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Nordkorea "ist allein in keiner Weise mehr überlebensfähig"

Laut Hartmut Koschyk hat es auch in Nordkorea wegen der schlechten Lebensbedingungen in den vergangenen Jahren Unmut gegeben. Wie schnell derartige Proteste in politische Unruhen umschlagen könnten, habe man in vielen Ländern der arabischen Welt erlebt.

Hartmut Koschyk im Gespräch mit Friedbert Meurer | 20.12.2011
    Friedbert Meurer: Nicht nur in Nordkorea wird getrauert, nach dem Tod des nordkoreanischen Staatschefs Kim Jong Il hat auch die Führung in Kuba eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Allzu viele Verbündete hat das Land Nordkorea allerdings nicht. Kim Jong Il ist am Samstag gestorben, zwei Tage hat es gedauert, bis die Meldung dann bekannt gegeben wurde. Viele glauben und fürchten, dass der Machtübergang vom Vater zum Sohn nicht so ganz reibungslos ablaufen könnte. – Hartmut Koschyk (CSU) ist Vorsitzender des deutsch-koreanischen Forums, das die Regierungen Deutschlands und Südkoreas 2002 ins Leben gerufen haben. Guten Morgen, Herr Koschyk.

    Hartmut Koschyk: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Sie werden gestern in einem Interview mit der Bemerkung zitiert, die Uhr der Diktatur in Nordkorea läuft ab. Das ist ziemlich optimistisch. Wie kommen Sie zu dieser Aussage?

    Koschyk: Weil wir in den letzten 20 Jahren erlebt haben, dass anscheinend fest gefügte Diktaturen überall auf der Welt auch ins Wanken geraten sind, und ich habe Nordkorea in den letzten Jahren immer wieder besucht und auch dort festgestellt, dass es Erosionserscheinungen gibt, und ich habe deshalb ein Fragezeichen, ob es dem knapp 30-jährigen Kim Jong-Un gelingt, die Macht so zu übernehmen, wie es 1994 seinem Vater noch gelungen ist. Das Land ist heute in einem weitaus schlechteren Zustand als 1994, es ist allein in keiner Weise mehr überlebensfähig, und von daher mache ich eben meine Fragezeichen, ob die Machtübernahme diesmal so klappt wie 1994.

    Meurer: Wo stellen Sie Erosionserscheinungen fest?

    Koschyk: Zum einen ist Nordkorea ja umgeben von Ländern, die auch einem starken Wandel ausgesetzt sind. Auch China befindet sich in einem unaufhaltsamen Wandel und allein die Grenze von Nordkorea zu China ist nicht mehr völlig abgeriegelt. Es gelingt Menschen aus Nordkorea, in das benachbarte China zu kommen, dort erhalten sie freie Informationen, dort wissen sie, was auf der Welt los ist, und insofern ist Nordkorea heute nicht mehr so abgeschottet und abgeriegelt, wie man das allgemein glaubt.

    Meurer: China ist vielleicht ein Beispiel für wirtschaftlichen Wandel. Aber auch für politischen Wandel?

    Koschyk: Wenn ich mir anschaue, welcher Wandel sich in China in den letzten 20 Jahren vollzogen hat, welche freie Gedankenwelt auch von Hongkong aus nach China hineinströmt, so glaube ich, dass auch freie Gedanken, eine freie Wirtschaftsordnung, Religionsfreiheit - das alles wird auch auf Dauer vor Nordkorea nicht haltmachen.

    Meurer: Herr Koschyk, können Sie sich sogar vorstellen, dass in Pjöngjang junge Menschen per Facebook zur Massendemonstration aufrufen?

    Koschyk: Es gibt in Nordkorea ein Intranet. Das heißt, auch dort können natürlich privilegierte Leute miteinander über Kommunikationsmittel in Verbindung treten. Und ich sage hier noch einmal: Wir haben eine leicht geöffnete Grenze zwischen Nordkorea und China und ich weiß von nordkoreanischen Flüchtlingen, die über China nach Südkorea gelangt sind, dass den Menschen dort eine Kommunikation zum Beispiel mit ihren Verwandten in Südkorea möglich ist.

    Meurer: Aber die Kommunikation wird wahrscheinlich komplett überwacht.

    Koschyk: In China gelingt es nicht mehr, Telekommunikation so zu überwachen, wie das vielleicht ...

    Meurer: Ich meine, in Nordkorea wird das überwacht.

    Koschyk: Ja, aber Sie müssen sehen, dass es Menschen aus Nordkorea gelingt, sich nach China durchzuschlagen, dort bei Chinesen koreanischer Abstammung unterzuschlüpfen, und insofern gibt es Informationsflüsse über China nach Nordkorea, die nicht mehr von den Machthabern dort vollends kontrolliert werden können.

    Meurer: Aber noch mal die Frage: Demonstrationen in Pjöngjang - ist doch unvorstellbar, oder?

    Koschyk: Wir haben auch in Nordkorea in den letzten Jahren aufgrund von negativen Wirtschaftsentscheidungen, die das Leben der Menschen hart getroffen haben, Unruhen feststellen können, und wie schnell Unruhen über schlechte Wirtschaftsversorgung, über schlechte Lebensbedingungen auch in politische Unruhen umschlagen können, das haben wir in vielen Ländern gerade der arabischen Welt in den letzten Jahren erlebt, und insofern sind Veränderungen aufgrund der katastrophalen Lebensverhältnisse jetzt bei einem Machtwechsel auch in Nordkorea nicht völlig ausgeschlossen. Natürlich ist das eine Diktatur mit einem repressiven Charakter, wie wir ihn sonst auf der ganzen Welt nicht mehr haben, aber auch scheinbar unerschütterliche Diktaturen sind in den letzten 20 Jahren weltweit ins Wanken geraten.

    Meurer: Sie sind in den letzten Jahren über zehnmal in Nordkorea gewesen, haben auch Projekte beispielsweise der deutschen Welthungerhilfe besucht. Wenn schon eine Million Hungertote nicht zu einer Revolte führen, was macht Sie da optimistisch, dass dort etwas geschehen kann?

    Koschyk: Ich versuche ja nur, die Lage zu analysieren, und wir wissen von den Erfahrungen in anderen autokratischen diktatorischen Regimen, dass es manchmal der berühmte Tropfen ist, der ein Fass zum Überlaufen bringt, und ich weiß auch aus Gesprächen mit nordkoreanischen Flüchtlingen in Südkorea, dass schon Kim Jong Il nicht mehr die Autorität genossen hat, wie noch sein Vater Kim Il Sung, und ob es jetzt gelingt, einem knapp 30-Jährigen die Macht zu übertragen, ob da nicht auch Rivalitäten innerhalb der Kim-Familie, zum Beispiel zwischen dem jungen Kim Jong-Un und der Schwester Kim Jong Ils, stattfinden, und ob das Militär dies alles so gewähren lässt, welche Rolle China spielt, das sind solche Unwägbarkeiten und die lassen mich eben nicht ausschließen, dass es dort auch zu Veränderungen kommt.

    Meurer: Haben Sie bei Ihren Besuchen Kims Sohn Kim Jong-Un mal kennen gelernt?

    Koschyk: Nein, ich habe ihn nicht kennengelernt. Aber ich habe eine ganze Reihe von Gesprächen geführt mit Leuten der zweiten und dritten Reihe und ich habe mir oft vorgestellt, auf Flügen von Pjöngjang nach Peking oder von Peking nach Pjöngjang, was eigentlich in der breiten Funktionärsschicht in Nordkorea vorgeht, die das chinesische Beispiel, das vietnamesische Beispiel erlebt haben, und irgendwann werden auch diese mittleren Funktionäre sich die Frage intensiv stellen – und sie stellen sie sich bereits -, warum nicht auch in Nordkorea ein Leben wie in China möglich ist. Und diese Konfrontation mit einem kommunistischen Land nebenan, mit anderen kommunistischen Ländern, wenn man zum Beispiel Vietnam ansieht, die wird auch die Frage in Nordkorea auch in Funktionärskreisen der Partei stellen lassen, warum man nicht genauso leben kann wie in China oder in Vietnam.

    Meurer: Hartmut Koschyk, der Vorsitzende des deutsch-koreanischen Forums (CSU). Danke schön, Herr Koschyk, für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Koschyk: Danke schön, Herr Meurer.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.