamt noch der EU-Kommission zu, das Projekt noch zu kippen. Einzig eine Klage der Bauern könnte die Genehmigung in Stralsund zumindest verzögern. Auch das könnte Schaden anrichten: Die bereits von Nord Stream bestellten Verlegeschiffe, die die Rohre auf dem Ostseeboden verlegen sollen, kosten eine Million Euro pro Tag - egal ob sie Nord Stream nutzt oder nicht.