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Notizen aus Berlin
Kaltschweißig und überhitzt

Während die Filmfestspiele in Cannes und Venedig mit angenehmen Sommertemperaturen locken, herrschen zur Berlinale-Zeit meist Minustemperaturen. Da empfehlen sich gefüttertes Schuhwerk, dicke Jacke und Schal. Für unsere Kolumnistin gerät der Festival-Besuch zur gefühlten Kneippkur.

Von Maja Ellmenreich | 11.02.2017
    Heizstrahler in einem Festival-Zelt während der Berlinale 2017.
    Unauffällige Heizstrahler sorgen für kleine Wärme-Oasen, damit sich die Stars auf dem Roten Teppich nicht verkühlen. (Deutschlandradio / Maja Ellmenreich)
    Eisig ist es in Berlin, bitterkalt. "Pack die warmen Socken ein", hatte mir am Abend vor meiner Abreise noch eine Berliner Kollegin gemailt. So ein Rat kann nicht schaden, wenn man aus dem wohltemperierten Rheinland anreist, wo schon die nächste Eiszeit ausgerufen wird, sobald nur ein paar Schneeflocken vom Himmel rieseln. Kein Vergleich mit dem Kontinentalklima der Berlinale-Hauptstadt. Immer wieder kommen mir die Auftritte des "Eiskalten Händchens" der "Addams Family" in den Sinn, wenn ich meine schockgefrosteten Hände betrachte.
    DLF-Reporterin Maja Ellmenreich inspiziert ihre Hand auf der Berlinale 2017.
    DLF-Reporterin Maja Ellmenreich inspiziert ihre Hand auf der Berlinale 2017. (Deutschlandradio / Maja Ellmenreich)
    Unfreiwillig wird der Festspiel-Besuch zur Kneippkur: Raus aus der stickigen U-Bahn, rein in die Eisluft und dann weiter in den kuschelig warmen Kinosaal. Legt man dort nicht gleich die mehrschichtige Polarausrüstung ab, steigt die erste Hitzewelle auf. Runter mit der Mütze, schnell aus dem Schal gewickelt und – ganz wichtig – auf die plumeauartige Winterjacke am besten draufsetzen. Das erfreut vielleicht nicht unbedingt den Kinobesucher in der Reihe hinter mir, aber es reduziert die Gefahr, bei allzu großer Gemütlichkeit während des Filmes einzunicken.
    Wärmeregulierung im Kinosessel und auf der Leinwand
    Doch nicht nur ich bin mit der Wärmeregulierung beschäftigt, als würde ich ständig am Thermostat einer altersschwachen Heizung herumschrauben: Auch in den heutigen Wettbewerbsfilmen ist die Suche nach der angemessenen Temperatur ein wiederkehrendes Thema. Im hitzigen Kinshasa zum Beispiel versucht Tabu das Herz der filmtitelgebenden Félicité zu gewinnen, indem er sich aufopferungsvoll um ihren muckenden Kühlschrank kümmert – erst ist’s die Lüftung, dann der Trafo. Am Zustand des klapprigen Gerätes lässt sich ablesen, wie erfolgreich seine Annäherungsversuche sind. Am Ende kühlt die Maschine – klappernd und stotternd zwar – aber sie kühlt.
    Dagegen ringt der Maler Alberto Giacometti in dem außer Konkurrenz laufenden Film "Final Portrait" mit seiner Körpertemperatur: Er hat sich bei einer Spritztour im neuen Cabrio verkühlt und landet mit 39°C Fieber im Bett. Einen Cognac wünscht er sich zur Genesungsunterstützung. Und der Schauspieler und Kabarettist Josef Hader? Der setzt sich als arbeitsloser Musikkritiker in seinem Regiedebüt "Wilde Maus" fast splitternackt in den Schnee, um zu sterben.
    So existenziell geht’s trotz Eiseskälte auf dem Roten Teppich nicht zu: Damit sich auch diejenigen, die im Flatterkleidchen zur Premiere kommen, keinen Pipps holen und entspannt in die Kameras lächeln können, sorgen unauffällige Heizstrahler für kleine Wärme-Oasen. Schöne warme Kinowelt!