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Nordkorea ist ein Mysterium

Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist Nordkorea "weltweit eines der Ausländern am wenigsten geöffneten Länder". Erstmals seit 1966 nehmen die "Chollimas" - so der Spitzname des Teams - wieder an einer WM-Endrunde teil.

Von Jens Weinreich | 15.06.2010
    Sie nennen sich die "Chollima”. Fliegende Pferde. Diese Anleihe an eine koreanische Sagengestalt ist nötig, denn Nordkoreas Team spielt in der schwersten Vorrundengruppe gegen Brasilien, Portugal und die Elfenbeinküste. Einen Coup wie vor 44 Jahren, als Nordkorea Italien schlug und im Viertelfinale Portugal in einem legendären Duell 3:5 unterlag, traut ihnen niemand zu. Auch wenn Starspieler Jong Tae Se sagt, man könne sogar Brasilien schlagen. Vom brasilianischen Trainer Carlos Dunga halte er ohnehin nicht viel, weil der sein Team zu defensiv einstelle.

    Pressetermine gibt Nordkoreas Mannschaft eigentlich nicht, doch bei der WM wurden sie von der FIFA dazu verpflichtet. Also drängten sich zum ersten Termin überhaupt, im Trainingscamp in der Township Tembisa, rund 150 Reporter und durften exakt 900 Sekunden lang Jong Tae Se befragen. 15 Minuten – mehr war nicht erlaubt. Jong parlierte in Englisch. Er ist in Japan als Sohn von Exilkoreanern geboren. Seine Mutter stammt aus Südkorea, sein Vater aus dem Norden – er hat beide Staatsbürgerschaften. Jong spielt in Kawasaki, zwei weitere Teamkollegen kicken im Ausland, in Russland und Japan.

    Sie nennen Jong den Wayne Rooney Asiens. "Nordkorea ist ein Mysterium”, sagt er. "Aber wir können das Image des Landes ändern.” In Tembisa bleibt es bei derlei unverfänglichen Sätzen. Doch daheim hat er, wie Korrespondenten berichten, der japanischen Regierung kürzlich Propaganda vorgeworfen, sie wolle den Koreanern absichtlich "das Leben schwerer machen”.

    Man wolle so auftrumpfen wie 1966, sagt Jong. Als wäre er von den eigenen kecken Worten überrascht, fügt er schnell an: "Aber Politik und Sport sind unterschiedliche Dinge”. Das sieht Nordkoreas Diktator Kim Jong Il natürlich anders. Der "Große Vorsitzende”, gern auch "Sonne des 21. Jahrhunderts” genannt, erwartet nichts weiter als Siege.

    In Johannesburg gab es nun einen zweiten Medientermin. Auch Trainer Kim Jong Hun kündigte einen Sieg gegen Brasilien an.

    Journalisten aus Nordkorea sind übrigens nicht akkreditiert. Laut Auskunft des obersten Tickethändlers der FIFA, Enrique Byrom, wurde keine einzige Karte in Nordkorea abgesetzt. Wohl aber hat das Nationale Sportkomitee 1.000 Tickets an Chinesen vergeben, die Nordkoreas Team im Lärm der Vuvuzelas anfeuern sollen. Angeblich, das bleibt aber unklar, soll das Spiel nun sogar im nordkoreanischen Fernsehen übertragen werden. Wenn Kim Jong Il es sich nicht im letzten Moment anders überlegt.

    Sollte eine Überraschung gelingen, wird vor allem ein Schweizer Unternehmer profitieren: Denn Karl Messerli, der gewöhnlich mit Geschenkartikeln handelt, hat sich schon vor zwei Jahren die Transferrechte an den Nationalspielern gesichert.