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Nordkorea-Konflikt
"Ohne militärischen Druck wird es nicht gehen"

"Wir werden den Geist der nuklearen Fähigkeit Nordkoreas nicht zurück in die Flasche kriegen", stellte Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, im Dlf fest. Umso wichtiger sei eine gemeinsame Abschreckungs- und Containmentstrategie: Die Lösung bestehe auf keinen Fall in der Megaphon-Diplomatie Trumps.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.08.2017
    Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, spricht am 09.02.2017 in München (Bayern) bei einer Pressekonferenz zur bevorstehenden 53. Münchner Sicherheitskonferenz.
    Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (picture alliance / dpa / Alexander Heinl)
    Jasper Barenberg: Für Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un soll das Atomprogramm vor allem einen Zwecke erfüllen: Es dient dazu, sein diktatorisches Regime zu erhalten und abzusichern. Beruhigen kann dieser Gedanke aber länger schon nicht mehr, jedenfalls nicht, seit sich Pjöngjang und Washington gegenseitig mit immer schärferen Drohungen überziehen. Zuletzt hat das Regime in Nordkorea angekündigt, Raketen in Richtung der Pazifikinsel Guam zu schicken, einem Außengebiet der USA rund 3.000 Kilometer von Pjöngjang entfernt. Am Telefon ist Wolfgang Ischinger, Botschafter a.D., Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz. Schönen guten Morgen!
    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!
    Barenberg: Herr Ischinger, wie gefährlich ist die Situation aus Ihrer Sicht?
    Ischinger: Das Nordkoreaproblem ist ja kein neues Problem. Wir beschäftigen uns damit im Grunde schon seit Jahrzehnten, aber das, was in den letzten Tagen und Wochen stattfindet, ist – und Sie haben es gerade schon erläutert – eine zumindest rhetorische Aufrüstungsspirale, die die Lage gefährlicher und gefährlicher macht, denn das, was Präsident Trump selbst – man muss ja hier unterscheiden zwischen dem, was er sagt und dem, was seine Mitarbeiter oder seine Berater öffentlich in den letzten Tagen gesagt haben –, das, was er sagt, beschneidet ja – und das ist in der Außenpolitik immer ein Fehler – unnötigerweise Optionen. Er engt seine Optionen ein, wenn er ankündigt, auf die nächste Eskalationsstufe Nordkoreas werden wir mit "Feuer und Zorn", oder wie immer man fire and fury übersetzen mag, reagieren. Also die Lage ist gefährlich.
    Trump würde besser den "Weg stiller Diplomatie" befolgen
    Barenberg: Das heißt, Sie sind sich auch mit der Bewertung von Außenminister Gabriel einig, dass vor allem Donald Trump mit seiner Rhetorik verantwortungslos handelt und also einen Großteil der Verantwortung dafür trägt, dass die Situation so gefährlich, so brisant geworden ist, wie sie jetzt ist.
    Ischinger: Na ja, er hat sicherlich durch seine Rhetorik dazu massiv beigetragen. Wir wollen aber nicht außer Acht lassen, dass die Rhetorik auf nordkoreanischer Seite natürlich mindestens genauso verantwortungslos ist und was das nordkoreanische Regime seit Jahren betreibt, dauerhaft und immer wieder gegen die Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen verstößt. Es ist immerhin beachtlich, dass trotz aller Unterschiede in Auffassungen Pekings, Moskaus, Washingtons und so weiter es erst vor wenigen Tagen zu einer Fünfzehn-zu-Null-Resolution im Sicherheitsrat gekommen ist, die das nordkoreanische Atomaufrüstungsprogramm erneut verurteilt hat und Nordkorea zum Einlenken veranlassen soll. Es ist ja nicht so, dass es keine Weltmeinung, dass es keine herrschende Meinung gäbe, und wenn Präsident Trump gut beraten wäre, würde er versuchen, auf dieser Resolution aufbauend, mit möglichst vielen Partnern, insbesondere mit China, mit Russland, hoffentlich auch mit der Europäischen Union, den Druck auf Nordkorea zu erhöhen, hoffentlich – und das wäre mein Rat – auf dem Weg stiller Diplomatie. Man muss nicht jeden diplomatischen Schritt mit dem Megaphon zunächst öffentlich oder gar über Twitter verkünden. Das ist in aller Regel schlechte Diplomatie.
    Barenberg: Wenn es so ist, wie Sie sagen, dass im Grunde keine Seite ein Interesse an militärischen Auseinandersetzungen hat – Sie haben Peking, Sie haben Moskau, Sie haben Washington angesprochen, man kann, denke ich, auch Pjöngjang hinzufügen –, denn eine Krieg wäre ja möglicherweise auch mit dem Verlust der Macht dort verbunden, kann es dann trotzdem sein, dass wir in einen Krieg hineingeraten, obwohl es keiner will?
    Ischinger: Ja, das wäre ja nicht das erste Mal in der Geschichte –
    Trump hat noch keine diplomatischen Versuche unternommen
    Barenberg: Eben.
    Ischinger: – des 20. Jahrhunderts. Man denke mal an den August 1914. Da tappte man auch mehr oder weniger blind in eine solche Eskalation hinein. Also ich will jetzt hier keine Unkenrufe von mir geben, aber die Lage ist gefährlich. Deswegen ist es auch richtig und wichtig, dass die Europäische Union hier nicht einfach als Zuschauer agiert, sondern zumindest versucht, sich zu einer Meinung zusammenzufinden. Die Lösung, Herr Barenberg, die liegt eigentlich auf dem Tisch, zumindest aus der Sicht der diplomatischen Fachleute, die ich kenne in Washington, in Brüssel, auch in Moskau und in anderen Hauptstädten: Die Lösung besteht in einem doppelten Einfrieren. Wir haben in Deutschland vor 30 Jahren von der doppelten Nulllösung gesprochen. Hier geht es um das doppelte Einfrieren. Die Nordkoreaner sollte angeboten werden, Einfrieren des nordkoreanischen Raketenprogramms gegen Einfrieren der amerikanisch-südkoreanisch-japanischen Manövertätigkeiten. Das wäre ein erster, vielleicht kleiner und noch nicht ausreichender, aber immerhin ein erster Schritt zur Deeskalation. Also das Wichtige ist doch, dass man zunächst einmal Diplomatie versucht und nicht, so wie Trump das tut, einfach nur mit militärischen Schritten droht. Der diplomatische Versuch ist von Trump noch gar nicht gestartet worden, und den Vorwurf kann man ihm wirklich nicht ersparen, und das ist in dieser wirklich sehr gefährlichen Lage. Hier geht es ja um den Einsatz möglicherweise von Nuklearwaffen auf beiden Seite. Das ist unverantwortlich.
    Eine Nachrichtensendung im Fernsehen zeigt einen Bericht über US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim
    Stille Diplomatie empfiehlt Ischinger mit Blick auf Trumps bisheriges Verhalten. (AFP / Jung Qeon-Je)
    Barenberg: Jetzt haben Sie, Herr Ischinger, selbst darauf hingewiesen, dass es das eine ist, was US-Präsident Donald Trump sagt, und das andere, was seine Berater sagen. Unser Korrespondent in Washington kann in diesem Dickicht aus den Drohungen des Präsidenten und den Beschwichtigungen beispielsweise seines Außenministers keine klare Strategie erkennen. Fällt Ihnen das auch so schwer?
    "Nordkoreanische Krise betrifft uns sehr unmittelbar auch"
    Ischinger: Es fällt mir auch so schwer. Wenn man ganz großzügig sein möchte, dann kann man die Vorgänge in Washington so interpretieren – da muss man aber wirklich schon sehr großzügig sein –, dass man sagt, Trump erhöht durch die Art, wie er sich ausdrückt, den Druck auf Peking und auf Moskau und auf andere, ihrerseits auf Nordkorea einzuwirken. Das Problem, das ich dabei sehe, ist, dass sich beide Seiten – ich habe das eingangs unseres Gesprächs schon mal gesagt – Optionen nehmen. Wenn der nordkoreanische Führer jetzt auf den angekündigten Vierfachtest in Richtung Guam verzichtet, dann sieht er möglicherweise aus der Sicht seiner eigenen Bevölkerung oder seiner eigenen Partei, seines eigenen Militärs, als einer, der als Tiger startet und als Papiertiger landet. Umgekehrt, wenn Präsident Trump auf einen solchen Test nicht militärisch reagiert, wie wirkt denn dann die versprochene Abschreckungswirkung, die Amerika, Japan und Südkorea anderen versprochen hat, dann fällt doch das Abschreckungsgebäude in diesem Teil der Welt in sich zusammen, übrigens mit möglicherweise desaströsen Folgen auch für die Art und Weise, wie wir das Funktionieren von Abschreckung im europäischen Theater, wie man so schön sagt, interpretieren müssen. Also hier hängt Vieles mit Vielem zusammen, und deshalb ist die nordkoreanische Krise nicht etwas, was wir aus Europa aus der Ferne im Lehnstuhl zurückgelehnt betrachten können. Das betrifft uns sehr, sehr unmittelbar auch, weil es mittelbar unsere Sicherheit massiv beeinträchtigen würde, wenn es dort zu einer militärischen Konfrontation kommen sollte.
    Barenberg: Wenn also die Außenbeauftrage heute ein Sondertreffen der für Sicherheit zuständigen Botschafter einberuft, welche Beschlüsse erwarten Sie von diesem Gremium, welche Beschlüsse von der EU insgesamt, um da ein Zeichen zu setzen?
    Ischinger: Ich erwarte mir jetzt auf der Botschafterebene keine abschließenden Beschlüsse. Beschlüsse würden in einer so wichtigen Frage dann eher auf der Außenministerebene oder auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs beschlossen, aber eine Richtungsangabe, der Ausdruck einer bestimmten politischen Richtung, das würde ich mir von der heutigen Sitzung schon erhoffen, und ich sehe da vor allem zwei Elemente: Erstens glaube ich, dass die Europäische Union sich selbst und der Welt einen Gefallen tun würde, wenn sie sich klar aussprechen würde für diese Idee des doppelten Einfrierens. Also ein Deeskalationsschritt als erster Schritt zur Verhinderung weiteren Aufrüstens.
    Zweitens glaube ich, dass angesichts der Trumpschen Rhetorik es nicht falsch wäre – und ich sage ausdrücklich hinzu: das wäre vielleicht besser, wenn man das dann ohne öffentliches … ohne Megaphon-Diplomatie machen würde –, ich glaube, die Europäer sollten im Bündnis, also in der NATO, den amerikanischen Kollegen klipp und klar sagen, dass ein militärisches Vorgehen der USA in dieser Frage, so wie angekündigt oder angedroht von Präsident Trump, aus europäischer Sicht kein Artikel-Fünf-Fall wäre. Also eine klare Warnung an die USA vor einem militärischen Vorgehen, das einen großen Konflikt auslösen könnte. Ich glaube, wir sollten hier klare Sprache sprechen und das tun, bevor es zu spät ist.
    "Ohne militärischen Druck wird es nicht gehen"
    Barenberg: Auf der anderen Seite, Herr Ischinger, habe ich Sie auch so verstanden, dass auf lange Sicht und mit langem Atem, der erforderlich ist bei den notwendigen Verhandlungen, auch mit Pjöngjang, eine Mischung aus politischem, wirtschaftlichem und eben auch militärischem Druck notwendig bleiben wird.
    Ischinger: Da bin ich ganz Ihrer Meinung. In der Tat, ohne militärischen Druck wird es nicht gehen. Der ist aber da durch die amerikanischen militärische Präsenz in der Region, durch die Aufrüstung Südkoreas, durch das allermodernste Raketenabwehrsystem, was nun wiederum in Peking und anderswo zu Beunruhigung geführt hat. Ja, ein militärisches Element ist wichtig, ist unerlässlich, und es reicht sicherlich nicht aus, wenn wir auf europäischer Seite einfach nur gebetsmühlenartig wiederholen, eine militärische Option gibt es nicht. Ja, vielleicht sieht ja der nordkoreanische Führer für sich tatsächlich eine militärische Option. Deswegen ist es schon wichtig, dass hier gegengehalten wird, aber bitte mit dem Blick auf eine langfristige Lösung, und die kann nur darin bestehen, dass man gemeinsam mit China, gemeinsam mit Russland, gemeinsam mit Japan und Südkorea eine gemeinsame Abschreckungs- und Containmentstrategie verfolgt. Das ist in der Zeit des Kalten Kriegs gegenüber der Sowjetunion nicht erfolglos gewesen, und es gibt keinen Grund, warum eine solche Strategie der Eindämmung und der Abschreckung Nordkoreas nicht auch funktionieren könnte. Wir werden den Geist der nuklearen Fähigkeit Nordkoreas nicht zurück in die Flasche kriegen. Wir müssen damit leben, denke ich, dass Nordkorea diese Fähigkeiten hat. Es geht jetzt um die Frage, wie können wir verhindern, dass Nordkorea sie anwendet, und deswegen noch einmal: doppeltes Einfrieren.
    Barenberg: Sagt der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, der Botschafter a.D. Wolfgang Ischinger. Danke für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Herr Ischinger! Vielen Dank!
    Ischinger: Danke schön! Wiederhören, Herr Barenberg!
    Barenberg: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.