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Normandie
Auf Tour durch La Manche

Die Tour de France startet am 2. Juli im Westen der Normandie. Gleich drei Etappen des Radrennens führen dort am Ärmelkanal über die Halbinsel Cotentin im Departement La Manche. Die Region ist nicht nur für Ausflüge mit dem Fahrrad ideal, sondern lockt auch mit vielen Sehenswürdigkeiten.

Von Arnulf Boettcher | 26.06.2016
    Radfahrer vor dem Mont Saint-Michel in der Normandie
    Der Mont Saint-Michel, beliebtes Ziel für Radfahrer (dpa / picture alliance )
    Mit dem Rad darf ich nicht auf den Mont Saint-Michel, als Kulisse für den "Grand Départ", den Start der Tour de France, ist die felsige Insel aber ideal. Das Ensemble aus Kloster, Kirche und mittelalterlichen Dorf ragt 160 Meter aus dem Wattenmeer. Das lockt bis zu vier Millionen Besucher jährlich – auch weil die Bucht die größten Gezeiten Europas hat und die Flut, so sagt man hier, wie ein "Pferd im Galopp" kommt.
    "Wir haben auf der nördlichen Seite England und hier Frankreich. Und die Wellen kommen frei aus dem Atlantik. Die armen Wellen sind ein bisschen verwirrt. Denn es sind Barrieren zu überwinden, zum Beispiel die Halbinsel Cotentin sowie die kleinen Inseln Guernsey und Jersey. Und das alles macht die großen Gezeiten",
    berichtet Evelyne Gardon, die hier arbeitet. Das Weltkulturerbe drohte zu verlanden und wurde aufwendig renaturiert. Nun wird es bei starker Flut mehrmals im Jahr wieder zur Insel. Diese ist mit dem Shuttlebus zu erreichen über die neue Stelzenbrücke oder:
    "Natürlich sieht der Mont Saint-Michel viel schöner aus, wenn man zu Fuß kommt. Da hat man die Sicht auf Mont Saint-Michel. Der steht allein im Meer."
    Monument aus Fahrrädern mit einer bunten Kuh
    Normandie: Kunst im Land der Radfahrer und der Kühe (Arnulf Boettcher)
    Nur wenige Menschen leben hier, darunter gut ein Dutzend Mönche. Ein beliebtes Ziel ist der Klosterberg für Pilger, so Gardon:
    "Am 29. September ist der Tag des Heiligen Michael. Da kommen viele Leute und beten und singen. Das ist sehr rührend. Es kommen auch sehr viele junge Leute."
    Vielleicht auch, um die berühmten Omelettes zu kosten. Sie werden in der geschäftigen Grand Rue in der Auberge der "Mère Poulard" publikumswirksam zubereitet.
    "Hier ist der Kamin, wo sie diese Spezialität machen, Omelettes, sehr fluffig mit sehr viel Schaum. Aber das gehört dazu. Merci – Je vous en prie – Bon journee – Merci."
    Erinnerungen an den D-Day
    Entlang der Ostküste der Halbinsel Cotentin sind die steinernen Zeugen der deutschen Besatzer auch vom Rad aus nicht zu übersehen. Bunker in den Dünen erinnern an den D-Day am 6. Juni vor 72 Jahren, als alliierte US-Truppen an Stränden der Normandie landeten.
    "600 Männer sind hier gelandet um 6.30 Uhr. Die meisten von ihnen waren sehr jung. Die waren gestresst. Sie hatten keine Kampferfahrung. Und sie waren seekrank",
    erzählt Mireille Malbet vom Museum Utah-Beach in Sainte-Marie-du-Mont, dem Zielort der 1. Tour-Etappe.
    Nachgestellte Szene mit alliierten Soldaten und einem Landungsboot am Strand von Utah Beach in der NormandieL
    Das Landungsmuseum von Utah Beach in der Normandie (Arnulf Boettcher)
    Im Landungsmuseum können Besucher in die Atmosphäre der Befreiungsgeschichte eintauchen. Zu sehen sind etwa alte Landungsboote, Panzer oder:
    "Die Besucher sind immer sehr begeistert, diesen echten B-26-Bomber zu entdecken. Natürlich ist das eine große Attraktion für unser Museum."
    Seit 1962 besteht das Museum mit Blick auf den Landungsstrand. Deutsche Gäste waren anfänglich eher selten. Das habe sich geändert, berichtet Malbet.
    "Das betrifft unsere Freiheit. Jetzt, wenn wir feststellen, dass wir einige Freundschaften mit Deutschland haben, finde ich das sehr schön. Unsere beiden Völker haben sich versöhnt, (Musik) obwohl wir zwei Weltkriege erlebt haben."
    "Vier Jahreszeiten am Tag"
    Am Start der 2. Etappe in Saint-Lô, der Hauptstadt des Departements La Manche, treffe ich Paul-Vincent Marchand. Er organisiert den Grand Depart und freut sich über den Werbefaktor für die Halbinsel.
    "Cotentin ist eine Mischung aus Land und Küste. Den Norden des Departements nennen wir hier 'Klein-Irland' wegen der kleinen Steinmauern und der Schafe. Es gibt vier Jahreszeiten am Tag. Das ist eine tolle Landschaft, die es zu entdecken gilt."
    Radfahrer im Tal der Vire in der Normandie
    Im Tal der Vire (©Marc_Lerouge)
    Am besten mit "la petite reine", der kleinen Königin, wie das Fahrrad in Frankreich gerne genannt wird. Und idealerweise auf den "voies vertes", den grünen Wegen abseits des Autoverkehrs, wie Radtour-Expertin Sophie Bougeard empfiehlt. Ihre schönste Strecke liegt unterhalb von Steilhängen am Fluss Vire im Süden von Saint-Lô.
    "Im Tal der Vire erreicht man die 'Felsen von Ham' mit einem interessanten und schönen Panorama. Der Weg ist für Räder reserviert."
    Von Regenschirmen und der Titanic
    In Cherbourg-en-Cotentin an der Spitze der Halbinsel könnte ich wie die Profis die fünf Kilometer lange Steigung zum Ziel der 2. Etappe hochklettern. Ich bin bequem und erkunde lieber die idyllische Küstenroute bis hin zum historischen Kreuzfahrt-Terminal, ein Meisterwerk des Art Deco.
    Hier machte am 10. April 1912 die Titanic auf ihrer Jungfernreise halt. 281 Passagiere stiegen in Cherbourg ein, vier Tage später kollidierte das damals größte Schiff der Welt mit einem Eisberg und sank im Nordatlantik.
    Das Tiefseemuseum "Cité de la Mer" erinnert an die Katastrophe. "Grand Depart" steht über dem Ausgang der alten Gepäckhalle. Ich habe das Gefühl, als würde ich selbst auf der Titanic einschiffen. Im Zeitraffer werden mir die Stunden bis zum Untergang eindrücklich nahe gebracht.
    Radfahrer an der Küste in Cherbourg
    Radfahrer an der Küste in Cherbourg (©Marc_Lerouge)
    Nur kurz ist der Weg von der musealen Unterwasserwelt zur Innenstadt. Dort spielte 1964 der Erfolgsfilm "Die Regenschirme von Cherbourg" mit Catherine Deneuve. Mit dem Rad fahre ich die ausgeschilderten Film-Schauplätze ab.
    "Wir sind auf dem Cour-Marie. Dort hat Catherine Deneuve Guy wieder getroffen – mit einem kleinen Kuss",
    sagt Anne Gaudaire, die in Cherbourg lebt. Zu ihren Lieblingsplätzen gehört – vielleicht auch wegen des normannischen Sprühregens:
    "Das Museum der Regenschirme von Cherbourg. Es ist im alten Gebäude der Bank von Frankreich. Da ist ein schönes Geschäft. Man kann das Museum in der 1. Etage besichtigen und die Manufaktur der handgemachten Regenschirme."
    Im Seebad Granville mit seinem maritimen Flair an der Westküste startet schließlich die 3. Tour-Etappe. Sie führt die Profis hinaus aus dem Radfahrerland Cotentin und La Manche.