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Nordafrika bewegt sich

Mehr Geld für mehr Demokratie und Menschenrechte, mehr Marktzugang und leichtere Einreisemöglichkeiten nach Europa, das sind im Kern die Vorschläge der Europäischen Kommission für eine neue Nordafrikapolitik. Doch ob diese Vorschläge jemals umgesetzt werden, hängt von den Staats- und Regierungschefs der EU ab, und steht deshalb bei deren Gipfel weit oben auf der Agenda.

Von Alois Berger | 22.06.2011
    Die Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kairo schreien ihre Wut auf das Mubarak-Regime in die Nacht. Nicht einmal ein halbes Jahr ist das nun her. Nicht nur in Ägypten, auch in Tunesien und im Jemen sind die Machthaber inzwischen verjagt, in anderen Ländern wanken sie.

    Seit einem knappen halben Jahr verändert sich Nordafrika in einer Weise, wie man es sich in Europa immer gewünscht hatte. Träger des Umbruchs sind nicht die gefürchteten Islamisten, sondern eine junge, weltoffene Mittelschicht, die Freiheit, Demokratie und Wohlstand fordert. Doch der Europäischen Union, die seit vielen Jahren enge Beziehungen zu den nordafrikanischen Staaten unterhält, fiel bislang außer ein paar schönen Reden nicht viel ein.

    Jetzt, mehr als ein halbes Jahr nach den Anfängen des arabischen Frühlings, will die Europäische Kommission endlich eine Linie in die europäische Nordafrikapolitik bringen. Der für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Stefan Füle verspricht mehr Geld und mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit.

    "Wir schlagen einen neuen politischen Ansatz vor, der mehr finanzielle Unterstützung für solche Partner vorsieht, die sich für eine demokratischere Gesellschaft einsetzen. Darüber hinaus wollen wir auch eine umfassende wirtschaftliche Unterstützung anbieten."

    Mehr Geld für mehr Demokratie und Menschenrechte, mehr Marktzugang und leichtere Einreisemöglichkeiten nach Europa, das sind im Kern die Vorschläge der Europäischen Kommission. Doch ob diese Vorschläge jemals umgesetzt werden, hängt von den Staats- und Regierungschefs der EU ab. Beim Gipfeltreffen der EU an diesem Donnerstag und Freitag steht die neue Nordafrikapolitik weit oben auf der Agenda.

    Im Prinzip sind sich alle EU-Regierungen einig, dass die Europäische Union die demokratische Entwicklung in den Partnerländern unterstützen soll, sowohl mit Geld als auch mit wirtschaftlichen und politischen Zugeständnissen. Im Prinzip. Im Detail sieht es anders aus. Vor allem beim Marktzugang und noch mehr bei den Reisemöglichkeiten für die Menschen aus diesen Ländern zucken die EU-Regierungen zurück.

    Beim Marktzugang geht es im Grunde um bessere Möglichkeiten für die nordafrikanischen Länder, Obst, Gemüse und Textilien in die Europäische Union zu exportieren.

    Ihre Bauern würden unter solchen Importen leiden, sagen sie, das sei bei den derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht zu machen.

    Wie hartnäckig die Widerstände aus den eigenen Reihen gerade in Agrarfragen sind, weiß der langjährige FDP-Europapolitiker und Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer:

    "Ich erinnere mich - 1994 glaube ich, war das - an meinen ersten allgemeinen Rat in Brüssel, wo ich Deutschland vertreten durfte. Damals ging es drei Stunden lang um den Import eingedoster Tomaten aus Nordafrika. Wir sind damals zu keinem Ergebnis gekommen. Es hat noch Jahre gedauert. Ich habe manchmal den Eindruck, wir sind so furchtbar weit in den 17 Jahren nicht gekommen."

    Noch heikler ist die Lockerung der Visumspolitik. Nach den Vorschlägen der EU-Kommission sollen vor allem Studenten und Geschäftsleute leichter nach Europa einreisen können. Junge Menschen, die in Europa studieren, bringen nicht nur wirtschaftliches und technisches Know-how mit zurück in diese Länder, so die Überlegung, sondern meist auch eine offenere Einstellung zu Demokratie und Menschenrechten. Und Geschäftsleute, die reisen können, bringen Wirtschaft und Handel voran. - Aber wenn es um Reiseerleichterungen für Ausländer geht, zucken alle EU-Regierungen zusammen. Sie haben in den letzten Jahren viel Aufwand getrieben, um jede Einreise aus Afrika möglichst schwierig bis unmöglich zu machen. Eine Lockerung der strikten Visumspolitik ist in Europa äußerst unpopulär. So etwas kostet Wählerstimmen.

    Doch die Europäische Kommission und auch viele Europaabgeordnete beharren darauf, dass Reiseerleichterungen vor allem für die junge, gut ausgebildete Mittelschicht wichtig wären, für die Menschen also, die in Ägypten und Tunesien für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind. Franziska Brantner, Europaabgeordnete und außenpolitische Expertin der Grünen, fordert mehr Großzügigkeit:

    "Wenn wir jetzt die Chance verpassen, mit diesen Demokratiebewegungen, dann kommt die so schnell nicht wieder. Momentan sind die wirklich nicht islamistisch, nicht anti-israelisch, sondern wirklich pro-demokratisch. Und man weiß nicht, wenn in ein paar Jahren die wirtschaftliche Situation sich überhaupt nicht verbessert, wenn es demokratisch nicht besser wird, wenn die jungen Menschen wieder auf die Straße gehen, für wen und was sie dann auf die Straße gehen. Ich glaube, es wird dann nicht so positiv sein."

    Zu fast allen arabischen Ländern, die jetzt im Umbruch sind, hat die Europäische Union seit Jahren enge Beziehungen. Sie sind Mitglieder der Europäischen Nachbarschaftspolitik, mit der die EU positiven Einfluss auf diese Länder ausüben will. Zur Pflege der Partnerschaft finanziert die Europäische Union beispielsweise den Bau von Straßen und Häfen, unterstützt soziale Projekte, etwa in den Armenvierteln von Kairo oder Umweltmaßnahmen in Marokko.

    Schon zu Zeiten, in denen die autoritären Führer wie Ben Ali, Mubarak und Gaddafi noch fest im Sattel saßen, hat die EU jedes Jahr knapp zwei Milliarden Euro für die Unterstützung der südlichen Mittelmeeranrainer bereitgestellt. Im Rückblick räumt die EU-Kommission ein, dass man dabei zu wenig auf die eigenen Grundwerte gepocht hat. Das soll jetzt anders werden, verspricht der EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik, Stefan Füle:

    "Die Aufstockung der Mittel ist an Bedingungen geknüpft. Wir orientieren uns bei der Mittelvergabe daran, wie weit die Länder sich an Demokratie und Menschenrechte halten. Dazu gehören freie und faire Wahlen, Versammlungsfreiheit und Recht auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Rechtsprechung, und nicht zuletzt grundlegende Reformen von Polizei und Justiz."

    Mehr Geld für mehr Demokratie, das hört sich neu an. Aber ganz so neu ist es nicht. Demokratie und Menschenrechte standen in allen europäischen Partnerschaftsverträgen immer ganz oben. Zumindest auf dem Papier. In der Praxis gab es leider immer irgendetwas, das noch wichtiger war.

    Seit fast 50 Jahren bemüht sich die Europäische Union um eine möglichst enge Zusammenarbeit mit den Ländern Nordafrikas.
    Anfangs ging es vor allem darum, die arabischen Regierungen zu umwerben und im Ost-West-Konflikt den sowjetischen Einfluss zu mildern. Mitte der 90er Jahre bekam die Nord-Süd-Beziehung rund ums Mittelmeer dann eine ganz neue Bedeutung. Der Kalte Krieg war zu Ende, dafür traten in den arabischen Ländern immer mehr islamistische Strömungen auf. Die EU fürchtete um die Stabilität ihrer südlichen Nachbarn und versprach den elf Mittelmeeranrainern von Marokko bis Syrien vor allem Geld, viel Geld. Fast fünf Milliarden Euro sollten die Länder in den folgenden Jahren bekommen. - Euro-Mediterrane Partnerschaft hieß das Programm am Anfang, dann Meda-Programm und ab 2007 "Südliche Nachbarschaftspolitik". Die Grundidee blieb immer dieselbe: Die Europäische Union fordert die arabischen Regierungen auf, mehr Demokratie zuzulassen und die Menschenrechte stärker zu beachten. Im Gegenzug gibt sie Geld für Projekte, die den Menschen in diesen Ländern eine wirtschaftliche Perspektive geben sollen.



    Doch der südlichen Nachbarschaftspolitik fehlten bisher die engagierten Nachbarn. Die autoritären Regime konnten mit den Projekten wenig anfangen, zum Teil war ihnen die von der EU geforderte Bürgerbeteiligung unheimlich, zum Teil hatten sie einfach andere Interessen. Die von der EU zugesagten Milliarden wurden meist nicht einmal zur Hälfte abgerufen. Das Hauptproblem aber war, dass die Europäische Union zwar immer von Demokratie und Menschenrechten redete, aber gleichzeitig ganz andere Interessen ins Spiel brachte.

    Ab September 2001 war es der Kampf gegen den Terror, später kam dann noch die Flüchtlingsabwehr dazu. Die nordafrikanischen Autokraten wurden zu wichtigen Partnern der EU in Sicherheitsfragen, die man nicht mit Demokratie und Menschenrechten nerven wollte. Im Gegenteil: Die Präsidenten von Syrien über Ägypten bis Algerien galten zunehmend als Bollwerke gegen die islamistische Gefahr. Michael Emerson vom Centre for European Policy Studies in Brüssel.

    "Heute sind sich alle einig, dass es ein politischer Fehler war, über das Fehlen der Demokratie in diesen Ländern in den letzten zehn Jahren weitgehend hinweg zu sehen. Jetzt wollen alle Offiziellen und alle Außenminister die Frage der Demokratisierung zur wichtigsten Triebkraft der Beziehungen machen. Aber wie man das tun kann, ist offen, denn das ist nicht so einfach."

    Die alten Fehler wirken zudem weiter. Um Flüchtlinge aus Schwarzafrika von Europa fernzuhalten, hat sich die Europäische Union in den letzen Jahren auf eine enge Zusammenarbeit mit dem libyschen Oberst Gaddafi eingelassen. 50 Millionen Euro sollte Gaddafi bekommen, um Flüchtlinge aus dem Süden an der Durchreise nach Europa zu hindern.

    Offiziell sollte das Geld Libyen in die Lage versetzen, die Mittelmeerküsten zu sichern und die Flüchtlinge in menschenwürdigen Lagern unterzubringen. Inoffiziell war jedem in Brüssel und auch in den europäischen Hauptstädten klar, dass es mit der Menschenwürde in libyschen Lagern nicht weit her war. Flüchtlinge berichteten von willkürlicher Gewalt und unmenschlichen Zuständen. Gaddafi verweigerte allen internationalen Beobachtern den Zutritt.

    Doch so genau wollte es in Europa ohnehin niemand wissen.
    Den Innenministern der Mitgliedsländer war vor allem wichtig, die Flüchtlingsrouten abzuriegeln. Dafür nahmen sie den Pakt mit Gaddafi in Kauf. Seit der libysche Diktator nun Krieg gegen sein eigenes Volk führt, seitdem liegt die Zusammenarbeit auf Eis, wie Luigi Soreca von der Abteilung für Innenpolitik der EU-Kommission bestätigt:

    "Zwei Tage vor dem Ausbruch der Unruhen in Libyen hatten wir hier in Brüssel das erste hochrangige Treffen mit dem libyschen Innenminister, um einen Fünf-Jahres-Plan für die Zusammenarbeit zu starten. Aber jetzt wird es wohl einige Zeit dauern, bis wir wieder mit einer anerkannten libyschen Regierung verhandeln können."

    Noch im Februar sollte die erste Tranche der 50 Millionen Euro an Gaddafi überwiesen werden. Auf Druck aus dem EU-Parlament wurde die Überweisung im letzten Moment gestoppt. Das Beispiel Libyen zeigt vor allem, wie sehr sich die Europäische Union immer wieder selbst ins Gehege kommt. Auf der einen Seite möchte die EU universelle Werte wie Demokratie und Menschenrechte auch bei den Nachbarn verbreiten. Auf der anderen Seite überweist sie Geld an totalitäre Regime, wenn ihr diese dafür die Flüchtlinge vom Leib halten.

    Verantwortlich für diesen Widerspruch ist nicht nur die EU-Kommission. Die Innenminister der Mitgliedsländer haben die Kommission ausdrücklich aufgefordert, mit Gaddafi zu verhandeln. Die italienische Regierung ist jetzt noch einen Schritt weiter gegangen. Letzte Woche hat sie das Abkommen über die Rückführung von Flüchtlingen, das sie mit dem Gaddafi-Regime geschlossen hat, mit dem Rebellenrat in Bengasi erneuert. Weder Gaddafi noch der Rebellenrat haben irgendeine demokratische Legitimation.

    Es ist der alte Widerspruch zwischen hehrem Anspruch und Realpolitik, der die Europäische Union auch in Zukunft immer wieder einholen wird. Denn allein das Thema Flüchtlingsabwehr wird die EU weiter beschäftigen. In den Vorbereitungen zum EU-Gipfel haben die Außenminister der Mitgliedsländer vorsorglich festgelegt, dass über Visa-Erleichterungen nur mit Ländern geredet wird, die Rückführungsabkommen für Flüchtlinge unterschreiben. Die nordafrikanischen Länder sollen sich verpflichten, auch solche Flüchtlinge zurückzunehmen, die bei ihnen nur durchgereist sind.

    Auch der Ansatz mehr Geld für mehr Demokratie und Menschenrechte wird bereits aufgeweicht, beklagt die grüne Europaabgeordnete Franziska Brantner:

    "Die Kommission ist jetzt schon wieder so weit, dass sie sagen, wir machen für einzelne Länder eigene Kriterien. Ich halte das für gefährlich. Denn eigentlich ist ja gerade das Neue, dass man sagt: Es gibt die internationalen Standards, und die sollen auch eingehalten werden von allen Ländern, und wir messen sie daran. Und nicht eben wieder politisch definiert, was man von Algerien verlangt, verlangt man nicht von Saudi-Arabien oder anders herum."

    Unterschiede will die Kommission vor allem bei der Kontrolle von Demokratie und Menschenrechten machen. Wahlen bleiben Wahlen und auch das Verbot etwa von Folter soll überall gelten. Doch ob ein Land seine Gefängnisse für internationale Beobachter öffnet oder nicht, bei solchen Fragen soll es Abstufungen geben.

    Die Länder Nordafrikas sind sehr unterschiedlich und auch unterschiedlich weit auf ihrem Weg in die Demokratie. Von manchen Ländern könne man mehr fordern als von anderen, so die Überlegung. Michael Emerson vom Centre for European Policy Studies bezweifelt, dass sich Regierungen von solchen Bedingungen beeindrucken lassen. Demokratie und Menschenrechte müssten von innen kommen.

    "Es bringt sehr wenig, Bedingungen als Instrument für Veränderungen einzusetzen. Wenn ein Land in die EU aufgenommen werden will und auf diesem Weg ist, dann sind solche Bedingungen sehr wirkungsvoll. Aber außerhalb des Erweiterungsprozesses ist die Karotte einfach nicht groß genug, um die fundamentalen politischen Orientierungen eines Landes zu beeinflussen."

    Der Politikwissenschaftler Emerson ist überzeugt, dass es weit mehr bringt, wenn die Europäische Union mehr Gewicht auf die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft legt. Solche Projekte gibt es bereits. Gerade in Nordafrika hat die EU oft mit Nicht-Regierungsorganisationen und Privatinitiativen zusammengearbeitet. Doch in den letzten Jahren sind solche Projekte immer weiter zurückgefahren worden, zugunsten einer stärkeren Kooperation mit den Regierungen.

    Das ist in der Regel einfacher und bequemer. In Tunesien wurde das Geld teilweise direkt an die Regierung überwiesen. Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ist mühsam, aber wenn man Demokratie und Menschenrechte fördern will, ist sie der bessere Weg, meint Emerson. Für die Nordafrikapolitik der Europäischen Union schlägt er vor, in Kairo, Tunis und anderen Städten unabhängige Büros nach dem Vorbild der deutschen Parteienstiftungen aufzumachen.

    Ähnlich sehen das auch lokale Demokratie- und Menschenrechtsorganisationen. Malak Labib ist Mitbegründerin des "Progressive Youth Movement", das sich in Ägypten für Demokratie und soziale Gerechtigkeit einsetzt:

    "Die Europäische Union soll Ägypten helfen, aber nicht wie früher bei der Demokratisierung. Ich denke, die demokratische Bewegung in Ägypten braucht das nicht und sollte auch besser unabhängig sein. Es wäre ungünstig für das Ansehen der demokratischen Kräfte, wenn sie zu enge Beziehungen zu Geberländern und internationalen Agenturen hätten. Die EU sollte besser technische Unterstützung geben, zum Beispiel bei Wahlen. Da kann sie ihre Erfahrung zur Verfügung stellen und bei der Wahlbeobachtung helfen."

    Aber die EU-Kommission will nicht kleckern, sie will klotzen. Allein für die nächsten zwei Jahre sollen aus dem EU-Haushalt 1,24 Milliarden Euro zusätzlich für die Nachbarschaftspolitik in Nordafrika umgeschichtet werden. Darüber hinaus sollen die Europäische Investitionsbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung rund 2,5 Milliarden Euro an Krediten bereitstellen. Aber es gibt bisher noch kaum Konzepte, wie das Geld in gesellschaftlich nützliche Projekte geleitet werden kann. Die EU-Beauftragte für Außenpolitik, Catherine Ashton, will eine Task-Force einrichten, die nach sinnvollen Investitionen fahnden soll. Michael Emerson vom Centre for European Policy Studies ist skeptisch:

    "In den offiziellen Stellungnahmen und den Papieren heißt es: Jetzt meinen wir es ernst mit Demokratie und Menschenrechten als Vorbedingung für Hilfe. Aber ich habe meine Zweifel, wie ernsthaft dieser Vorschlag ist. Denn was bieten sie denn wirklich? Im Grunde ist das, was diesen Ländern angeboten wird, nicht so außerordentlich viel."

    Für eine umfassende europäische Nordafrikapolitik fehlt ohnehin der politische Wille. Dafür müsste sich die Europäische Union auf ein einheitliches Auftreten gegenüber den arabischen Nachbarn verständigen. Doch die Außenpolitische Beauftrage Catherine Ashton ist zu schwach und zu unentschlossen, um die Mitgliedsländer auf eine gemeinsame Politik einzuschwören. Vor allem die großen Länder wollen nicht auf ihre direkten Einflussmöglichkeiten verzichten. Wenn der deutsche Außenminister nach Kairo reist und dort 100 Millionen Euro an Wirtschaftshilfe verspricht, dann erhofft er sich davon nicht nur einen Imagegewinn für sich und für Deutschland, sondern auch ein paar Wirtschaftsaufträge in der Zukunft.

    Ähnliche Motive darf man auch dem französischen Präsidenten Sarkozy unterstellen, wenn er ohne Rücksprache mit der EU den libyschen Rebellenrat anerkennt. Solche Alleingänge haben Kalkül, sie sollen dem eigenen Land und der eigenen Wirtschaft einen Vorsprung vor den EU-Partnern verschaffen. Zwar betonen alle EU-Regierungen immer wieder, dass es besser wäre, die Kräfte zu bündeln, aber wenn es darauf ankommt, kann kaum eine Regierung der Versuchung widerstehen, sich mit beherztem Vorpreschen einen kurzfristigen Vorteil zu verschaffen - zum Nachteil der europäischen Nordafrikapolitik.